Schwerstkranker braucht dringend eine frühe Corona-Impfung
Hilferuf von Benni Over bleibt noch ungehört: Schwerstkranker braucht dringend Corona-Impfung
Benni Over (30) kämpft um eine frühe Impfung
privat

Niederbreitbach. Die Corona-Pandemie verlangt von vielen Bürgern Opfer, einige trifft sie aber besonders hart. Zu diesen Menschen zählt auch Familie Over in Niederbreitbach. Seit zehn Monaten befinden sich die Overs in selbst auferlegter Quarantäne, um den schwerstkranken Sohn Benni (30) nicht zu gefährden. Neben der Alltagspflege haben die Eltern seither auch die Intensivpflege übernommen. Benni ist wegen einer unheilbaren Muskeldystrophie an den Rollstuhl gefesselt, muss beatmet werden, braucht regelmäßige Therapien und gilt unter dem Strich als Hoch-Risiko-Patient.

Mit der aktuellen Entscheidung des Bundes zum priorisierten Impfen ereilt die Familie ein weiterer Schlag. Denn Benni wird zum Unverständnis seiner Eltern so eingegliedert, dass eine Impfung nicht vor dem zweiten Quartal des nächsten Jahres erfolgen dürfte. „Das wiederum bedroht sein Leben“, sagt Vater Klaus Over.

Konkret geht es um Therapien, auf die Benni seit Monaten verzichten muss. Die Therapeuten weigern sich inzwischen, zu ihm nach Hause zu kommen. „Keiner will derjenige sein, der das Virus zu Benni bringt“, zeigt Klaus Over Verständnis dafür. Dabei sind die Therapien für Benni lebenswichtig. „Wenn Therapien nicht sofort wieder aufgenommen werden, dann wird er die nächsten Monate, auch ohne an Corona zu erkranken, nicht überstehen.“

Schon jetzt klagt Benni über eine eingeschränkte Beweglichkeit seiner Finger, die letzten Körperteile, die er noch bewusst ansteuern kann, und über Husten. „Das Einzige, was uns helfen kann, ist, dass Benni bei den Ersten dabei ist, die geimpft werden“, appellieren seine Eltern. Dass das Sozialministerium auf Bitten der Familie jetzt Schnelltest für die Therapeuten genehmigt hatte, ändert nichts an der Lage, so Over.

Die Sorge ist mittlerweile so groß, dass die Familie einen breit gestreuten Notruf an Ministerien, Institutionen und Medien abgesetzt hat. Reaktionen gib es viele. „Die Deutsche Stiftung Patientenschutz schlägt vor, eine sozialgerichtliche Entscheidung im Eilverfahren durchzuführen. Die Krankenschwester auf einer Covid-Intensivstation möchte Benni ihre Impfdosis spenden. Die Rudolf Augstein Stiftung sagt, mit der Schilderung unserer Situation machen wir auf eine Lücke im System aufmerksam“, berichtet Klaus Over und erklärt aus seiner Sicht: „Benni läuft Gefahr, Opfer einer Lücke im System zu werden, Opfer einer Impfgruppen-Triage.“ Doch die maßgeblichen Behörden rühren sich auf den Notruf hin nicht – oder sie schicken die Familie auf eine zermürbende Odyssee von Stelle zu Stelle.

Gleich mehrmals wandten sich die Overs auch an das Mainzer Gesundheitsministerium, um auf das Problem hinzuweisen, mit dem auch andere pflegende Angehörige von Schwerstkranken konfrontiert sind. „Wir haben nur eine vertröstende Standardantwort erhalten“, sagt Klaus Over. Stattdessen erfuhren sie jüngst über das SWR-Fernsehen, was ihnen Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler rät – und sind aus allen Wolken gefallen. „Die Ministerin hat dort mit einer Kälte, die uns schockierte, gesagt, wir sollten uns als Familie zurückziehen, um uns nicht zu gefährden. Das war ein Schlag ins Gesicht“, ärgert sich Klaus Over.

Denn das bedeutet für die Overs zweierlei: Zum einen ist da die Aussicht auf zahlreiche weitere Monate in Quarantäne, „obwohl wir schon jetzt platt sind und auch mal wieder raus müssen“. Zum anderen ändert das auch nichts an der Eingruppierung von Benni in Sachen Corona-Impfung. Nach der Erklärung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am Freitag könnte es zumindest sein, dass Benni in die Gruppe zwei hochrutscht. An der gesundheitlichen Notwendigkeit einer möglichst frühen Impfung ändert das aber nichts.

Dabei hätte das Gesundheitsministerium in Mainz aus Sicht der Overs die Verfügungsgewalt, für Fälle wie den von Benni Over eine Ausnahmeregelung zu ersinnen. „So groß dürfte die Gruppe der schwerstkranken Menschen in häuslicher Pflege nicht sein“, vermutet Klaus Over, der zugleich betont, dass er und seine Frau sich nicht nur für ihren Sohn, sondern alle Betroffenen einsetzen. Dass Benni allerdings nach derzeitiger Lesart der Impfpriorisierung mit einem fitten 70-Jährigen gleichgesetzt wird, steht für sie in keinem Verhältnis.

Die Overs werden den Kampf nicht aufgeben. Ein Brief ist an Minister Spahn unterwegs, in dem sie noch einmal um eine priorisierte Impfung für Benni bitten. Sie haben bereits vor einigen Jahren erfolgreich um das Leben ihres Sohnes gekämpft, als Ärzte ihn nach einem Herzstillstand bereits aufgegeben hatten. Benni lag damals 37 Tage auf einer Intensivstation und verließ diese auf dem Weg zurück zu einem stabilen Gesundheitszustand. Seine Eltern wichen damals nicht von seinem Bett, das werden sie auch jetzt nicht tun, obwohl sie bei ihrem scheinbaren Kampf gegen Windmühlen kräftemäßig an ihre Grenzen kommen. Ralf Grün

Top-News aus der Region