Gericht kam angesichts der gezeigten Reue und der Kooperationsbereitschaft der Angeklagten zu einem moderaten Urteil
Haftstrafe auf Bewährung für Unfallfahrerin
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Vor mehr als einem Jahr hat sich der Unfall an der Heddesdorfer Straße in Neuwied ereignet. Damals flog das Auto der Angeklagten durch die Luft, prallte in einer verkehrsberuhigten Zone auf und verletzte dort mehrere Menschen schwer. Foto: Archiv Rainer Claaßen
Rainer Claaßen

Neuwied. Der Unfall hatte Neuwied und Umgebung schockiert: Im vergangenen Juni war ein Auto mit hoher Geschwindigkeit von der Innenstadt her kommend in den verkehrsberuhigten Bereich der Heddesdorfer Straße gerast, hob dort an einem Betonpoller ab und wurde etwa 30 Meter weit durch die Luft geschleudert. Es grenzt an ein Wunder, dass es zwar zu schweren Verletzungen, aber nicht zu Todesopfern gekommen war. Mehrere Passanten hielten sich unmittelbar im Bereich des Aufpralls auf. Zunächst war unklar, was die Ursache dafür war, dass die Fahrerin die Vorfahrt missachtete und ungebremst über die Kreuzung fuhr. Schnell verbreiteten sich damals Gerüchte: Da war von einem technischen Defekt sowie von Anschlags- oder Selbstmordabsichten der Fahrerin die Rede. Im Prozess gegen die Fahrerin am Amtsgericht Neuwied ist jetzt ein Urteil gesprochen worden.

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Ihre Kooperationsbereitschaft sowie die aufrecht gezeigte Reue trugen dazu bei, dass der Richter ein moderates Urteil fällte: Vier Monate Bewährungsstrafe sowie einen Führerscheinentzug von einem Jahr ordnete er an. Auf die von der Staatsanwältin zusätzlich geforderten Sozialstunden verzichtete er – nicht zuletzt, da ihm glaubwürdig erschien, dass die Frau, die bei dem Unfall selbst eine erhebliche Verletzung erlitten hatte, auch massiv unter den Folgen gelitten hat und weiterhin leidet.

Schon zu Beginn des Verfahrens, das nun mit dem vierten Verhandlungstag abgeschlossen wurde, war zumindest die Ursache nicht mehr strittig: Die Fahrerin selbst gab an, dass sie schon kurz hinter der Einmündung an der Matthiaskirche das Bewusstsein und die Kontrolle über ihren Körper verloren hatte. Ihre Erinnerung setzt erst wieder nach dem Unfall ein. Sie erklärte ebenfalls, dass sie vergleichbare Zustände in der Zeit vor dem Unfall bereits häufiger erlebt hatte, und dass sie sich deshalb in Behandlung befand.

Im Mittelpunkt des letzten Verhandlungstages stand nun die Aussage eines Neurologen aus Neuwied, bei dem sie etwa ein Jahr vor dem Unfall einen Behandlungstermin wahrgenommen hatte. Der konnte sich allerdings an die Patientin nicht erinnern. Dafür sei die Anzahl der Besucher in seiner Praxis schlicht zu hoch gewesen. Aus dem Arztbrief, den er nach der Behandlung ausgestellt hatte, ging nicht hervor, dass er der Angeklagten damals explizit davon abgeraten hätte, einen Pkw zu führen. Das gilt auch für eine viertägige Untersuchung, die etwa einen Monat vor dem Unfall in der Uniklinik Bonn erfolgte – sowie für weitere Arztbesuche.

Die Staatsanwältin hielt diese fehlende Empfehlung in ihrem Plädoyer nicht für erheblich. Sie verwies auf Schilderungen der Fahrerin als auch von ihr nahestehenden Zeugen: Bis zu vier Mal am Tag war es bei ihr über einen längeren Zeitraum in ganz unterschiedlichen Situationen zu kurzen Aussetzern des Bewusstseins mit Verkrampfung des Körpers gekommen. Dass sie ausgesagt hatte, in dem Monat vor dem Unfall keine Beschwerden gehabt zu haben, hielt die Anwältin für eine Schutzbehauptung. Eine Zeugin hatte von einem Anfall wenige Tage vor dem Ereignis berichtet. Da die Fahrerin wusste, dass diese Zustände aus heiterem Himmel in ganz unterschiedlichen Situationen auftraten, hätte ihr klar sein müssen, dass sie bis zu einer erfolgreichen Behandlung kein Fahrzeug in Straßenverkehr lenken durfte.

Sechs Monate Haftstrafe auf Bewährung sowie einen zweijährigen Führerscheinentzug forderte die Staatsanwältin für Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässige Körperverletzung. Die Schockerlebnisse und Verletzungen der Beteiligten sowie der Schaden von fast 80.000 Euro trugen zum geforderten Strafmaß bei.

Der Anwalt der Angeklagten wollte hingegen einen Freispruch erwirken. Er argumentierte, dass trotz mehrerer Untersuchungen kein Arzt der Frau explizit vom Führen eines Pkws abgeraten hatte, und folgte ihrer Aussage, in den Wochen vor dem Unfall beschwerdefrei gewesen zu sein. „Wann soll man sich denn wieder sicher sein, ein Auto fahren zu dürfen? Dafür gibt es doch keine Regeln“, sagte er am Ende seines Plädoyers.

In ihrem Schlusswort bat die Angeklagte unter Tränen erneut um Entschuldigung – und wandte sich dabei sowohl an die Opfer, für die das Geschehen zum Teil traumatisch war, als auch an die Zeugen sowie an die Gesellschaft. Der dankte sie auch dafür, dass sie ihre Familie und sie als Geflüchtete gut unterstützt hatte. Der Rechtsanwalt wollte sich zunächst nicht dazu äußern, ob er gegen das Urteil Berufung einlegen wird.

Von Rainer Claaßen

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