Änderung bis 30. Juni möglich
Grundsteuerhebesatz ist in Neuwied längst nicht sicher
Der 1. Januar 2025 ist vorbei und die Neuwieder wissen immer noch nicht, wie viel Grundsteuer sie zahlen müssen. Die Bescheide kämen frühestens im April, sagt die Stadt und schiebt den schwarzen Peter dem Land zu.
Jens Büttner. picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Am 1. Januar 2025 traten die neuen Bewertungsregeln für die Grundsteuer in Kraft. Die zugehörigen Grundsteuerbescheide sind jedoch nicht versandt – frühestens im April soll es so weit sein, erklärt die Stadt Neuwied auf Nachfrage.

Mit Sorge blickt Friedhelm Stertz seit Wochen in den Briefkasten. Der Neuwieder wartet auf den ersten Grundsteuerbescheid nach neuen Bewertungsregeln, von dem er deutlich höhere Abgaben als bisher erwartet. Doch frühestens im April werde dazu Post kommen, erklärt die Stadt Neuwied auf Nachfrage.

„Wie ich annehme, wird es sich fast verdoppeln“, prognostiziert ein weiterer Neuwieder, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte und ein älteres Haus im Raiffeisenring besitzt, über seinen zukünftigen Betrag. In Berlin seien die Hebesätze vorsorglich heruntergesetzt worden, weiß der Eigenheimbesitzer. Doch nicht nur Immobilien- und Grundstücksinhaber seien von den höheren Kosten betroffen. „Das betrifft auch die Mieter, denn die Vermieter geben das weiter“, ist er sich sicher.

Ich finde die gesamte Informationspolitik sehr unerfreulich.“
Ein Neuwieder mit einem älteren Haus im Raiffeisenring

Die Bescheide mit dem neuen Grundsteuerwert- und dem neuen Grundsteuermessbetrag hat der Neuwieder bereits im Frühjahr 2023 vom Finanzamt erhalten. Letzterer muss allerdings mit dem Grundsteuerhebesatz der Kommune multipliziert werden – und da fehlt bisher die Sicherheit. „ Ich finde die gesamte Informationspolitik sehr unerfreulich“, ärgert er sich.

Dazu macht der Hauseigentümer auf eine weitere Ungerechtigkeit aufmerksam, die der Bund der Steuerzahler (BdSt) Rheinland-Pfalz bestätigt. „Im unveränderten Bundesmodell zur neuen Grundsteuer werden bei gleichem Hebesatz die Wohnimmobilien steuerlich stärker belastet als Gewerbeimmobilien“, weiß Geschäftsführer René Quante. Das sei die vom Steuerzahlerbund wiederholt kritisierte Problematik der Lastenverschiebung, die von der Ampel-Landesregierung viel zu lange ignoriert worden sei, moniert Quante.

„Was mich stört, ist das Schweigen: Still ruht der See.“
Hausbesitzer Friedhelm Stertz aus Neuwied

Auf seine Mail am 20. Januar, in der er nach dem Verbleib der Bescheide gefragt habe, habe er keine Antwort erhalten, berichtet der Neuwieder Friedhelm Stertz verärgert: „Was mich stört, ist das Schweigen: Still ruht der See.“ Oberbürgermeister Jan Einig, den der Mann an einem Samstag in der Innenstadt antraf, habe ihm erklärt, die Bescheide kämen erst im April. „Das kam wie aus der Pistole geschossen“, sagte Stertz.

Der Stadt seien die notwendigen Basiswerte vom Land erst Ende 2024 mitgeteilt worden, sei die Begründung gewesen. „Dabei hat man außerdem festgestellt, dass der Stadt dadurch circa 4 Millionen Euro Mindereinnahmen beim Grundsteueraufkommen entstehen“, berichtet der Betriebswirt im Ruhestand weiter.

Die Stadt Neuwied wartet auf das Land. „Im April soll in Mainz der entsprechende Beschluss über das Grundsteuerhebesatzgesetz Rheinland-Pfalz gefasst werden", sagt Pressesprecher Ulf Steffenfauseweh.
Ulf Steffenfauseweh

Im Gespräch mit unserer Zeitung sprach Ralf Seemann, Erster Beigeordneter und Finanzdezernent der Stadt, Ende 2024 von 4,1 Millionen Euro, die durch die neue Grundsteuer im Haushalt fehlen. „ Trotzdem würden die ‚normalen‘ privaten Grundstückseigentümer nicht entlastet. Dies würden wir gern gerechter verteilen“, sagt Ulf Steffenfauseweh, Pressesprecher der Stadt Neuwied, auf Anfrage. Um diese Lücke auszugleichen, müsste die Stadt den Satz auf 836 Prozent anheben. Doch der Hebesatz von 610 Prozent bei der Grundsteuer B solle vorerst bleiben, teilte die Stadt mit. 

Weil derzeit auf private Gebäude und Grundstücke höhere Abgaben fällig werden als auf gewerbliche will das Land Rheinland-Pfalz die Möglichkeit für unterschiedliche Hebesätze schaffen. Darauf warten die Kommunen immer noch. „Im April soll in Mainz der entsprechende Beschluss über das Grundsteuerhebesatzgesetz Rheinland-Pfalz gefasst werden. Das ist unser Stand. Wenn dem so ist, können wir aktiv werden“, erklärt Steffenfauseweh.

„Dass die Kommunen dazu keine Freude verspüren, verstehen wir voll und ganz – aber gesplittete Hebesätze wären für die Bürger immer noch die beste unter verschiedenen schlechten Lösungsalternativen.“
René Quante vom Bund der Steuerzahler Rheinland-Pfalz

„Mit den gesplitteten Hebesätzen würde die neue Grundsteuer noch komplizierter und bürokratischer werden als sie es ohnehin schon ist“, warnt René Quante von Bund der Steuerzahler. Viele Kommunen würden unter zeitlichen Druck geraten, das überarbeitete Modell verwaltungstechnisch umzusetzen und faire gesplittete Hebesätze zu bestimmen. „Dass die Kommunen dazu keine Freude verspüren, verstehen wir voll und ganz – aber gesplittete Hebesätze wären für die Bürger immer noch die beste unter verschiedenen schlechten Lösungsalternativen“, macht der Geschäftsführer deutlich. Ohne Reform würde das Wohnen in Rheinland-Pfalz über gestiegene Nebenkosten deutlich teurer werden – das könne niemand im Landtag wollen, betont er.

Offensichtlich könnten die Hebesätze in Neuwied in diesem Jahr noch geändert – also auch erhöht – werden. So weist der Pressesprecher auf Paragraf 25 Absatz 3 des Grundsteuergesetzes hin. Darin steht, dass „ein Beschluss über die Festsetzung oder Änderung des Hebesatzes noch bis zum 30. Juni eines Jahres mit Wirkung vom Beginn dieses Kalenderjahres getroffen werden“ kann.

Kommunen können Hebesatz noch bis 30. Juni ändern

Zwar spricht ein Kommentar der Haufe Group zum Paragrafen von „maßvoller Erhöhung“; doch jede Erhöhung bedeutet für Eigenheimbesitzer höhere Kosten. Andererseits: „Die Kommunen hätten auch noch bis zum 30. Juni Zeit, die gesplitteten Hebesätze für Wohn- und Gewerbeimmobilien jeweils passend festzulegen, um das Problem der Lastenverschiebung zumindest abzumildern“, macht Quante vom Steuerzahlerbund Mut.

Nach entsprechenden Berechnungen zu differenzierten Hebesätzen werde die Verwaltung dem Neuwieder Stadtrat einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten, erklärt Steffenfauseweh abschließend. „Die Entscheidung darüber, ob und in welcher Höhe die Hebesätze ab 2025 dann festgesetzt/angepasst werden, ist dann letztlich eine Entscheidung der Politik. Jetzt eine Prognose zu geben, wäre unseriös“, stellt der Pressesprecher fest.

„Die ganze Problematik ist den Leuten gar nicht bewusst.“
Friedhelm Stertz aus Neuwied

Ein konkretes Rechenbeispiel für ein älteres Haus, zum Beispiel im Raiffeisenring, möchte die Stadt nicht abgeben: „Da wir die Entwicklung hinsichtlich des Grundsteuerhebesatzgesetzes abwarten wollen und dann erst entscheiden, welcher Hebesatz angewandt wird, würde eine jetzige Beispielrechnung unter Umständen zu unnötigen Sorgen führen“, sagt der Pressesprecher.

„Die ganze Problematik ist den Leuten gar nicht bewusst“, sagt Friedhelm Stertz. Er ärgert sich über Land und Stadt. „Seit zwei Jahren wissen wir, dass am 1. Januar das neue Gesetz gilt – und die kommen nicht in die Puschen.“ Für die Wahlkämpfer auf kommunaler Ebene als auch des Bundes komme diese Konstellation nicht ungelegen, setzt er eine Spitze: „Die unangenehmen Bescheide kommen dann deutlich nach der Wahl und jeder hat bis dahin seine Pöstchen in trockenen Tüchern.“

Bund der Steuerzahler: Grundsteuer abschaffen

Kritik an der Grundsteuer übt der Bund der Steuerzahler (BdSt) Rheinland-Pfalz und hat Musterklagen angestrengt. Nach dem Stand gefragt, berichtet Geschäftsführer René Quante: „Derzeit laufen Musterklagen gegen die Grundsteuer nach dem Bundesmodell noch. Das letzte Wort wird das Bundesverfassungsgericht haben.“ Mit den Musterklagen strebe der Steuerzahlerbund letztlich die Abschaffung der „überkommenen Grundsteuer“ an. „Die Kommunen sollten dann zum Beispiel durch höhere Anteile an der Einkommen- und Umsatzsteuer finanziell entschädigt werden“, macht er deutlich.

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