Im Dezember jährt sich der Tod einer Neuwiederin, die von ihrem Ex-Freund mit einem Hammer erschlagen worden ist. Das ist die Spitze eines Eisbergs, der dieser Tage in ganz Deutschland wächst: Gewalt an Frauen. Mit einem Marsch durch die Neuwieder Innenstadt zum Internationalen Gedenktag machten unter anderem die Gleichstellungsbeauftragten von Stadt und Kreis, die Interventionsstelle (IST) der Caritas und Utamara aus Kasbach-Ohlenberg auf das Thema aufmerksam. Denn auch hier häufen sich die Fälle.
153 Frauen hätten sich 2023 an die IST der Caritas in Neuwied gewandt, weiß deren Beraterin, die anonym bleiben möchte. Das seien mehr als 2022 gewesen: „Jetzt sind wir schon bei 150, und das Jahr ist noch nicht zu Ende“, berichtet die Fachfrau weiter. Um betroffenen Frauen zu zeigen, dass sie nicht allein sind, und Hilfe bekommen, laufen die Gleichstellungsbeauftragten des Kreises, Daniela Kiefer, und der Stadt, Birgit Bayer, mit Vertreterinnen weiterer Organisationen mit Plakaten durch die Fußgängerzone der Deichstadt.
„Jetzt sind wir schon bei 150, und das Jahr ist noch nicht zu Ende.“
Eine Fachberaterin der Interventionsstelle der Caritas in Neuwied
„Das finde ich sehr gut, dass sie damit auf die Straße gehen, dass das viele Leute sehen und sich Gedanken machen“, sagt eine Passantin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Doch dass jede dritte Frau in ihrem Leben von Gewalt betroffen ist, kann die 80-jährige Neuwiederin nicht verstehen. Sie habe das nicht erlebt und kenne auch niemanden. „Man müsste das doch ein klein bisschen merken, wenn das im näheren Umfeld ist“, sagt sie.
„Die Kriminalstatistik sagt etwas anderes, und das sind nur die offiziellen Zahlen“, weiß Franziska Klein, Netzwerkkoordinatorin des Lokalen Netzwerkes Kindeswohl der Stadt Neuwied. Die Dunkelziffer sei höher, erklärt sie, während die Gruppe die Langendorfer Straße entlangläuft. „Damit geht man auch nicht hausieren“, betont Martina von Berg von der Kinder-Interventionsstelle der Caritas, die sich um die Kleinen und Älteren in von Gewalt betroffenen Familien kümmert. „Kinder sind immer mitbetroffen“, erklärt sie.

Die Beraterin der IST nickt und ergänzt: „Zum einen glaube ich, dass Gewalt gegen Frauen in der Partnerschaft in einer bestimmten Generation als normal sozialisiert ist.“ Zum anderen sei es für Frauen früher, auch wegen finanzieller Abhängigkeit, schwerer gewesen, aus einer gewaltvollen Beziehung auszubrechen. „Die Schamgrenze ist immer noch sehr hoch, gerade bei älteren Frauen“, berichtet die Fachfrau weiter.
Auf einem der Transparente steht „Femizid ist die Ermordung einer Frau, weil sie eine Frau ist“. Das beschäftigt Sieglinde Weber, die vor einem Café einen Kaffee trinkt. „Wie kann man so brutal sein?“, fragt sie. Dass Frauen so wenig Hilfe erhielten, dass Richter so oft milde Urteile fällten, beklagt die Neuwiederin, die eine Behinderung hat: „Ich weiß ja, wie mit mir umgesprungen wird.“
„Was heute zunehmend dazukommt, ist die digitale Gewalt.“
Birgit Bayer, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Neuwied
Ein Passant schaut kritisch auf die Plakate. „Für diese Aktionen habe ich gar kein Verständnis“, sagt er. Das sei gar nicht so, wie es da stehe, schimpft er und erzählt, dass er selbst von Polizisten aus dem gemeinsamen Haus herausgeführt worden sei; seine Ehefrau habe ihn raushaben wollen. „Ich habe nie die Hand gegen sie erhoben“, versichert der Neuwieder.
„Gewalt hat viele Gesichter“, sagen die Fachfrauen, am Infostand angekommen. Neben der körperlichen gebe es psychische Gewalt wie Beleidigen oder Niedermachen; das belaste Frauen sehr. Bei der ökonomischen Gewalt hätten die Männer die Hoheit über die Finanzen. „Was heute zunehmend dazukommt, ist die digitale Gewalt“, weiß Bayer. Vor allem Männer könnten so Dinge im Haushalt kontrollieren, das Gebäude verschließen, Lichter an- und ausschalten oder nachts die Musik anstellen – alles, ohne dort zu sein, nur über das Handy.
Um den betroffenen Frauen zu helfen, werde neben den Aktionen daran gearbeitet, einen eigenen Frauennotruf für Neuwied aufzubauen, berichtet Birgit Bayer. Hier warteten sie täglich auf die Nachricht, ob das Land die Gelder dafür zur Verfügung stelle.

Aktionen werden fortgesetzt
Betroffenen Frauen sollen die Aktionen in den kommenden Tagen und Wochen Mut machen, sich Hilfe zu suchen, sind sich die Gleichstellungsbeauftragten des Kreises, Daniela Kiefer, und der Stadt, Birgit Bayer, einig. Eine Aktion, bei der großformatige Plakate an zentralen Stellen auf das Thema Gewalt gegen Frauen aufmerksam machten, läutete die Woche ein. Finanziert wurde diese vom Land und dem Kreis. In Linz wurde am Montag mit einem Rahmenprogramm die erste orangefarbene Bank aufgestellt. Ein Vortrag zum Thema Istanbul-Konvention, der auf der Seite des Kreises fälschlich für kommenden Mittwoch, 27. November, angekündigt worden war, findet im März 2025 an der Volkshochschule in Neuwied statt. Er war für den 20. November geplant, fiel aber wegen Krankheit der Dozentin aus. Es werde weiter Aufklärungsarbeit und Projekte, unter anderem mit Schulen, in den VGs sowie Selbstverteidigungskurse geben, versichert Daniela Kiefer. Mehr dazu unter www.kreis-neuwied.de/gegen-gewalt