„Wie kann man die Gesundheitsversorgung in der Raiffeisenregion sichern?“ – mit dieser elementar wichtigen Frage beschäftigt sich die neu geschaffene Servicestelle Gesundheit für die Verbandsgemeinden (VG) Rengsdorf-Waldbreitbach, Dierdorf und Puderbach. Seit wenigen Wochen setzen sich Nadine Botte und Birgit Baum für die Interessen von rund 54.000 potenziellen Patienten ein. Botte, die zuvor im Qualitätsmanagement eines Großhändlers für Medizintechnik tätig war, und Baum, die lange Zeit in leitender Tätigkeit in der Sozialeinrichtung Heinrich-Haus in Neuwied gearbeitet hat, sind die Ansprechpartnerinnen rund um die Themen Gesundheitsversorgung und Gesundheitswirtschaft in den drei VGs. Der Masterplan „Gesundheitsversorgung in der Raiffeisenregion“ aus dem Jahr 2022 empfahl die Schaffung einer solchen Servicestelle. Die Kosten von mehr als 170.000 Euro für zwei Jahre übernimmt zu 75 Prozent das Förderprogramm Leader, die restlichen Kosten teilen sich die VGs untereinander auf.
Die beiden Mitarbeiterinnen der Servicestelle Gesundheit, die im Rengsdorfer Rathaus ihren Sitz hat, haben in den ersten Wochen zunächst versucht, ein Netzwerk aufzubauen. „Der Wunsch vieler Gesundheitsakteure war, dass man sich stärker vernetzt. Es fehlt manchmal der Austausch“, sagt Botte. Als Erstes seien von der Servicestelle alle Ärzte kontaktiert worden. „Bei etwa drei Viertel der Ärzte sind wir auch schon vorstellig geworden. Bei ein paar warten wir noch auf eine Rückmeldung“, berichtet Botte. Bei der Kontaktaufnahme mit der Ärzteschaft wurde ihnen ein großes Problem vor Augen geführt. „Was wir festgestellt haben, ist das erschreckend hohe Alter vieler Ärzte. Wir haben Gespräche mit vielen Ärzten geführt, die über 70 Jahre alt sind – teilweise sogar über 75. Sie sagen, dass sie es noch so lange machen, wie sie es können. Die Ärzte brennen für ihren Job. Davor ziehe ich den Hut“, berichtet Botte.
„Viele junge Ärzte wollen nicht selbstständig eine Praxis führen, sondern Angestellte sein. Die Verantwortung für zum Teil riesige Praxen in der Region wollen sie nicht übernehmen. Sie wollen im Gegensatz zu ihren Vorgängern als Hausarzt nicht rund um die Uhr erreichbar sein.“
Birgit Baum, Mitarbeiterin der Servicestelle Gesundheit
Als Verbesserungsidee sei am häufigsten die Einrichtung eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) gefallen. „Viele junge Ärzte wollen nicht selbstständig eine Praxis führen, sondern Angestellte sein. Die Verantwortung für zum Teil riesige Praxen in der Region wollen sie nicht übernehmen. Sie wollen im Gegensatz zu ihren Vorgängern als Hausarzt nicht rund um die Uhr erreichbar sein“, sagt Baum. Da der Großteil der Medizinstudenten mittlerweile weiblich sei, würden diese wegen der Familienplanung eher ein Angestelltenverhältnis anstreben, betont Botte. Bei einem MVZ müsste zudem die Frage geklärt werden, wer als Träger einspringt. Doch allein die Standortfrage würde in den drei VGs sicherlich für reichlich Diskussionsstoff sorgen. „Jemand aus Roßbach fährt mit Sicherheit nicht ins MVZ nach Dierdorf“, so Baum. Unterm Strich werde ein MVZ nicht alle Versorgungsprobleme lösen können. Es werde ein Gesamtkonzept aus vielen kleinen Bausteinen nötig sein.
Papierkram belastet die Ärzteschaft
Ein großes Problem sei die Dokumentation in den Praxen. „Das ist der Knackpunkt, an dem viele sagen: ‚Das will ich und kann ich nicht mehr‘“, sagt Baum. Sie sei positiv überrascht, dass die Ärzte genau wissen würden, was der Gesundheitsversorgung in der Region helfe. Teile der Ärzteschaft seien auch bereit, die Servicestelle bei der Umsetzung von konkreten Projekten zu unterstützen. Beim Verwaltungsaufwand in den Praxen könnte laut Hans-Werner Breithausen, Bürgermeister der VG Rengsdorf-Waldbreitbach, unter Umständen auch eine spezielle Stelle in der VG-Vewaltung helfen.
Entlastung wäre auch anderer Stelle vonnöten: Insbesondere bei älteren Menschen gebe es das Phänomen, dass diese ohne gesundheitliche Beschwerden in die Praxen kommen würden, weil sie eine Anlaufstelle suchen, berichtet Baum. „Die Gründe sind Psychohygiene, Entlastung oder Einsamkeit. Daher wäre es eine Überlegung wert, ob man in die Praxen nicht zusätzlich Sozialarbeiter oder Ehrenamtler setzt, die Gesprächszeiten anbieten“, schlägt Baum vor.
„Alle Kinderärzte sitzen in der Stadt Neuwied. Von Dierdorf nach Neuwied ist eine enorme Strecke. Da sagt die KV selbst, dass da etwas passieren muss.“
Nadine Botte, Mitarbeiterin der Servicestelle Gesundheit
Sehr schlecht bestellt ist es in den drei VGs auch um die Kinderarzt-Versorgung, denn es gibt keine behandelnde Praxis mehr. „Wir waren bei der Kassenärztlichen Vereinigung und haben das Thema dort angesprochen. Momentan ist die Bedarfsplanung das Problem: Diese sagt, dass der Kreis Neuwied gut aufgestellt ist und es daher keine freien Sitze für Kinderärzte gibt. Alle Kinderärzte sitzen in der Stadt Neuwied. Von Dierdorf nach Neuwied ist eine enorme Strecke. Da sagt die KV selbst, dass da etwas passieren muss“, berichtet Botte. Sie betont zwar, dass es die Möglichkeit gebe, Sonderzulassungen zu beantragen, doch das größte Problem sei, dass nicht genügend Kinderärzte nachkommen. Seit Jahren sei die Verwaltung in Rengsdorf damit beschäftigt, wieder einen Kinderarzt in die VG zu locken, betont Breithausen. Die derzeitige Situation sei „unbefriedigend“, es müsse ein Umdenken stattfinden.
Psychotherapeutin will sich in Straßenhaus niederlassen
Auch in der Nachbarschaft der drei VGs haben sich die Mitarbeiterinnen der Servicestelle Gesundheit umgeschaut, welche Projekte dort in der Gesundheitsversorgung bereits umgesetzt wurden. „Wir hatten schon interessante Gespräche mit Altenkirchen, Asbach und dem Westerwaldkreis. Wir haben auch schon zu verschiedenen Gesundheitsdienstleistern Kontakt aufgenommen – zu Senioreneinrichtungen und ambulanten Pflegediensten. Wir wollen ein Gespür bekommen, wie das hier in der Region funktioniert und wo die Probleme der einzelnen Akteure liegen“, so Botte. Außerdem sei man auf die drei Gewerbevereine in den VGs zugegangen, um im Falle der Neuansiedlung eines Arztes einen Ansprechpartner bei Immobilienfragen zu haben.
Ein erstes Erfolgserlebnis kann die Servicestelle Gesundheit wohl schon bald verbuchen: Eine Psychotherapeutin will sich in Straßenhaus niederlassen. „Aktuell ist es bei der Kassenärztlichen Vereinigung noch in der Prüfung. Sie hatte ursprünglich geplant, nach Rengsdorf zu gehen, hat aber geeignete Räume in Straßenhaus gefunden. Deshalb muss eine Sitzverlegung beantragt werden. Zusammen mit VG-Bürgermeister Breithausen haben wir ein Empfehlungsschreiben geschrieben. Ich bin positiv gestimmt, dass die Kassenärztliche Vereinigung das nicht ablehnt“, so Botte.
Weiterbildungsverbund auf die Beine stellen
Nach zwei Jahren wollen Botte und Baum als Zwischenergebnis einen funktionierenden Weiterbildungsverbund, also einen regionalen Zusammenschluss von Praxen, Kliniken und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens, die gemeinsam Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten, auf die Beine stellen. Außerdem soll der Ausbau von Praktikumsplätzen für Medizinstudenten vorangetrieben werden. Die Gesundheitsstelle soll sich aber auch als eine zuverlässige Ansprechpartnerin bei den Patienten etablieren. Die drei VG-Verwaltungen erwarten nach Ablauf der zwei Jahre konkrete Handlungsempfehlungen für das regionale Gesundheitswesen, die dann nach und nach umgesetzt werden sollen.