Marry, was hat dich vor etlichen Jahren bewogen, am Ballermann auf Mallorca zu singen?
Ich bin vom Typ her einfach jung, dynamisch und ein bisschen flippig. Meinen ersten Titel „Ohne dich“, ein Cover des Hits der Münchener Freiheit, haben wir als Partysong herausgebracht. Da lag das mit dem Ballermann natürlich nahe. Ich hatte dann im Jahr 2012 einen Promo-Auftritt im Bierkönig. Diejenige, die mich damals gebucht hatte, wollte im Anschluss über meinen Auftritt reden. Ich war kurz vorm Heulen und mega aufgeregt, weil ich überlegt habe, was ich falsch gemacht habe. Am Ende habe ich mich umsonst bekloppt gemacht, denn sie waren alle begeistert, und ich durfte bleiben. Durch Leistung und Überzeugung war es dann ein Selbstläufer. Seit zwölf Jahren bin ich nun im Bierkönig.
Wie lange möchtest du es noch am Ballermann machen?
Es ist eine absolute Bauchentscheidung. Solange wie es noch funktioniert und die Leute mich sehen wollen, mache ich es. Wenn ich dann irgendwann merke, dass die Zeit der herumspringenden Marry vorbei ist, dann werde ich in den gediegeneren Pop-Schlager zurückkehren. Ich habe es damals im Pop-Schlager probiert, doch dafür war ich noch zu quirlig auf der Bühne. Ich musste zu Partylocations, wo ich mich austoben kann, weil ich sehr viel Power auf der Bühne habe.
Früher war der Ballermann uncool, mittlerweile ist er gesellschaftsfähig geworden. Hier singen Anwälte, Ärzte und Manager die Songs.
Schlagersängerin Marry
Wie hat sich in den vergangenen Jahren die Klientel am Ballermann verändert?
Die Leute feiern schon ein wenig wilder. Im Juli sind auch mehr junge Leute da als früher. Die Leute wollen „voll auf die Fresse“ die Songs haben. Du kannst nicht mit einer total ruhigen Nummer ankommen, weil die Leute dafür gar keine Lust und keine Geduld haben. Im Zweifelsfall holen sie dich dann runter von der Bühne. Trotz der Veränderung, die auch in der Gesellschaft stattgefunden hat, kann man von einer Partygemeinde sprechen. Früher war der Ballermann uncool, mittlerweile ist er gesellschaftsfähig geworden. Hier singen Anwälte, Ärzte und Manager die Songs. Ich sage immer: Die Partymusik vereint. Es wird gemeinsam gefeiert, und die Sorgen werden vergessen.
Der Ballermann gilt als Haifischbecken, da die Konkurrenz unter den Künstlern groß ist. Was sind deine Erfahrungen?
Jeder, der neu in die Branche hinzustößt, wird nicht gern gesehen. Das musste ich am eigenen Leib erfahren. Ich habe es ohne Vitamin B und frei von Skandalen geschafft. Ich gehe meinen eigenen Weg. Ich arbeite hart und viel und bin daher einer der Künstler, die schon so lange im Bierkönig sind. Gegenüber Kollegen bin ich sehr vorsichtig. Ich habe meine Erfahrungen gemacht. Ich habe diesbezüglich schon 100-mal zu Hause gesessen, geheult und wollte alles hinschmeißen. Ich glaube, da bin ich nicht die Einzige. Alles, was an Konkurrenz da ist, nimmt anderen wieder Jobs weg. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, alle sagen „Marry, toll!“. Ich gehe mit Respekt an die Sache ran. Ich versuche, mich nicht in irgendwelche Gespräche verwickeln zu lassen. Ich mache meinen Job, gehe von der Bühne herunter und fahre nach Hause. Ich fange nicht an, mit dem Publikum zu saufen oder über andere Künstlerkollegen zu reden.
Wenn du das ganze Jahr durchpowerst, gibt es Momente wie gerade jetzt, in denen dir dein Körper sagt: „Stopp!“ Darauf muss man hören, denn Job und Geld sind nicht alles.
Marry
Ich glaube, es ist wichtig, einen gewissen Abstand zwischen Privatleben und Berufsleben zu halten. Das klappt natürlich nicht immer, aber ich gebe mein Bestes. Ich glaube, aber nur so kann man stabil und langfristig in der Branche bestehen. In der Musikbranche lachen dir viele ins Gesicht, wenn du dich herumdrehst, siehst du direkt den Finger hochgehen. Dennoch gibt es ein paar Leute, die man gern mag und denen man vertraut. Man kann ja nicht alle über einen Kamm scheren.
Wo trittst du überall auf, und wie hältst du dich fit bei all dem Stress?
Am Ballermann trete ich von April bis Oktober ungefähr einmal die Woche auf. Im Sommer finden dann auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz Mallorca-Partys und Festivals statt. Dann gibt es noch Oktoberfeste und Après-Ski. Im Januar/Februar geht es dann mit Karneval los. Ich trinke so gut wie keinen Alkohol und versuche, Klimaanlangen zu meiden. Nach den Auftritten fahre ich wieder schnell ins Hotel oder nach Hause. Ich nehme mir hin und wieder mal eine Auszeit von vier, fünf Tagen.
Zurzeit schleppe ich eine Bronchienentzündung mit mir herum. Wenn du das ganze Jahr durchpowerst, gibt es Momente wie gerade jetzt, in denen dir dein Körper sagt: „Stopp!“ Darauf muss man hören, denn Job und Geld sind nicht alles. Am Ende musst du oben auf der Bühne stehen, Leistung bringen und überzeugen. Am Ballermann bin ich nicht nur Sängerin, sondern auch Entertainerin. Das heißt, ich bewege mich viel während des Auftritts und bin dann im Anschluss nass geschwitzt.
Es ist nicht so, dass das Ballermannpublikum doof ist: Sie merken direkt, ob du Lust hast, etwas kannst oder, ob du sie für blöd verkaufst. Da sind sie sehr empfindlich.
Marry
Welche negativen Erfahrungen hast du auf der Bühne schon machen müssen?
Mir wurde noch nie etwas gegen den Kopf geschmissen oder etwas Böses gegen mich gesagt. Das liegt vielleicht daran, dass ich ein Kumpeltyp bin. Ganz am Anfang rief mal einer: „Ausziehen!“ Das belächelt man dann. Es liegt aber auch immer daran, wie man sich verkauft. Wenn ich zum Beispiel mit einem riesigen Ausschnitt und hochgedrücktem Busen auf die Bühne gehen würde und dann schief über ein Vollplayback singe, reagieren die Leute respektlos.
Im Sommer haben Mallorquiner gegen den Massentourismus auf der Insel protestiert. Die Regionalregierung der Balearen geht strenger gegen Sauftourismus vor. Glaubst du, dass der Ballermann als Künstlerparadies gefährdet ist?
Das Thema, dass der Ballermann abgeschafft wird, gibt es, glaube ich, schon seit zehn, elf Jahren. Mallorca ist auch durch den Ballermann zu einem der beliebtesten Urlaubsziele geworden. Auf der einen Seite bekommen die Spanier sehr viel Geld von den Touristen, auf der anderen Seite darf es natürlich nicht sein, dass die Spanier sich aufgrund des Sauftourismus im eigenen Land nicht mehr wohlfühlen. Ich glaube, man muss einen Mittelweg finden: Feiern mit Niveau und Respekt.
Würdest du jungen Leuten empfehlen, eine Karriere am Ballermann einzuschlagen?
Die Leute da draußen denken: „Boah, hat die ein geiles Leben!“ So ist es nicht nur. Es ist megaharte Arbeit. Man muss starke Nerven und genügend Ehrgeiz haben, da es viele Leute gibt, die kein Interesse haben, dass du durchstartest. Es ist eine hart umkämpfte Branche. Hast du aber irgendwann mal eine Position erreicht, wo dir keiner etwas groß anhaben kann, dann muss man sich fokussieren und sein Ding machen. Es ist aber kein leichtes Unterfangen.
Oft haben es ehemalige Teilnehmer vom RTL-„Dschungelcamp“ mit einem Song am Ballermann versucht. Doch was musste ich mir dort ansehen? Sie haben über Vollplayback gesungen und wurden dabei ausgebuht und mit Eiswürfeln beschmissen. Es ist nicht so, dass das Ballermannpublikum doof ist: Sie merken direkt, ob du Lust hast, etwas kannst oder, ob du sie für blöd verkaufst. Da sind sie sehr empfindlich. Es ist Wahnsinn, dass über den Ballermann als vermeintlich leichten Einstieg immer wieder probiert wird, in die Musikbranche zu kommen. Doch die Leute scheitern und sind direkt wieder weg von der Playa.
Das Gespräch führte Daniel Dresen