„Wenn die Leute Post von uns im Briefkasten haben, dann ist tags drauf die Hütte voll.“ Sandra Schattner ist Teamleiterin bei der EVM und hat vor allen Dingen eins: Verständnis. Deeskalieren, emphatisch kommunizieren und vor allen Dingen die Probleme, mit denen sie am Gesprächstisch konfrontiert sind, nicht mit nach Hause nehmen. Diese Grundregeln haben die EVM-Kundenberater trainiert. Und diese müssen sie seit Monaten anwenden. Obwohl es eigentlich nur um einen Gas- oder Stromversorgungsvertrag geht.
Hohe Investitionssummen für Kundeninformationen
Doch was heißt nur. Erst durch die Corona-Krise gestörte Lieferketten auch bei der Strom- und Gasversorgung, dann das Ahr-Hochwasser, das auch EVM-Kunden traf, seit dem 24. Februar die Energieversorgungskrise im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg, danach drastische Preiserhöhungen bei Strom und Gas. Dazu das Hin und Her bei den geplanten Gegenmaßnahmen durch Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat. „Da sind wir als Energieversorger, der die Preise erhöhen muss, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“, meint Sandra Schattner.
Die Leute sind seit Corona einfach dünnhäutiger geworden.
Sandra Schattner
EVM-Pressesprecher Marcelo Peerenboom nennt es schlicht „Wahnsinn“, was da auch durch die Politik angerichtet worden sei. Sein Unternehmen muss infolge unter anderem „sechsstellige“ Beträge investieren, um 125.000 Gas- und 155.000 Stromkunden über anstehende Preiserhöhungen zu informieren.
Auch bei den Stadtwerken Neuwied gibt es Nachfragen der Kunden, „wir merken, dass es mehr wird“, sagt Sprecher Gerd Neuwirth. Eine intensive Kommunikation auch auf Facebook und in Newslettern habe aber dazu geführt, dass sich der Andrang noch in Grenzen hält.
Alles ist teurer geworden
Den „Wahnsinn“ muss bei der EVM unter anderem Jacqueline Klaile aushalten, wenn vor ihr Menschen sitzen, die das alles nicht mehr verstehen. Die die Stromrechnung nicht mehr bezahlen können oder wollen, weil die Preise doch angeblich schon wieder sinken. Die den Brief der EVM ungeöffnet vor der Beraterin auf den Tisch knallen und sie beschimpfen.
„Die Leute sind seit Corona einfach dünnhäutiger geworden“, meint Teamleiterin Schattner. Zu Schlimmerem kommt es offenbar nicht, der Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma im Raum ist wohl präsent genug.
Jacqueline Klaile wirkt entspannt: „Ich wollte eigentlich in die Sozialarbeit. Ich arbeite gern mit Menschen. Jetzt eben hier.“ Und sie kann ja oft helfen. „Kann jemand wirklich nicht die Stromrechnung bezahlen, dann finden wir hier auf dem Stuhl eine Lösung“, ist sich ihre Teamleiterin Sandra Schattner sicher.
Doch manchmal geht es ums Grundsätzliche, dann reichen die kostenlosen Stromspartipps nicht mehr aus. Alles ist teurer geworden. Manche wollen einfach mal darüber sprechen. Dann empfiehlt Klaile auch den Sozialdienst Carmen der Caritas, mit der die EVM eine Kooperation geschlossen hat.
Kundenberater der Energieversorgung Mittelrhein (EVM) haben ihre eigene Energiekrise: Sie sind am Telefon im Dauerstress und fühlen sich plötzlich auch als Seelsorger, weil tausendfach Anrufe von total verzweifelten Kunden eintreffen – wie bei der Telefonaktion unserer Zeitung mit der EVM.Bei Fragen zu Strom und Gas laufen Leitungen heiß: Berater der EVM geben Antworten
„Ein Zurück zu den Preisen vor dem Ukraine-Krieg wird es vermutlich nicht geben“
„Was wir hier jeden Tag erleben, ist die Achterbahn der Gefühle“, fasst Kollegin Anna-Lena May ihre Erfahrungen zusammen. Dazu gehören auch die schönen Dinge des Lebens: Da ist der ältere Herr, der den Frauen im Kundenzentrum regelmäßig frische Blumen bringt, oder ein anderer, der die Tüte Bonbons spendiert. Ein Kundenzentrum des Energieversorgers ist in diesen Monaten eben auch eine Art Sozialzentrum mit Kaffeebar.
Wie lange hält aber die Krise noch an? Pressesprecher Peerenboom wagt keine Prognose: „Es heißt, dass 2024 vielleicht mit einer Art Normalität der Preisentwicklungen zu rechnen sei.“ Aber: „Ein Zurück zu den Preisen vor dem Ukraine-Krieg wird es vermutlich nicht geben.“ Es klingt wie der Abgesang auf eine gute alte Zeit.
Ab Januar steigen die Energiepreise
Im neuen Jahr werden für die meisten Menschen im Kreis Neuwied Gas und Strom teurer: Die Stadtwerke Neuwied (SWN) und die Energieversorgung Mittelrhein (EVM) erhöhen zum 1. Januar ihre Preise. Im November haben die Kunden der beiden Versorger entsprechende Anschreiben erhalten.
Die hohen Beschaffungskosten führen sowohl EVM als auch SWN als Grund an, warum sie vor allem den Strompreis deutlich anheben. Eine Überraschung ist das nicht, „seit zwei Jahren haben wird immer wieder kommuniziert, dass die Preise steigen werden“, so SWN-Sprecher Gerd Neuwirth. Im Lauf des Jahres 2022 konnte man hier die Preise stabil halten, „aber die Einkaufspreise sind durch die Decke gegangen“, so Neuwirth.
Zum Vergleich: Hat man im Einkauf im Januar 2021 noch 50 Euro je Megawattstunde Strom bezahlt, waren es im August 2022 stolze 1000 Euro und jetzt immer noch 370 Euro. Beim Gas stiegen die Preise je Megawattstunde von 15 auf 330 Euro im August, aktuell liegen sie bei 146 Euro.
Im Januar verschicken die Stadtwerke die jeweilige Jahresverbrauchsabrechnung. Auf dieser Grundlage und auch vor dem Hintergrund der erhöhten Preise werden dann ab Februar neue Abschläge fällig. Die geplante, aber noch nicht beschlossene Gas- und Strompreisbremse des Bundes ist in den Preisen noch nicht berücksichtigt, betont die EVM. Vorgesehen ist, die Strompreise auf 40 Cent pro kWh zu deckeln.
sem