„Das potenzielle Abstürzen geschädigter Natursteine stellt eine latente Gefahr dar“, fasst die Verwaltung die Situation in einer Vorlage für die städtischen Gremien zusammen. Betroffen ist die Fassade des sogenannten Neubaus aus dem Jahr 1977. Seinerzeit verwendete der Architekt norwegischen Porsgrunn-Kalkstein – hellgraue Platten mit schwarzen Einsprengseln.
Wie sich nun bei einer Überprüfung herausgestellt hat, gibt es zwei Probleme mit der Fassade. Zum einen sind die verwendeten Platten von unterschiedlicher Qualität. „Im selben Steinbruch kamen damals wohl brauchbare und unbrauchbare Steinfestigkeiten vor“, erläutert die Stadtverwaltung.
Das potenzielle Abstürzen geschädigter Natursteine stellt eine latente Gefahr dar.
Aus einer Verwaltungsvorlage für die städtischen Gremien
Zum anderen hat die Überprüfung ergeben, dass die Platten seinerzeit offenbar falsch angebracht wurden. Eigentlich müssen sie so befestigt werden, dass sie sich bei Veränderungen der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit, die im Wechsel der Jahreszeiten auftreten, bewegen können. Tatsächlich aber fehlen in großen Bereichen ausreichende Abstände, sodass „eine zwingend erforderliche Bewegungsfreiheit der Fassadenplatten fehlt“, heißt es in der Vorlage für die Gremien. Dadurch gerieten die Platten unter Druck beziehungsweise Spannung. Es bildeten sich Risse, Platten verbogen sich oder brachen durch, Teile der Fassade platzten ab.
Aus diesem Grund hat die Stadtverwaltung den die Kalksteinplatten im Hinblick auf ihre Statik näher untersuchen lassen. Dabei zeigte sich, „dass nahezu alle vorhandenen Fassadenplatten nicht ausreichend standsicher sind und erneuert werden müssen“, teilt die Verwaltung mit. Und mehr noch: Auch eine Betonsanierung scheint notwendig zu sein.
Feldversuch zur Gefahrenanalyse
Was bedeutet das für die Sicherheit der Menschen, die sich in der Nähe der maroden Fassade aufhalten? Dieser Frage ist die Stadtverwaltung nachgegangen. Gemeinsam mit einem Sicherheits- und Gesundheitskoordinator hat das Amt für Immobilienmanagement einen Feldversuch gestartet. „Hierbei wurde das Verhalten einer Fassadenplatte beim Absturz aus der Höhe beobachtet und bewertet“, berichtet die Stadtverwaltung.
Der Sicherheits- und Gesundheitskoordinator habe daraufhin eine zwei Meter hohe Umzäunung im Abstand von etwa fünf Meter von der Gebäudefassade empfohlen. Gegen möglichen Splitterflug solle der Zaun mit Folie oder Spanplatten verkleidet werden. Hintereingang und Notausgang des Gebäudes sollen mit einem Schutzdach gegen herabstürzende Teile gesichert werden.
Sanierung geht in die Millionen
Auf lange Sicht führt aber wohl kein Weg an einer umfassenden Sanierung vorbei. Das betrifft neben den Fassadenplatten aus Porsgrunn-Kalkstein auch den Beton und die Fenster. Alle aus der Entstehungszeit des Gebäudes verbauten Materialien seien „zumindest in die Jahre gekommen“, erklärt die Verwaltung, und sollten aus energetischen und wirtschaftlichen Gründen ausgetauscht werden. Das würde Heizenergie einsparen und auch die Arbeitsatmosphäre deutlich verbessern.
So umfassende Arbeiten haben ihren Preis – wobei sich die genauen Kosten zu diesem Zeitpunkt noch nicht bis auf den letzten Euro genau schätzen lassen. Die vorläufige der Stadtverwaltung Kostenschätzung beläuft sich auf 2,7 bis 4 Millionen Euro. Über das weitere Vorgehen entscheidet der Stadtrat in seiner Sitzung am Donnerstag, 13. Juli, im Heimathaus.
Parallele zum Mainzer Rathaus
Schlechte Erfahrungen mit Porsgrunn-Kalkstein hat man auch in Mainz gemacht. Zum Schutz vor möglicherweise herabfallenden Platten mussten im Januar 2018 Netze um das Mainzer Rathaus gespannt werden. In den Monaten zuvor hatten bereits Bauzäune verhindert, dass Fußgänger zu nah an das Gebäude kommen. Experten hatten festgestellt, dass die grauen Kalksteinplatten porös sind und sich einzelne Stücke lösen könnten, wie auch unsere Zeitung damals berichtete.
Das Rathaus am nördlichen Rand der Mainzer Altstadt wurde nach einem Entwurf der dänischen Architekten Arne Jacobsen und Otto Weitling von 1968 bis 1970 geplant und mit einer Stadtratssitzung am Silvestertag 1973 in Betrieb genommen. Es gilt als eines der bedeutendsten Gebäude der Nachkriegsarchitektur in Deutschland. Seit 2005 steht es unter Denkmalschutz.
Im Mainzer Rathaus sind schwere Schäden an den Fassaden indes nicht das einzige Problem, wie die Stadt Mainz auf ihrer Internetseite zur Rathaussanierung berichtet. Demnach gibt es im Gebäude auch eine veraltete und nicht mehr funktionsfähige Haustechnik. Zudem bestehen Brandschutzmängel. Die aufwendige Sanierung des hat bereits im Jahr 2012 mit einer Machbarkeitsstudie begonnen. hrö