Das Netzwerk Kita in der VG Asbach etwa kann dem Gesetz nicht viel Positives abgewinnen. Netzwerksprecher Christoph Zimmer konfrontierte Bildungsministerin Stefanie Hubig bereits vor einigen Monaten auf einer Veranstaltung in Asbach mit den praktischen Erfahrungen nach der Einführung des Gesetzes. „Wie soll die gemeinsame Betreuung von Kindern mit und ohne Behinderung gelingen, wenn die Rahmenbedingungen nicht ausreichen?“, fragte er. Das Kitagesetz stelle keine zusätzlichen Personalressourcen zur Verfügung. Dabei würde man in der Praxis feststellen, dass die Zahl der Kinder mit besonderem Bedarf ständig steigt und den Kitas eine kaum zu bewältigende Belastung beschert.
Kerstin Neckel und Jürgen Ulrich vom Kreisjugendamt weisen darauf hin, dass alle Experten darin übereinstimmen, dass Kinder mit erheblichen Behinderungen weiterhin spezifische Angebote brauchen. „Dies ist in einer Regelkita nicht möglich. In diesen Fällen auf den Rechtsanspruch in einer Kindertagesstätte zu verweisen, führt an den Bedürfnissen dieser Kinder vorbei“, so ihre Erfahrung.
Geld für Kitas reicht nicht
Claudia Theobald vom Kitafachkräfteverband Rheinland-Pfalz hatte schon vor anderthalb Jahren die Mängel angeprangert. „Während die Betreuungszeiten ausgeweitet und Kinder in immer jüngerem Alter betreut werden, wurde das erforderliche Geld für eine gute pädagogische Qualität und inklusive Rahmenbedingungen nicht in die Hand genommen. Unser Kitasystem mit zu vielen Kindern auf engem Raum und Personalschlüsseln, die nicht kindgerecht sind, zeigt deutliche strukturelle Mängel. Unter diesen Voraussetzungen sind dem inklusiven Arbeiten enge Grenzen gesetzt“, meinte sie. Das Kita-Zukunftsgesetz bedeute für die Kitas im Land weniger Qualität, weniger Kindeswohl und weniger Zeit für das einzelne Kind und die pädagogische Arbeit.
Letztendlich geht es im Gesetz vor allem ums Geld, vermuten eigentlich alle Experten, mit denen wir gesprochen haben. Und hier offenbaren sich weitere Tücken. Einrichtungen freier Träger drohen zu scheitern, weil auch das Abrechnungssystem geändert wurde und jetzt für viele kaum mehr zu bewältigen ist.
Land deligiert Versorgung an Kommunen
Der Gesetzgeber verkauft die Änderung als großen Wurf, wie Arbeits- und Sozialminister Alexander Schweitzer auf eine Kleine Anfrage erläuterte. „Die Übertragung der Zuständigkeit auf die kommunale Ebene hat den Vorteil, dass sowohl die Gesamtverantwortung für die Eingliederungshilfe als auch für die Jugendhilfe (Bedarfsplan der Kita) zusammengeführt wird.“ Die Folge dieser geschmeidig formulierten Begründung ist ein bürokratischer Super-GAU für Träger, Kommunen und Jugendämter. Das Land hingegen, das die Versorgung der Kinder mit Behinderung an die Kommunen delegierte, übt nur noch die Rechtsaufsicht aus.
In spezielle integrative Kitas gehen Kinder mit und ohne Beeinträchtigung. Bislang wurden solche Kitas pauschal finanziert. Jetzt muss für jedes Kind im Einzelfall entschieden werden, wie viel Betreuungsbedarf es hat und wie viel Personal dafür benötigt wird. Ein Kraftakt, der heilpädagogische Einrichtungen in ihrer Existenz bedroht und der unter Umständen bedeutet, dass wichtige Therapien nicht mehr unter dem Dach einer Kita stattfinden. Sie müssen dann außerhalb der Kita nachgeholt werden, kritisieren die Träger.
„Neuwieder Modell“ macht Schule
Eine Lösung dafür hat nicht der Gesetzgeber entwickelt, sondern der Kreis Neuwied. Hier wurde eine unbürokratischere Lösung gesucht und gefunden und macht nun als „Neuwieder Modell“ Schule.
Auch Landrat Achim Hallerbach sieht das neue Kitagesetz kritisch. „Es passt nicht in die reale Welt der täglichen Kitaarbeit. Es fehlt an Flexibilität, es fehlt an adäquater und am Wohle des Kindes ausgerichteter Personalausstattung, es ist nicht zeitgemäß. In manchen Arbeitsbereichen hat das Kitagesetz Rückschritte verursacht; da wo es modern sein möchte, ist es nicht alltagstauglich“, bemängelt er. Trotz Erweiterung der Betreuungszeiten (sieben Stunden mit Mittagessen) würden Komponenten für individuelle Anpassungen fehlen.
Kitapersonal ist überlastet
„Die Folge ist, dass das Kitapersonal überlastet ist, die Mitarbeiterinnen ihr wirklich Bestmögliches an Einsatz geben, dadurch jedoch vielfach erkranken und längere Ausfallzeiten haben“, sagt Hallerbach und verweist auch auf den Fachkräftemangel, durch den große Ausfallzeiten entstehen, wodurch es zu Gruppen- oder Kitaschließungen komme.
„Mit einer landesweiten Image-Plakatkampagne des Bildungsministeriums werden keine neuen Erzieherinnen gewonnen. Die Rahmenbedingungen für die Fachkräfte müssen verbessert, und sie müssen wertgeschätzt werden. All dies wird im Kitagesetz nicht berücksichtigt. Deshalb fordere ich, dass dieses Gesetz umgehend evaluiert und an die Alltagsarbeit der Kita-Teams angepasst wird“, so Hallebach. „Wir brauchen jetzt Veränderungen.“
Das “Neuwieder Modell"
Das neue Kitagesetz bringt auch bei der Kostenerstattung Herausforderungen mit sich. Hier ist ein bürokratischer Abrechnungswust entstanden, der kaum mehr zu überblicken ist, sagen Jürgen Ulrich und Kerstin Neckel von der Abteilung Jugend und Familie im Kreis Neuwied. Freie Träger können das kaum stemmen, aber der Kreis Neuwied hat einen Weg gefunden, wie die Abrechnungen für die Träger halbwegs praktikabel gestaltet werden können: das „Neuwieder Modell“.
Dieses erklären Ulrich und Neckel am Beispiel des Heilpädagogisch-Therapeutischen Zentrum (HTZ) in Neuwied. Auch vor der Einführung des neuen Gesetzes besuchten Kinder mit und ohne Beeinträchtigung (Regelkinder) die Kita. Die Regelkinder kamen aus Neuwied. Weil es nicht überall heilpädagogische Plätze gibt, kamen Kinder mit Beeinträchtigungen aber nicht nur aus dem Kreis Neuwied, sondern unter anderem aus der Stadt Koblenz oder dem Landkreis Mayen-Koblenz. Die Personalkosten wurden zwischen dem Land und der örtlichen Kommune, hier der Stadt Neuwied, geteilt. Bisher hat auch der Kitaträger einen Eigenanteil getragen.
Klar ist, und daran hat auch das neue Gesetz nichts geändert: „Beeinträchtigte Kinder brauchen spezifische Angebote, einen erhöhten Personaleinsatz, besonders qualifiziertes Personal und einen besonderen Sachaufwand“, erläutert Neckel. Die Kosten dafür hat das HTZ als Träger über den „Pflegesatz“ abgerechnet. „Bisher waren damit sämtliche Betreuungskosten des Trägers abgedeckt. Die Kostenübernahme erfolgte durch das Sozialamt der Kommune, aus deren Einzugsbereich das Kind stammt“, so Ulrich. Für die Kita des HTZ Neuwied bedeutete das: Stammt ein beeinträchtigtes Kind aus Koblenz, zahlt das dortige Sozialamt, stammt das Kind aus dem Kreis MYK, muss der bezahlen.
Das neue Kitagesetz macht die Abrechnung unüberschaubarer und erheblich komplizierter. Mit der Begründung, dass sämtliche Kinder einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz haben, werden die Kosten jetzt zwischen den Jugend- und Sozialämtern aufgeteilt.
Alle Kinder werden gleich gesehen und besuchen eine Regelkita. Ist ein Kind jedoch behindert und stammt aus Koblenz, muss das HTZ die Personalkosten, die auf die Regelbetreuung entfallen, zunächst mit der Stadt Neuwied abrechnen. Die Stadt Neuwied wiederum muss diese Kosten beim Jugendamt der Stadt Koblenz zurückfordern, da es ja aus Koblenz stammt. Gleichzeitig soll der Mehraufwand, der durch die Behinderung entsteht, vom Sozialamt der Stadt Koblenz bezahlt werden. Das heißt: Das HTZ als Träger muss nun schauen, dass die Kosten für ein- und dasselbe Kind mit verschiedenen Sozial- und Jugendämtern abgerechnet werden und die Gesamteinahmen kostendeckend bleiben.
„Bei diesem Aufwand hat das HTZ in Neuwied eigentlich keinen Grund, Plätze für Kinder aus dem Einzugsbereich anderer Kommunen vorzuhalten“, befürchtet das Jugendamt des Kreises. Gleichzeitig könne man von der Stadt Neuwied nicht verlangen, für sämtliche Kinder mit einer Beeinträchtigung, die von außerhalb kommen, die Kosten vorzustrecken. „Das sogenannte Neuwieder Modell dient dazu, das Abrechnungsverfahren für die Träger auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, damit das Platzangebot bei Einrichtungen wie dem HTZ erhalten werden kann“, betonten Neckel und Ulrich. Der Kreis Neuwied reicht hier das Geld vom Land an die Träger weiter. Alles andere regeln die zuständigen Ämter untereinander, um die Träger zu entlasten und die besonderen Plätze zu erhalten.
san