Der Bahnhof ist immer eine Visitenkarte des jeweiligen Ortes. Der erste Eindruck zählt. Eva Kreienkamp kennt den Bahnhof Neuwied sehr gut. Jahrelang ist die Waldbreitbacher Mobilitätsexpertin von hier mit dem Zug Richtung Mainz gefahren. In der Landeshauptstadt war sie Co-Geschäftsführerin der Mainzer Verkehrsgesellschaft. Später wurde sie Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe, des größten kommunalen Verkehrsunternehmens Deutschlands. Zuletzt kandidierte die 62-Jährige als Bürgermeisterin der VG Rengsdorf-Waldbreitbach, schaffte aber nicht den Sprung in die Stichwahl. Für unsere Zeitung wirft Kreienkamp nun einen kritischen Blick auf den Verkehrsknotenpunkt des öffentlichen Personennahverkehrs im Kreis Neuwied.
Was positiv auffällt: Die Wege zwischen den Bahngleisen und den Haltestellen des Busbahnhofs sind nicht weit, um Anschlussverbindungen zu erreichen. Doch die Fahrpläne des Bahn- und des Busverkehrs seien kaum aufeinander abgestimmt, kritisiert Kreienkamp. „Sie winken dann fröhlich hinterher und dürften dann eine Stunde auf den Bus warten. Das hat natürlich zur Folge, dass sie mit dem Auto abgeholt werden“, berichtet die Waldbreitbacherin.
Die unterschiedlichen Fahrpläne müssten heute stärker datenbasiert nach Verkehrsströmen aufeinander abgestimmt werden. Insgesamt mangele es dem Landkreis Neuwied an Kreativität, was die Gestaltung des ÖPNV-Angebots angeht. Sie schlägt eine Versuchsstrecke für einen autonom fahrenden Linienbus vor. „Der Landkreis könnte ja mal die Ambition haben, ein Experiment zu machen. Es bietet sich einfach an, weil wir hier so wahnsinnig viele Straßen haben, wir aber relativ dünn besiedelt sind“, so Kreienkamp.
Auf Höhe des Bahnhofsgeländes beobachtet die Expertin abends auf der Augustastraße ein Phänomen, was sonst vor allem aus Großstädten bekannt ist: Autoposer lassen auf der geraden Strecke entlang des Bahnhofs die Motoren ihrer Maschinen aufheulen. „Es wird hier durchgebrettert, um zu sehen, was geht.“
Rechts neben dem Busbahnhof befindet sich das Bahnhofsgebäude, das seit vergangenem August wegen Statikproblemen für den Publikumsverkehr gesperrt ist. Es ist nach Auskunft der Deutschen Bahn so marode, dass es im Laufe der im Juli 2026 beginnenden Sanierung der rechtsrheinischen Bahnstrecke zwischen Troisdorf und Koblenz abgerissen wird. Der Konzern plane den Neubau einer „ modernen und effizienten“ Bahnhofshalle.
„Ich beobachte den Niedergang des Bahnhofs seit rund 16 Jahren“, sagt Kreienkamp beim Blick auf das Bestandsgebäude. Vor Jahren hatten Bahnreisende hier noch die Möglichkeit, sich im Reisezentrum bei Buchungen persönlich beraten zu lassen. Nun muss man hierfür an den Hauptbahnhof nach Koblenz.
„Ich finde, öffentliche Toiletten sind eine kulturelle Errungenschaft. Dass Männer überall gegenpissen können und Frauen eben nicht, halte ich für schwierig.“
Eva Kreienkamp fordert eine neue öffentliche Toilette am Bahnhof Neuwied
Sie hofft, dass mit dem Neubau der Bahnhofshalle auch gleich an eine neue öffentliche Toilette gedacht werde. Die bisherigen Toiletten liegen versteckt hinter einem Kiosk und sind teilweise defekt. „Ich finde, öffentliche Toiletten sind eine kulturelle Errungenschaft. Dass Männer überall gegenpissen können und Frauen eben nicht, halte ich für schwierig. Ein öffentliches Klo ist ein Teil der Daseinsfürsorge“, so Kreienkamp.
Ein beliebter Ort für Wildpinkler sind unter anderem die Unterführungen in Bahnhöfen – so auch in Neuwied. Sauberkeit ist wie in jedem Bahnhof auch in der Deichstadt ein großes Problem. Der Mitarbeiter einer Reinigungsfirma versucht gerade bei unserem Besuch, mühevoll den wilden Müll von Reisenden am Bahnsteig und im Treppenbereich einzusammeln.
Aus Sicht von Kreienkamp hat der Neuwieder Bahnhof aufgrund seiner Lage zwischen Köln und Koblenz, wo Reisende Anschluss an den Fernverkehr bekommen, eine große Bedeutung. „Sie kommen dann jedes Mal hierhin und denken: ‚Wo bin ich hier gelandet?’“ Die Deutsche Bahn habe es bis heute nicht verstanden, dass ihre Bahnhofsgebäude auch den Konzern repräsentieren würden. „Sie geben damit deutlich Zeugnis davon, dass es ihnen in manchen Fällen eigentlich auch scheißegal ist“, so Kreienkamp.
Ein großer Kritikpunkt vieler Reisender an der Deutschen Bahn ist auch die mangelhafte Kommunikation im Falle von Verspätungen. Ein Beispiel: Teilweise sind die Verspätungsbenachrichtigungen in der Handyapp der Bahn aktueller als die Bildschirmanzeige am Bahnsteig. Kreienkamp nimmt an, dass die vielen unterschiedlichen Systeme im Bahnkonzern nicht immer richtig aufeinander abgestimmt sind.
Gesamtnote ausreichend
Was die Barrierefreiheit des Neuwieder Bahnhofs angeht, zählt er mit dem Bahnhof Linz zu den Vorzeigebahnhöfen im Kreis Neuwied: Der Aufzug in Neuwied funktioniert bei unserer Prüfung. Kreienkamp würde sich wünschen, dass sich die Deutsche Bahn ein Beispiel an der Schweiz nimmt, wo Bahnhöfe so konzipiert werden sollen, dass sie ohne Treppenbereiche gebaut werden. Stattdessen werde auf Rampen gesetzt, die alle Reisenden nutzen können. Nach unserem Rundgang vergibt die Mobilitätsexpertin Eva Kreienkamp dem Bahnhof Neuwied als Verkehrsknotenpunkt des Kreises noch eine Gesamtnote: eine Vier für ausreichend.
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