RZ-Speeddating geht in die nächste Runde: Kreistagskandidaten geben Antworten zum Thema Flüchtlinge
Es gibt keine einfachen Lösungen: So wollen Neuwieder Kreistagskandidaten mit Flüchtlingen umgehen
Minderjährige Flüchtlinge
Integration fängt bei der Sprache an, doch wie soll es dann mit den Geflüchteten im Kreis weitergehen? Gibt es genug Wohnraum, genug Arbeitsplätze? Damit haben sich die Kreistagskandidaten in der letzten Speeddatingrunde befasst. Foto: dpa/Birgit Reichert
Birgit Reichert. picture alliance / Birgit Reiche

Kreis Neuwied. Das Thema Flüchtlinge polarisiert. Man muss helfen, da sind sich die Spitzenkandidaten einig, die die RZ bei einem Speeddating zu dem Thema befragt hat.

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Die Frage ist jedoch, wie viel können der Kreis und die Kommunen noch leisten? Die Frage ist auch, wann die Akzeptanzgrenze der Bevölkerung erreicht ist? Außerdem geht es um finanzielle Belastungen und fehlenden Wohnraum. Der Kreis Neuwied hat seit 2022 4600 Geflüchtete aufgenommen, inklusive der Menschen aus der Ukraine. Dazu kommen auch Geflüchtete, die 2015 in den Kreis gekommen sind. 1200 leben jetzt dauerhaft hier.

Lösungen müssen vom Bund kommen. Wir haben keine Einflussmöglichkeiten.

Michael Christ (CDU)

Einig waren sich alle Spitzenkandidaten darin, dass das Thema schwierig ist und dass es keine einfachen Lösungen geben kann. „Lösungen müssen vom Bund kommen. Wir haben keine Einflussmöglichkeiten“, sagt Michael Christ (CDU). Er lobt den Kreis, der 100 Prozent der Unterbringungskosten erstattet. Ob das so bleibt, sei nicht absehbar, weil Förderungen von Bund und Land für 2025 noch nicht zugesagt sind. „Das ist ein Damoklesschwert, da nach dem Unterbringungsgesetz die Kommunen für die Unterbringung zuständig sind“.

Man könne nur hoffen, dass weniger Flüchtlinge kommen und dass abgelehnte Asylbewerber das Land auch verlassen. Denn Wohnraum gebe es nicht mehr. Unterbringungen in Containern seien alternativlos. Neu zu bauen, könnten sich Kommunen nicht leisten. Allerdings entspanne sich die Situation kurzfristig immer wieder. „Die Residenzpflicht endet nach drei Monaten. Die Leute können dann reisen sowie umziehen und kommen dann nur noch zum Ersten des Monats, um das Portemonnaie aufzutanken und gehen dann meist in Städte zu Freunden und Familie.“

Sie erwarten, dass die Menschen, die zu uns kommen, sich auch an unsere Regeln halten. Das müssen wir einfordern.

Martin Diedenhofen (SPD)

Auch Martin Diedenhofen (SPD) bereitet die Unterbringung Kopfzerbrechen. Er hofft, dass das neue europäische Asylsystem greift. „Wir müssen eine größere Solidarität organisieren. Das löst zwar aktuell keine Probleme der Kommunen, aber es ist ein wichtiger Schritt.“ Containerlösungen seien „nicht schön“. „Aber wir müssen die Leute unterbringen und dafür sorgen, dass weniger Menschen ankommen“, meint er. Die Bezahlkarte sei ein wichtiger Punkt. Außerdem müsse die Stimmung der Bürger ernst genommen werden. „Sie erwarten, dass die Menschen, die zu uns kommen, sich auch an unsere Regeln halten. Das müssen wir einfordern.“ Wichtig sei, dass die Kommunen finanziell bei der Unterbringung unterstützt werden, betont er.

Große Probleme bei der Vielzahl der Nationalitäten sieht Ulrich Schreiber (FDP). „Sie bekämpfen sich oft. Die Leute sollten schnell – etwa für gemeinnützige Zwecke – beschäftigt werden, damit sie mal aus dem Umfeld rauskommen und nicht auf dumme Gedanken kommen.“ Die Wohnungsnot sieht er besonders kritisch. „Die Kosten im Baugewerbe sind explodiert, Baufirmen sind insolvent, Investoren sind zögerlich, weil alles – inklusive der Zinsen – zu teuer geworden ist. Im sozialen Wohnungsbau sind Bauanträge auf Eis gelegt. Da tut sich nichts. Das verschärft natürlich die Situation.“

Ich bin froh über die Bezahlkarte, damit das Geld nicht nach Hause geschickt werden kann.

Ulrich Schreiber (FDP)

Im Hinblick auf die Akzeptanz sei es wichtig, ob Flüchtlinge anerkannt seien. „Wir wollen jedem helfen, dessen Leben bedroht ist. Aber es geht nicht, dass Wirtschaftsflüchtlinge denken, sie können hier Gelder abgreifen und das System ausnutzen. Ich bin froh über die Bezahlkarte, damit das Geld nicht nach Hause geschickt werden kann.“ Man müsse auch den „deutschen Weg“ hinterfragen. „Die Schwierigkeiten fangen schon im Kindergarten an und setzen sich in der Schule fort. In Dierdorf haben mehr als 60 Prozent Migrationshintergrund in der Kita. Das alles ist ein schwieriges Thema.“

Indes fügt Franz Udo (FWG) an, dass Geflüchtete auch eine Eigenleistung mit ins Boot bringen würden. „Quasi ein Dankeschön: Ich bin froh, dass ihr mir helft. Ganz ohne Gegenleistung ist es schwer, den Menschen alles verständlich zu machen.“ Wohnraum sei ein Riesenproblem. Es gebe aber viele „überdimensionierte Singlewohnungen“. Auch Familien würden immer kleiner. „Aber alle dahin zu kriegen, in Wohngemeinschaften zu wohnen, ist natürlich schwer rüberzubringen und steigert nicht die Akzeptanz.“

Die jungen Menschen müssen geformt werden, indem man ihnen erklärt, in welcher Gesellschaft sie jetzt leben.

Udo Franz (FW)

Wirtschaftsflüchtlinge seien zudem ein nicht tolerierbares Problem. Integration sei in Schulen und Kitas längst nicht mehr das Hauptmotiv. Es brauche Sondergruppen in Schulen oder sogar Sonderkitas. „Die jungen Menschen müssen geformt werden, indem man ihnen erklärt, in welcher Gesellschaft sie jetzt leben.“

Julia Eudenbach (Die Linke) findet das Thema sehr schwierig. „Man muss sich Gedanken machen, wie viel Kapazitäten ein Kreis hat. Der Bund muss endlich Stellung beziehen.“ Natürlich sollte jeder Schutz bekommen. „Es geht aber nicht, wenn die Kapazitäten erschöpft sind und die Bevölkerung auf die Barrikaden geht. Die Leute sind strapaziert, was viele veranlasst, falsche Parteien zu wählen. Wo sollen auch Wohnungen herkommen? Es ist schade, dass das Containerdorf in Neuwied aufgelöst wurde.“ Auch Vermieter würden scheuen, Flüchtlinge unterzubringen. „Es ist ja ein Risiko, da man nicht weiß, wer ins Haus kommt.“ Man könnte jedoch Programme auflegen, um Vermieter zu motivieren Flüchtlinge unterzubringen.

Geschäftsgrundlage für alle ist die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die Trennung von Kirche und Staat.

Jochen Bülow (BSW)

Wie seine Vorredner erkennt auch Jochen Bülow (Bündnis Sahra Wagenknecht) die Wohnungsnot. Die sei aber nicht neu. „Bund und Land müssen mehr tun. Dort darf man sich nicht darauf ausruhen, dass Kommunen das schon stemmen werden.“ Natürlich gebe es eine Aufnahmegrenze. „Die sehe ich aber noch lange nicht erreicht. Schon gar nicht auf europäischer Ebene“, sagt er, räumt allerdings ein, dass Geflüchtete völlig andere kulturelle Prägungen mitbringen, die zu Problemen führen können.

„Geschäftsgrundlage für alle ist die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die Trennung von Kirche und Staat. Das sind Essentials, für die wir Jahrhunderte gekämpft haben, die wir uns hier nicht nehmen lassen.“ Es gebe auch ein Kriminalitätsproblem. „Aber in Neuwied ist alles noch weniger problematisch als vielleicht in Frankfurt, Köln oder Berlin.“

Wir sind überfordert, und es ist auch ein gesellschaftliches Problem, aber wir müssen daran arbeiten, dass Menschen mit Migrationshintergrund schnellstmöglich integriert werden, anstatt sie zu gettoisieren.

Patrick Simmer (Ich tu's – Die Bürgerinitiative)

Dass Flüchtlinge „eine gemeinsame Aufgabe, weniger ein Problem“ seien, betont Ralf Seemann (Bündnis 90/Die Grünen). „Natürlich entstehen daraus Probleme, etwa in der Unterbringung, und bei dem, was wir mit den Menschen machen, wenn sie da sind.“ Integration fange bei der Sprache an. Auch Mütter müssten Angebote bekommen, die sie im Hinblick auf die Kinderbetreuung wahrnehmen können. Um der sinkenden Akzeptanz zu begegnen, müsse man miteinander reden und „aufhören, die Flüchtlinge am Rand zu verstecken“. Auch Seemann sieht auf dem Wohnungssektor „eine große Versorgungslücke“. „Wir kommen nicht nach, welche zu bauen. Das würden wir aber auch nicht, wenn wir keine Flüchtlinge hätten.“

Für Patrick Simmer (Ich tu's – Die Bürgerinitiative) sind Container kein Dauerzustand. „Wir sind überfordert, und es ist auch ein gesellschaftliches Problem, aber wir müssen daran arbeiten, dass Menschen mit Migrationshintergrund schnellstmöglich integriert werden, anstatt sie zu gettoisieren.“ Sie müssten schnell arbeiten können. Allerdings sieht er bei der Integration angesichts der hohen Zahlen von Kindern mit Migrationshintergrund und der steigenden Flüchtlingszahlen ein Problem. „Man braucht ausreichend Personal, das mit der Situation umgehen kann“, so Sommer. Im Rahmen von Veranstaltungen und Aktionen, bei denen die verschiedenen kulturellen Unterschiede präsentiert werden, könnte seiner Meinung nach eine Akzeptanz erreicht werden.

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