„Es war ein Glioblastom, das ist die bösartigste Form einer Gewebeentartung im Gehirn. Sie war immer so lebensbejahend und voller Lebensfreude, aber sie hatte keine Chance. Zum Schluss konnte sie nicht mehr sprechen“, erzählt ihr Mann, Frank Frorath (50), im Gespräch mit unserer Zeitung. Wie geht man damit um, wenn das Schicksal mit Wucht in ein Leben kracht und nichts mehr so ist, wie es einmal war? Wenn die Welt aufhört sich zu drehen, weil der nahende Tod viel zu früh, unausweichlich ist.
Pia war es so wichtig, etwas Lebendiges zu hinterlassen. Ihre Gedanken zu formulieren. Mit ihrer eigenen Stimme, ihre eigene Lebensgeschichte und ihre Lebenserfahrungen den Kindern zu vermitteln.
Frank Frorath über die Motivation seiner Frau, ein Familienhörbuch aufzunehmen
Am 3. April 2023 hat die Welt für die Froraths aufgehört, sich zu drehen. Der Hirntumor beendete das Leben von Pia Frorath im Alter von nur 49 Jahren. Mit dem Familienhörbuch, einem mit der eigenen Stimme gesprochenen Lebensrückblick, hinterließ sie ihr Vermächtnis für ihre Kinder und ihren Ehemann.
Das Projekt Familienhörbuch geht auf die Initiative der Wissenschaftsjournalistin Judith Grümmer. zurück. Gemeinsam mit Experten aus der Palliativmedizin des Universitätsklinikums Bonn entwickelte sie die Idee, mit palliativ erkrankten Eltern von minderjährigen Kindern professionell gestaltete Hörbücher aufzunehmen. Alles, was das Leben ausmacht, kann darin zur Sprache kommen: Höhen und Tiefen, Gedanken und Gefühle oder Dinge, die man seinen Lieben noch „mit auf den Weg“ geben möchte.
Stimme ist einzigartig wie ein Fingerabdruck
Jedes Hörbuch sei eine bewegende Reise durch das eigene Leben. Die menschliche Stimme sei einzigartig wie ein Fingerabdruck. „Sie ist aber auch das erste, was Hinterbliebene vergessen, wenn ein geliebter Mensch verstorben ist“, sagt Grümmer. „Es ist ein Zukunftsgeschenk für die Hinterbliebenen“, meint die Initiatorin.
Als die Froraths von diesem Projekt hörten, wurden sie hellhörig. Frank Frorath erzählt: „Wir sind auf diese Möglichkeit durch Claudia Kossman von der Palliativ Care des Verbundkrankenhause Linz-Remagen aufmerksam gemacht worden.“ Und er ergänzt: „Es gab ja auch noch so viel zu sagen, was sonst ungesagt bleiben muss. Pia war es so wichtig, etwas Lebendiges zu hinterlassen. Ihre Gedanken zu formulieren. Mit ihrer eigenen Stimme, ihre eigene Lebensgeschichte und ihre Lebenserfahrungen den Kindern zu vermitteln.“
Im November begann Pia Frorath damit, ihr gesprochenes Vermächtnis mit Hilfe der Hörfunkjournalistin Claudia Rometsch aufzunehmen. „Der Gedanke, dass wir uns irgendwann nicht mehr an sie und erinnern könnten, war für Pia wirklich schlimm. Ich habe auch von anderen gehört, wie schwer es nach dem Tod eines Angehörigen ist, sich noch an seine Stimme zu erinnern. Gerade die Stimme transportiert die Persönlichkeit, weckt Erinnerungen und Gefühle“, schildert Frank Frorath.
Pia hatte meist die Augen geschlossen. Sie war ganz bei sich, als sie ihren Lebensfilm durchlief.
Frank Frorath beschreibt seine verstorbene Frau Pia während der Aufnahmen zum Familienhörbuch.
Ihre Stimme jetzt zu hören, sei wie der Fingerabdruck ihrer Seele. „Es ist etwas anderes als nur Bilder anzuschauen. Die Stimme spült Erinnerungen hoch. Sie ist authentisch.“ Die Grundlage zu dem Hörbuch waren mehrstündige Gespräche an mehreren Tagen, in denen Claudia Rometsch Pia Frorath durch ihre Lebensgeschichte leitete. „Pia hatte meist die Augen geschlossen. Sie war ganz bei sich, als sie ihren Lebensfilm durchlief. Für sie war das Ganze enorm wichtig. Es hat ihr auch beim Loslassen geholfen. Uns hilft es jetzt beim Trauern und dabei, sich an die schönen Zeiten zu erinnern und nicht nur an die schrecklichen Momente der letzten Monate, die derzeit noch vieles überlagern. Das Buch ist ein Geschenk, das ihr ermöglichte, entspannter dem Tod entgegen zu gehen“, sagt Frorath.
Im Anschluss an die Gespräche wurden die Aufzeichnungen mit einem Tontechniker-Team bearbeitet und als Hörbuch produziert. „Ein Freund hat eine Schachtel gebastelt, die aussieht wie ein Buch, sodass das Hörbuch jederzeit griffbereit im Bücherschrank steht“, berichtet Frorath. 32 Kapitel mit insgesamt 5,5 Stunden Spielzeit sind entstanden.
„Ich würde nichts anders machen“
Es geht um ihre Kindheit, etwa im Kapitel „Mit Bauchweh in die Grundschule“. Und um ihre Leidenschaften, das Tambourcorps und den Karneval, aber auch um „Hilfe brauchen und annehmen“ oder „Ich würde nichts anders machen.“ Und es ging um viele persönliche Botschaften an ihre Jungs, die sie hinterlassen wollte.
Sie wollte, so Frorath, dass sie sich später noch ein Bild von ihrer Mutter mache können. Sie erzählt auch davon, dass sie und Frank nach der Diagnose, im Februar 2022, noch kirchlich geheiratet haben. „Sie hat auch ihre eigene Beerdigung noch geplant. Sie wollte keine Trauerfeier, sondern eine Feier ihres Lebens. Genau wie beim Hörbuch sollte dem Abschied damit der Schrecken genommen werden. Pfarrer Christian Scheinost hat uns in allem begleitet. Er war eine große Hilfe“, sagt der Witwer.
Noch einmal Karneval gefeiert
Kurz vor ihrem Tod konnte Pia, so wie es ihre Art war, das Leben nochmal feiern. „Sie hat es mit Unterstützung von Freunden geschafft, zum Prinzenball an Karneval zu gehen. Und sie hatte dort Spaß“, blickt Frank Frorath lächelnd zurück. Die Arbeit am Hörbuch war nicht nur Vermächtnis, sie war auch trost- und kraftspendender Prozess für Pia. „Ich habe Frau Frorath, trotz
ihrer Krankheit, als einen unglaublich positiven, unkomplizierten Menschen mit einem positiven Blick auf das Leben erlebt. Bei ihr wurde auch gelacht, es gab viele heitere Momente“, erinnert sich Claudia Rometsch an die vielen Stunden, in denen sie im Wohnzimmer der Froraths gesessen hat. „Man stellt sich ein solches Gespräch vielleicht schwierig und bedrückend vor. Das ist es aber nicht. Natürlich fließen auch Tränen. Aber es ist eine sehr positive Arbeit. Die Menschen sind froh, das Hörbuch aufgenommen zu haben.“
Die Journalistin betont: „Vielen ist der Reichtum des eigenen Lebens damit bewusst geworden.“
Gemeinnützige Organisation ist auf Spenden angewiesen
Die Familienhörbuch gGmbH ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Köln. Ein bundesweit aktives Team aus über 60 professionellen Audiobiografen und Sounddesignern produziert pro Jahr mittlerweile mehr als 100 Familienhörbücher. Darin erzählen junge, unheilbar erkrankte Mütter und Väter ihr Leben, ihre Geschichte. Gesprochen mit ihrer eigenen Stimme, hinterlassen sie ihren oft noch kleinen und minderjährigen Kindern ein audiobiografisches Vermächtnis.
Ein Hörbuch kostet die Organisation zwischen 5000 und 6000 Euro. Etwa 100 Arbeitsstunden braucht es, bevor ein Hörbuch erstellt ist. Das Projekt ist ausschließlich durch Spenden finanziert und für die Teilnehmenden kostenlos. Es ist auf Spenden angewiesen. Frank Frorath hat nach dem Tod seiner Frau um Spenden für das Projekt gebeten (statt Blumen). 270 Spender haben für den guten Zweck mehr als 9000 Euro gespendet. Infos gibt es auf der Internetseite des Projekts unter www.familienhoerbuch.de. Dort gibt es auch die Möglichkeit, das Projekt weiterhin durch Spenden zu unterstützen. san