Neuling im Deutschen Bundestag
Ellen Demuth spricht im Interview über ihre Pläne
Die Linzerin Ellen Demuth vertritt ihren Wahlkreis Neuwied-Altenkirchen jetzt in Berlin.
Sabine Nitsch

Die heimische Bundestagsabgeordnete Ellen Demuth hat die Arbeit in Berlin aufgenommen. Sie will dort auch deutlich machen, wie herausfordernd die Lebenswirklichkeit der Menschen im Land tatsächlich ist.

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Kreis Neuwied/Berlin. Zeit, sich in Berlin einzugewöhnen, hatte Ellen Demuth (CDU) nicht. Bei der Bundestagswahl am 23. Februar holte sie das Direktmandat für den Deutschen Bundestag mit 35,6 Prozent der Stimmen und vertritt seitdem in Berlin ihren Wahlkreis Neuwied-Altenkirchen. Die 42-Jährige bringt viel politische Erfahrung mit. Bei der Landtagswahl 2011 holte die damals 28 -jährige das Direktmandat im Wahlkreis Linz-Rengsdorf. 13 Jahre blieb sie im Landesparlament in Mainz, zuletzt als Vizefraktionschefin ihrer CDU-Fraktion.

Jetzt also Berlin. Wie erlebte Ellen Demuth ihren Start im Bundestag? Welche alltäglichen Herausforderungen musste sie meistern? Was hat sie sich vorgenommen? Was glaubt sie, kann sie für Rheinland-Pfalz und auch für ihren Wahlkreis erreichen? Wir haben uns mit der Bundestagsabgeordneten in ihrer Heimatstadt Linz getroffen.

Schon am Dienstag nach der Wahl, haben Sie ihre Arbeit in Berlin aufgenommen. Sie sind mit der DB in die Hauptstadt gefahren. Waren Sie pünktlich?

Nein, tatsächlich nicht. Ich hatte eine Stunde Verspätung. Wenn ich fliege und mit dem Zug zum Flughafen fahre, nehme ich jetzt immer einen Zug vorher. Aber auch dann wird es häufig knapp, den Flieger zu erwischen.

Sie kommen aus der Kleinstadt Linz und vertreten Ihre Heimatregion jetzt in der Metropole Berlin. Wie haben Sie Ihren Start im Zentrum der Macht erlebt? Haben Sie Unterstützung bekommen?

Es war natürlich alles sehr aufregend. Als ich ankam, hat sich mittags schon die Landesgruppe getroffen. Für die neuen Abgeordneten begannen sofort die Einführungstage. Ich bekam mit einem anderen Kollegen ein zehn Quadratmeter großes Übergangsbüro, in das pro Team zwei Schreibtische passten. Jetzt erst bekomme ich mein eigenes Büro. Es war allein schwierig, sich in dem riesigen Komplex mit fünf Gebäudeteilen zurechtzufinden. Das war eine echte Herausforderung. Ich wohne auch bis jetzt noch im Hotel. Nächste Woche kann ich mein Einzimmerapartment beziehen und muss nicht ständig meinen Koffer und meine ganzen Akten mit mir rumschleppen.

Klingt nach einem Sprung in ein ziemlich kaltes Wasser. Konnten Sie Ihre Arbeit schon richtig aufnehmen?

Das begann sofort. Mein Arbeitstag beginnt jetzt um 6.30 Uhr und dauert immer mindestens zwölf Stunden. Vieles ist neu, und ich muss mich intensiv einarbeiten. Die Schlagzahl hier in Berlin ist noch mal höher als in Mainz. Ich besuche auch jede Plenarsitzung, um alle Abläufe zu verstehen. Die ganz neuen Abgeordneten haben es wirklich schwer. Ich habe immerhin viel Erfahrung aus meiner Arbeit im Landtag.

Ich bekomme auch mehr als 100 E-Mails pro Tag von unterschiedlichen Interessengruppen. Da geht es um den Gazastreifen oder darum, dass vor allem Senioren nicht wissen, wie sie mit ihrem Geld klarkommen sollen oder auch um die Besteuerung der Kryptowährung, die für viele Altersvorsorge ist. Das alles zu bearbeiten, kann man nicht allein schaffen. Ich habe aber schon einen erfahrenen Büroleiter, der weiß, wie die Strukturen funktionieren. Ich stelle weitere Mitarbeiter ein. Wir werden ein Team von fünf bis sieben Leuten sein. Es ist wichtig, ein funktionierendes großes Netzwerk aufzubauen.

Sie sind Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, im Ausschuss für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend und im Ausschuss für Kultur und Medien. Außerdem sind Sie stellvertretendes Mitglied im Gesundheitsausschuss. Klingt nach sehr viel Arbeit. Sind das Ihre Wunschausschüsse?

Auf jeden Fall. Eigentlich bekommt man nur einen oder zwei Ausschüsse. Ich bin aber stolz darauf, auch den Auswärtigen Ausschuss bekommen zu haben. Mein Landesgruppenchef hat mich vorgeschlagen und gemeint: „Das geht. Die Demuth kann man überall hinschicken.“ Ich empfinde das schon als Ehre. Armin Laschet leitet den Ausschuss. Mitglieder sind auch Norbert Röttgen, Nancy Faeser oder Robert Habeck. Ich weiß noch nicht, welches Land mir zur Berichterstattung zugewiesen wird. Es wird sehr viel Arbeit, sich einzuarbeiten.

Rheinland-Pfalz scheint jetzt in Berlin gut aufgestellt zu sein. Julia Klöckner hat als Bundestagspräsidentin das zweithöchste Staatsamt der Bundesrepublik, 31 Abgeordnete kommen aus Rheinland-Pfalz, das Land stellt drei Minister. Glauben Sie, dass diese Konstellation Vorteile für Rheinland-Pfalz und vor allem für den nördlichen Kreis Neuwied mit sich bringt, der ja zumindest gefühlt etwas stiefmütterlich vom Land behandelt wird?

Ich verspreche mir tatsächlich, dass Rheinland-Pfalz jetzt gut berücksichtigt wird und auch über den Familienausschuss oder den Gesundheitsausschuss viel Geld für Schulen und Kitas, aber auch für Seniorenprojekte oder Projekte gegen Einsamkeit in meinen Wahlkreis fließt.

Mein Berichterstattungsthema ist Schule und Sozialarbeit. Es gibt große Bedarfe, etwa bei der Ganztagsbetreuung. Die Frage ist, wie das bezahlt werden soll. Kommunen sind fast alle finanzschwach, müssen aber viel investieren mit der Folge, dass die Steuern oder Hebesätze angehoben werden. Bürger sind aber an der Grenze der Leistungsfähigkeit. Wenn man das alles bundespolitisch und mehrheitlich in der Gesellschaft so will, muss es auch konsequent über das Investitionsprogramm der Bundesregierung gefördert werden. Übrigens ist auch Bundesfamilienministerin Karin Prien ein bisschen eine Rheinland-Pfälzerin. Sie hat in Neuwied ihr Abitur gemacht und länger hier gelebt.

Schulen und Kindergärten, aber auch der Bereich Senioren stehen vor riesigen Herausforderungen. Wo sehen Sie die größten Probleme?

Ein drängendes Thema ist sicherlich, dass etwa 50 Prozent der Schüler zwischen 15 und 20 Jahren in Rheinland-Pfalz Migrationshintergrund haben. Das geht häufig mit Sprachproblemen einher. In den Kitas sind es vielfach 80 Prozent. Kindergärtnerinnen berichten, dass die Kinder kein Deutsch sprechen können und bis zur Grundschule auch nicht mehr lernen werden. Das wird ein gesellschaftliches Problem, ebenso wie die demografische Entwicklung. Wir brauchen Wohnformen, die sich Senioren leisten können, und wir brauchen aufsuchende Angebote, die es den Leuten ermöglichen, so lange wie möglich allein zu leben.

Patrick Schnieder kommt aus Rheinland-Pfalz und ist jetzt Verkehrsminister. Im nördlichen Kreis sind die Straßen in einem desaströsen Zustand. Glauben Sie, dass er Mittel für den Straßenausbau zur Verfügung stellt? In Rheinland-Pfalz werden Bürger allerdings über wiederkehrende Straßenbaubeiträge (WKB) mit rund 70 Prozent an den Kosten beteiligt. Wie soll das gehen?

Ich erhoffe mir Mittel für die Region. Die WKB müssen aber unbedingt auch in Rheinland-Pfalz abgeschafft werden. Es kann nicht sein, dass die Bürger derart zur Kasse gebeten werden. Ich erlebe ständig, dass vor allem Ältere verzweifelt sind und mir schreiben, weil sie nicht wissen, wie sie das alles noch bezahlen sollen, und sogar ihre Häuser verkaufen müssen.

Menschen haben das Gefühl, die Entscheider in Berlin haben keine Ahnung davon, wie das Leben eines Normalbürgers aussieht. Arzttermine gibt es nur mit langen Wartezeiten. Familien brauchen zwei Einkommen, und Rentner haben meist erheblich weniger als 1400 Euro zur Verfügung. Aber die Leute sollen über hohe Preise gezwungen werden, Energie zu sparen und den ÖPNV zu nutzen. Da fragt man sich hier: Welchen ÖPNV? Im Westerwald freut man sich in vielen Regionen darüber, wenn morgens wenigstens ein Schulbus fährt. Glauben Sie, dass Sie Verständnis für die Nöte der Normalbürger und Rentner in Berlin wecken können?

Ich denke, Verständnis zu wecken, geht auch über gute Kontakte wie zu Karin Prien. Und: Geld ist ein Problem. Nicht nur alte, sondern auch junge Leute wissen nicht, wie sie über die Runden kommen oder eine Familie gründen sollen. Auch der Gesundheitsbereich ist schwierig. In dieser Regierung gibt es jetzt aber engagierte Minister, etwa im Gesundheitsbereich, die dafür sorgen wollen, dass wieder jeder beim Facharzt zeitnah einen Termin bekommt. Im Kreis gibt es zu wenig Fachärzte. Das Abrechnungssystem für Ärzte muss diskutiert werden. Das Gesundheitssystem ist aktuell wohl die zentralste Herausforderung. Krankenhäuser müssen erhalten bleiben. Sie gehören zur Daseinsfürsorge. Die Kassenärztliche Vereinigung muss sich bewegen, und die Krankenkassen müssen von Nichtbeitragszahlern entlastet werden. Die Frage ist auch, ob wir dem gesellschaftlichen Zusammenhalt durch den Umgang mit den Ukrainern einen Gefallen getan haben. Bürger haben das Vertrauen in die Politik verloren. Es müssen jetzt Taten folgen. Im Koalitionsausschuss wurden aber bereits weitreichende Punkte auf den Weg gebracht wie die Erhöhung der Pendlerpauschale, um die Leute auf dem Land zu entlasten. Auch Steuererleichterung werden kommen, und der Hinzuverdienst für Rentner wird steigen. Die Turboeinbürgerung soll zurückgefahren werden.

Was haben Sie sich alles vorgenommen?

Vor allem die wirtschaftliche Stärkung der Region. Unsere mittelständischen Unternehmen sind das Rückgrat der regionalen Wirtschaft. Es gilt, optimale Bedingungen für sie zu schaffen, insbesondere durch den Abbau von Bürokratie, durch steuerliche Entlastungen und bezahlbare Energie.

Außerdem müssen Infrastruktur und Digitalisierung vorangebracht werden. Dazu zählen der Ausbau von Straßen und Brücken sowie eine flächendeckende digitale Anbindung, um für Bürger und Unternehmen attraktive Bedingungen zu schaffen. Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum und wohnortnahe Arbeitsplätze.

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