Im Jahr 2020 hat die heutige Stadt Neuwied ihr 50-jähriges Bestehen gefeiert – denn erst 1970 wurde sie mit der Eingemeindung der meisten jetzigen Stadtteile zu der Stadt umstrukturiert, die sie heute ist. Aber natürlich gab es zu diesem Zeitpunkt das „alte“ Neuwied und die umliegenden Gemeinden schon sehr viel länger. Daher steht in knapp 30 Jahren ein deutlich größeres Stadtjubiläum an: 2053 wird die Gründung Neuwieds genau vier Jahrhunderte zurückliegen. Auf diese lange Zeit, in der Neuwied einiges erlebt hat und in der sich die Stadt stetig verändert hat, lohnt sich schon jetzt ein Rückblick.
Würde man etwas weniger als 400 Jahre in der Geschichte zurückreisen, am besten ins Jahr 1646, dann bekäme man die Entstehung Neuwieds von Anfang an mit. Diese nahm nämlich kurz vor dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs (1618-1648) ihren Lauf. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch kein Fürstentum Wied, sondern die Grafschaft Wied, und das schon seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts.
Erst gab es Altwied, dann Neuwied
Die Grafen residierten auf der Burg Altwied – die im Übrigen zunächst „Niederwied“ genannt wurde, denn erst mit der Entstehung Neuwieds konnte es auch ein Altwied geben. Wie der Journalist Bernd Paetz in „Neuwied im Spiegel der Zeit“ schildert, hatte der Dreißigjährige Krieg die Grafschaft besonders in finanzieller Hinsicht stark in Mitleidenschaft gezogen.
Die Lösung für dieses Problem hatte der damalige Graf Friedrich III. parat: den Rhein. Denn Friedrich III. entschied sich dafür, das Zentrum seiner Herrschaft direkt an den Fluss zu verlegen, weil er sich von der Nähe zu diesem wichtigen Handels- und Verkehrsweg einen wirtschaftlichen Aufschwung versprach. Deshalb ließ er 1646 an der Stelle des kleinen Ortes Langendorf, den man inzwischen nur noch von der nach ihm benannten Langendorfer Straße her kennt, das Haus Newen Wiedt (später: Neuwied) errichten.

Das Jahr 1653 ging als eigentliches Gründungsjahr Neuwieds in die Geschichtsbücher ein, denn am 26. August verlieh der römisch-deutsche Kaiser Ferdinand III. dem Haus Newen Wiedt und der umliegenden Siedlung das Stadtrecht. Dass diese neue Stadt Neuwied für ihre Zeit etwas Besonderes war, weiß Bernd Willscheid, der lange Jahre Direktor des Roentgen-Museums war und seit Anfang dieses Jahres das Fürstlich Wiedische Archiv im Schloss Neuwied betreut.

„Graf Friedrich III. hat die Stadt nach einem klaren Plan gegründet. Er hatte die Vision einer modernen Stadt nach dem Dreißigjährigen Krieg und hat Neuwied deshalb in Form eines geordneten Rasters aus Häuserkarrees angelegt“, sagt Willscheid. Die Planstadt bestand aus einem Viereck, das von einem gitterförmigen Straßennetz durchzogen wurde, und wer heute durch die Neuwieder Innenstadt spaziert, kann diese Schachbrettform immer noch gut erkennen.
Während des Pfälzischen Erbfolgekriegs (1688-1697) wurden die Stadt und auch die Residenz des Grafen von französischen Truppen größtenteils zerstört. Daraufhin begann der Nachfolger Friedrichs III., Graf Friedrich Wilhelm zu Wied, 1706 mit dem Bau des heutigen Schlosses – und sein im selben Jahr geborener Sohn Johann Friedrich Alexander verhalf Neuwied wieder zu einer wirtschaftlichen, städtebaulichen und kulturellen Blüte.

Er gründete zum Beispiel 1738 die Eisenhütte Rasselstein, die etwa 100 Jahre später die Schienen für die erste deutsche Eisenbahnstrecke zwischen Nürnberg und Fürth herstellen sollte. Zum Ende seiner Regierungszeit hin bestand Neuwied aus knapp 600 Gebäuden, während es 1680 noch 52 Häuser umfasst hatte. Graf Johann Friedrich Alexander ist deshalb laut „300 Jahre Neuwied: 1653-1953“, herausgegeben vom ehemaligen Neuwieder Stadtarchivar Albert Meinhardt, als „zweiter Stadtgründer“ besonders bedeutend für die Geschichte der Stadt. 1784 wurde er von Kaiser Joseph II. in hohem Alter in den Fürstenstand erhoben und war somit zudem der allererste Fürst zu Wied.
Prägend für dieses erste Jahrhundert in der Geschichte Neuwieds waren die toleranten Freiheitsprivilegien, die für die Bürger der Stadt galten. Um mehr Bewohner für seinen neu gegründeten Residenzort anzuziehen, garantierte Graf Friedrich III. den Neuwiedern nämlich in einem umfassenden Stadtrechtsprivileg einige – zum Teil für diese Zeit sehr ungewöhnliche – Rechte und Freiheiten.

Die Einwohner Neuwieds genossen unter anderem eine Steuer- und Gewerbefreiheit, sowie vor allem eine Religionsfreiheit: Ihnen wurde nicht wie andernorts die Religion durch den Grafen als Landesherrn vorgegeben, der evangelisch-reformierten Glaubens war, sondern sie konnten ihre jeweilige Konfession frei wählen und ausüben.
Viele Glaubensflüchtlinge fanden deshalb Asyl in der Stadt, und die Bevölkerungszahl stieg schnell an. „Neuwied war von Anfang an ein sehr toleranter Ort, die Willkommenskultur gehört also zur DNA der Stadt“, betont Bernd Breidenbach, der das Stadtarchiv Neuwied in der Abtei Rommersdorf leitet, welches wie das Fürstlich Wiedische Archiv der interessierten Öffentlichkeit zugänglich ist.

Verschiedenste Kirchen und Glaubensgemeinschaft siedelten sich in Neuwied an, darunter Katholiken, Juden, Hugenotten, Mennoniten, Lutheraner und Herrnhuter. „Diese Religionsvielfalt ist auch heute noch in der Stadtgesellschaft spürbar“, macht Breidenbach deutlich. Unter Graf Johann Friedrich Alexander wurden für einige Religionsgemeinschaften Gotteshäuser errichtet, darunter der Kirchsaal der Brüdergemeine in der Friedrichstraße, die Mennonitenkirche in der Schlossstraße und die Synagoge in der heutigen Synagogengasse, die während des Novemberpogroms 1938 zerstört wurde.
Außerdem wurde Neuwied dank Johann Friedrich Alexander zu einer der ersten deutschen Städte, in der Pressefreiheit herrschte, sodass auch das Zeitungs- und Verlagswesen florierte, was in „Ich habe noch keinen hinlänglichen Zensor gefunden“ der Historikerin Hildegard Brog nachzulesen ist. Durch die religiöse Toleranz und die aufklärerische Überzeugung des Grafen war Neuwied im 18. Jahrhundert ein wichtiges Zentrum der Aufklärung und der Meinungsfreiheit am Mittelrhein geworden.

Von Steinzeitmenschen, Römern und Franken
Die Geschichte von Neuwied begann erst im Jahr 1653 - doch schon seit der Altsteinzeit wurde das heutige Stadtgebiet von Menschen besiedelt.