Sozialdemokraten und Vertreter anderer Parteien aus dem Kreis äußern sich zur Neuausrichtung an der SPD-Spitze im Land
Dreyer-Rücktritt: Politiker aus dem Kreis Neuwied zollen Anerkennung – mit einem Aber
Bild aus dem Jahr 2015 von Malu Dreyer
Ministerpräsidentin Malu Dreyer war während ihrer Amtszeit immer wieder in Neuwied zu Gast. Das Foto zeigt sie zusammen (weiter von links) mit dem verstorbenen Neuwieder Ex-OB Nikolaus Roth, Fredi Winter und dem ehemaligen Landrat Rainer Kaul. Foto: Archiv Jörg Niebergall
Jörg Niebergall

Kreis Neuwied. In der rheinland-pfälzischen SPD hat es gleich zwei prominente Rücktritte gegeben: Ministerpräsidentin Malu Dreyer kündigte an, nach elf Jahren demnächst ihr Amt niederlegen zu wollen. Ihr soll Alexander Schweitzer folgen. Danach trat auch Roger Lewentz als SPD-Landesvorsitzender zurück. Er soll durch Sabine Bätzing-Lichtenthäler ersetzt werden. Die Genossen im Kreis Neuwied haben diesen Schritt teils erwartet, wie unsere Umfrage zeigt.

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Zu denen, die nicht überrascht waren, dass es in der SPD im Land zu einer „strategischen Neuaufstellung“ kommt, zählt der Neuwieder SPD-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Martin Diedenhofen. „Ich habe gespürt, dass es innerhalb der Partei Gespräche dazu gegeben hat, nur, dass es diese Wendung jetzt nimmt, hatte ich nicht erwartet“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung.

Oft sind die Kämpfe, die man mit sich selbst ausficht, die härtesten.

Martin Diedenhofen, SPD-Kreisvorsitzender

Diedenhofen habe einen „Riesenrespekt vor ihr und ihrer Leistung, man hat gesehen und gemerkt, dass Malu Dreyer ihr Amt mit Herzblut ausgeübt hat“. Und er vermutet, dass Dreyer die Entscheidung auch vor dem Hintergrund ihrer gesundheitlichen Situation nicht so leicht gefallen ist: „Oft sind die Kämpfe, die man mit sich selbst ausficht, die härtesten.“

Auch im Hinblick auf die Person von Roger Lewentz habe sich für die SPD die „strategische Frage“ gestellt. Mit Alexander Schweitzer und Sabine Bätzing-Lichtenthäler stünden zwei fähige Sozialdemokraten bereit. Diedenhofen zeigt sich „sehr dankbar“ darüber, dass es seiner Partei „erneut gelungen ist, das Ganze verlässlich und ruhig miteinander zu besprechen und gemeinsam eine gute Lösung zu präsentieren“. Das sei genau das, was die Menschen sich als Zeichen wünschen würden.

Sabine Bätzing-Lichtenthäler ist die Idealbesetzung.

Erster Kreisbeigeordneter Philipp Rasbach (SPD)

Der Erste Kreisbeigeordnete Philipp Rasbach (SPD) hat die Pressekonferenz zum Rückzug der Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die er persönlich sehr schätze, selbst verfolgt. Für ihn habe Malu Dreyer sehr authentisch gewirkt und Größe gezeigt. Die Entscheidung Dreyers, selbst zu erkennen, dass es aufgrund ihrer MS-Krankheit immer schwerer wird, ein so schweres Amt auszuführen und sich deshalb zurückzuziehen, hält er für folgerichtig. Der designierte Nachfolger Alexander Schweitzer ist Rasbachs Wunschkandidat: „Er ist jemand, der uns als Ortsbürgermeistern immer zugehört und die Anliegen ernst genommen hat.“ Schweitzer traut er als Ministerpräsidenten zu, „dass er es kann – sowohl von der menschlichen Art als auch von der fachlichen Expertise her.“ Dass Roger Lewentz seinen SPD-Parteivorsitz zum Ende des Jahres vorzeitig abgibt, hält er im Hinblick auf die Neustrukturierung der Landes-SPD für konsequent: „Sabine Bätzing-Lichtenthäler ist die Idealbesetzung.“

Foto aus dem Jahr 2022: Roger Lewentz in Kurtscheid
Das Foto zeigt Roger Lewentz als Innenminister (2. von links) bei der Verabschiedung des ehemaligen Brand- und Katastrophenschutzinspekteurs des Kreises Werner Böcking (rechts). Foto: Archiv Jörg Niebergall
Jörg Niebergall

Die Neuwieder Landtagsabgeordnete Lana Horstmann (SPD) hatte mit Malu Dreyers Rücktritt nicht gerechnet. „Das kam für uns alle überraschend“, sagt sie. Den Schritt der scheidenden Ministerpräsidentin bedauert sie. Zugleich zollt sie Malu Dreyer Respekt: „Ich finde es sehr mutig, es einzugestehen, wenn man nicht mehr die Kraft für das Amt hat. Davor ziehe ich meinen Hut.“ Dass mit Alexander Schweitzer ein Nachfolger bereits gefunden ist, begrüßt Horstmann: „Auch das macht Malu aus: Dass ihre Nachfolge gut geregelt ist.“ Alexander Schweitzer habe „die volle Unterstützung unserer Fraktion“, erklärt Horstmann.

Alexander Schweitzer ist ein toller Politiker und wird bestimmt ein prima Ministerpräsident.

Sven Lefkowitz, SPD-Fraktionschef im Neuwieder Stadtrat

Auch den Abschied von Roger Lewentz als Parteivorsitzender bedauert Horstmann. Lewentz sei „ein Sozialdemokrat durch und durch“, sagte sie und ist überzeugt, dass Lewentz‘ designierte Nachfolgerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler zusammen mit Alexander Schweitzer ein gutes Duo bilden werde.

Sven Lefkowitz, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Neuwieder Stadtrat, hat die Nachricht vom Rücktritt Malu Dreyers ebenfalls überrascht: „Bis zur Push-Nachricht auf meinem Handy wusste ich davon nichts.“ Lefkowitz beschreibt die scheidende Ministerpräsidentin als sehr beeindruckende Persönlichkeit. „Sie hat viel Herzenswärme und einen sehr klaren Blick auf die Dinge.“ Er erinnert an Dreyers Kampagne bei der vorherigen Landtagswahl. „‚Wir mit ihr‘ – das war mehr als nur ein Slogan.“ Auf Dreyers designierten Nachfolger hält Lefkowitz große Stücke. „Alexander Schweitzer ist ein toller Politiker und wird bestimmt ein prima Ministerpräsident.“ Schweitzer sei rhetorisch brillant, könne die Dinge auf den Punkt bringen und Menschen begeistern – „wenn auch anders als Malu“, sagt Lefkowitz.

Einerseits finden ich das schade, denn trotz gesundheitlicher Einschränkungen hat sie eine Riesenleistung erbracht. Andererseits war da natürlich auch eine taktische Überlegung bei.

Ralf Seemann (Grüne), Beigeordneter der Stadt Neuwied

Auch für die designierte neue Parteivorsitzende Sabine Bätzing-Lichtenthäler findet Lefkowitz lobende Worte. „Wir haben als Neuwieder ja schon eine lange Geschichte mit ihr. Sie ist eine kompetente, sympathische Kollegin und wird ihre Sache sehr gut machen.“

Rainer Kaul (SPD), ehemaliger Neuwieder Landrat und amtierender rheinland-pfälzischer DRK-Landespräsident, bescheinigt Malu Dreyer: „Sie hat sich außergewöhnlich verdient gemacht, sowohl im Bund als auch im Land.“ Kaul selbst hatte ein vertrauensvolles Verhältnis zur Ministerpräsidentin, wie er sagt. Für ihre Entscheidung hat er vollstes Verständnis: „Sie wird sich sicher mit ihrem Mann besprochen und die Entscheidung abgewogen haben. Wenn man das Feld bestellt hat und die Leute traurig sind, dass man geht, hat man es doch richtig gemacht.“

Eine kluge Entscheidung der SPD und eine Antwort auf Gordon Schnieder.

Alexander Buda (FDP)

Die lokalen Vertreter der „Ampelparteien“ in Mainz haben wir ebenfalls zu den Rücktritten befragt. Ralf Seemann, Sprecher der Grünen im Kreistag und Beigeordneter der Stadt Neuwied, der ihren offenen Umgang mit den Menschen schätzt, kann den Rücktritt von Malu Dreyer grundsätzlich nachvollziehen: „Einerseits finden ich das schade, denn trotz gesundheitlicher Einschränkungen hat sie eine Riesenleistung erbracht. Andererseits war da natürlich auch eine taktische Überlegung bei.“ Mit den Nachfolgern von Dreyer und Lewentz kann Seemann „gut leben“.

„Eine kluge Entscheidung der SPD und eine Antwort auf Gordon Schnieder“ – so bezeichnet Alexander Buda (FDP) den Rücktritt der Landesmutter. Er macht als Gründe für den Rücktritt neben der Krankheit Malu Dreyers auch die schlechten Ergebnisse der SPD bei der Europa- und Kommunalwahl sowie die Ahrtalkatastrophe aus. Wegen ihres Verhaltens in der Katastrophe sei Dreyer für den Landtagswahlkampf 2026 angreifbar, während ihr designierter Nachfolger Alexander Schweitzer mit einer weißen Weste daherkomme, so Buda. Daher sei „der Zeitpunkt richtig gewählt“.

Politisch betrachtet ähnelt die Neuaufstellung bei der SPD aber einem Befreiungsschlag, um eine weitere Regentschaft anstreben zu können.

Jan Petry, CDU-Kreisvorsitzender

Und: Der Linksdrall sei passé, die Menschen wählten eher das konservative Lager, meint Buda. Von daher wünsche er sich für die Landes-FDP nun eine Öffnung hin zur CDU für die kommenden Landtagswahlen. Dies, so betont Buda, habe aber nichts mit dem Rücktritt von Dreyer zu tun, eher mit einer generellen strategischen Positionierung der FDP. Für die Wahl Schweitzers zum Ministerpräsidenten gehe der FDP-Kreisvorsitzende von einer Unterstützung der Landtagsfraktion der Liberalen aus und fügt hinzu: „Wir waren immer koalitionstreu.“

Aus den Reihen der Opposition gibt es auch ein Stimmungsbild: Der CDU-Kreisvorsitzende Jan Petry zollt Malu Dreyer ebenfalls „Respekt und Dank“. Das gehöre sich für ihn so, wenn jemand mehr als zehn Jahren in so verantwortungsvoller Position aktiv war. Er sagt aber auch: „Politisch betrachtet ähnelt die Neuaufstellung bei der SPD aber einem Befreiungsschlag, um eine weitere Regentschaft anstreben zu können.“ Petry sei klar gewesen, dass es zu diesem Schritt kommen würde, nur der Zeitpunkt sei noch offen gewesen. Allerdings bezweifelt er, dass die Strategie der SPD zu einem Erfolg führt: „Mit guten Spitzenkandidaten ist es nicht getan. Ich sehe in den SPD-Verbänden viel Gestriges und Angestaubtes.“

Sie hätte Rückgrat bewiesen, wenn sie nach der Ahrtalkatastrophe zurückgetreten wäre, nachdem dort unheimlich viele Fehlentscheidungen getroffen worden sind.

Julia Eudenbach, Kreisvorsitzende von Die Linke

Udo Franz (FWG) war kurz nach Bekanntgabe irritiert über die Entscheidung Malu Dreyer, sich zurückziehen. Für ihn sei Alexander Schweitzer als designierter Nachfolger eine gute Lösung: „Er ist souverän, ich halte ihn nicht für ein Fähnchen im Wind.“ Zum vorzeitigen Rückzug des Parteivorsitzenden Roger Lewentz sagt Udo Franz: „Der Schritt war schon lange überfällig. Einige Sachen sind nicht glücklich gelaufen, er hat sich lange an seinem Parteivorsitz festgehalten.“

Julia Eudenbach, Vorsitzende des Neuwieder Kreisverbands der Linken, hätte sich einen deutlich früheren Rücktritt von Ministerpräsidentin Malu Dreyer gewünscht. „Sie hätte Rückgrat bewiesen, wenn sie nach der Ahrtalkatastrophe zurückgetreten wäre, nachdem dort unheimlich viele Fehlentscheidungen getroffen worden sind“, sagt Julia Eudenbach. Alexander Schweitzer als Nachfolger beobachtet sie mit einer gewissen Skepsis. „Es wäre ein schönes Zeichen gewesen, wenn es eine weitere Frau gewesen wäre, die sich um die rheinland-pfälzische Politik sehr bemüht hat“, so die Neuwieder Linkenchefin. Die Nachfolgerregelung, was den SPD-Parteivorsitz angeht – von Roger Lewentz hin zu Sabine Bätzing-Lichtenthäler – begrüßt die Kreisvorsitzende der Linken wiederum, insbesondere weil die Kandidatin für den begehrten Posten aus dem nördlichen Rheinland-Pfalz stammt. Persönlich kennengelernt hat Eudenbach die voraussichtlich neue Landesparteivorsitzende der SPD allerdings noch nicht.

Der AfD-Kreisvorsitzende und Fraktionsvorsitzende im Landtag Jan Bollinger, sieht Dreyers Rücktritt als „überfällig“ an. In seiner Mitteilung heißt es: „Das Versagen von Malu Dreyer während der Ahrflut und ihre Verweigerung einer Entschuldigung bei den Bürgern haben ihr eigenes, aber vor allem das Ansehen des Amtes schwer beschädigt.“ Es brauche Neuwahlen, „kein SPD-typisches Pöstchengeschacher“.

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