Kreis Neuwied
Drei Generationen erzählen von Weihnachten: Eine Zeitreise durch das Fest der Liebe an Rhein und Wied
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Kreis Neuwied. Weihnachtslieder, Tannenbaum, Geschenke – und war da noch was? Weihnachten und seine Bedeutung haben sich über die Jahre gewandelt – das wird in diesem Jahr, in dem so vieles anders ist, umso deutlicher. Wir haben uns auf eine kleine Zeitreise begeben und uns Weihnachtserinnerungen und Gedanken zum Fest über drei Generationen erzählen lassen.

2020 ist wirklich ein seltsames Jahr, sogar für Hans Jürgen Kurz. Selbst der 80-Jährige kann sich an kein Fest mit solchen Bedingungen erinnern, nicht mal direkt nach dem Krieg, als so ziemlich alles kaputt oder knapp war. „Meine Eltern hatten in Segendorf eine kleine Dorfbäckerei, dadurch hatten wir eigentlich nie Hunger, und im Haus war es auch im Winter durch die Öfen immer warm“, erzählt er von damals. Es war eine „arme Zeit“, aber Hans Jürgen Kurz erinnert sich heute noch an den weihnachtlichen Geruch von Lebkuchen, Spekulatius und Spritzgebäck aus der Backstube. An Heiligabend versammelte sich die ganze Familie und zog gemeinsam in den Wald, um den Tannenbaum zu holen – damit begann das Weihnachtsfest so richtig.

An ein Weihnachten aus seiner Jugend erinnert sich Hans Jürgen Kurz besonders: 1954, also nur wenige Jahre nach Kriegsende, als die meisten Menschen noch in bescheidenen, ja ärmlichen Verhältnissen lebten, hatte sein Vater an einem der Vorweihnachtstage zu viel Rosinenbrot gebacken, am Abend war ein ganzer Sack voll übrig. „Uns fiel ein, dass da oben in Monrepos eine Familie mit vielen Kindern lebte, die nicht jeden Tag wussten, wie sie satt werden sollten“, erzählt Kurz heute. Zusammen mit einem Freund füllte er damals das übrig gebliebene Rosinenbrot in einem leeren Mehlsack. Gemeinsam dekorierten die Jungen den Stoff wie einen Nikolaussack und trugen ihn durch den tief verschneiten Winter zum Haus der Familie, wo sie ihn heimlich vor der Tür abstellten, anklopften und sich versteckten, bis die Tür geöffnet wurde. „Vorsichtig traten die Kinder heraus, und als sie den Sack mit dem Rosinenbrot sahen, trat ein Strahlen in ihre Augen, das meinen Freund und mich in unserem Versteck zu Tränen rührte“, erzählt Hans Jürgen Kurz. Heute ist er selbst zweifacher Opa, „aber ich wüsste nicht, was ich verschenken könnte, um jemals wieder so strahlende Kinderaugen zu sehen“.

Sich selbst beschenkt Hans Jürgen Kurz heute am liebsten mit Reisen: 87 Länder hat er besucht, er war in Indien, auf Hawaii und in Kanada, „wo man schon im Oktober Weihnachtslieder singt“, und einmal verbrachte er die Feiertage im Schwarzwald. „Und danach war mir klar: Nie wieder Verreisen über Weihnachten. Da will ich zu Hause sein.“

Weihnachten zu Hause – das kann sich auch Frauke Zerres kaum anders vorstellen. Zwar könnte die 55-Jährige (wenn nicht gerade Corona herrscht) reisen, wohin sie wollte, aber in ihrer Kinderzeit war das kaum möglich. „Wir waren ja ein Geschäftshaushalt, und an Heiligabend gab es noch viel zu tun“, berichtet sie. Die Familie hatte in Puderbach ein Geschäft und eine kleine Gaststätte „und irgendwas war immer auf.“

An Heiligabend gegen Mittag, wenn der Vater die Wirtschaft geschlossen hatte, half erst mal die ganze Familie beim Saubermachen, Frauke und ihre beiden Geschwister eingeschlossen, „das war ganz selbstverständlich“. Und dann wurde das Weihnachtssortiment aus dem Laden geräumt und in Kisten auf dem Speicher eingelagert, damit im Geschäft Platz für die Silvesterböller war.

Den Weihnachtsbaum hat die Familie immer schon einen Tag vor Heiligabend geschmückt, „wir Kinder durften dann auch gar nicht mehr ins Wohnzimmer“, erinnert sich Zerres. Der Nachmittag des 24. Dezember gehörte dann meist der Kirche: Der Vater war aktiv im Posaunenchor, die Kinder waren meistens beim Krippenspiel dabei, und die Mutter wirbelte zu Hause in der Küche für das Weihnachtsessen für die achtköpfige Familie.

Frauke Zerres hat heute noch den Christbaumständer aus ihrer Kindheit: „Der drehte sich und spielte eine Melodie, deshalb gab es an unserem Weihnachtsbaum immer nur echte Kerzen, eine Lichterkette hätte sich ja verheddert.“ Für die Kinder wuchs damit beständig die Spannung bis zum Abend: „Wir warteten auf der Treppe, bis die Oma eine Glocke läutete und wir rein durften“, erzählt sie. Gemeinsames Singen und die Weihnachtsgeschichte gehörten zu jedem Weihnachtsfest, bevor es an die Bescherung ging: Ausgepackt wurde ein Geschenk nach dem anderen, manchmal dauerte da die Bescherung bis gut und gern nach Mitternacht. An viele Geschenke erinnert Frauke sich noch heute, zum Beispiel an die rothaarige Puppe Christine oder das Indianerfort mit den vielen kleinen Figuren.

Heute verbringt sie das Weihnachtsfest eher ruhig mit ihrer Mutter, die Besuche bei Geschwistern und Familie fallen im Lockdownjahr aus. „Aber Weihnachten ist ohnehin mehr als nur Geschenke und Festlichkeiten“, findet sie. „Dieses Jahr zählt der Weihnachtsgedanke als Gedanke des Zusammenhalts. Wir besinnen uns wieder aufeinander, und das kann man auch genießen. Wer in Weihnachten allerdings nur ein Halligallifest sieht, wird es schrecklich finden.“

Kristin (14) und Luca (8) Zerfaß, ebenfalls aus Puderbach, freuen sich dagegen auf das eher ruhige Weihnachtsfest. „Dieses Jahr ist es eben nur unsere allerengste Familie, nur unsere Eltern und wir beide, das wird sicher schön“, findet Kristin. Die Familie will am Heiligabend gemeinsam Pizza backen, darauf freuen sich die Geschwister schon sehr. Den Weihnachtsbaum haben sie inzwischen schon geschmückt, auch mit vielen selbst gebastelten Sachen. Das haben die beiden schon so gemacht, als sie noch so klein waren, dass die Eltern sie zum Schmücken hochheben mussten. Heute hängen die zerbrechlicheren Kugeln allerdings etwas höher: Dieses Jahr ist nämlich mit Kater Pinky ein verspieltes, neues Familienmitglied dazugekommen.

In einem normalen Jahr gibt es bei den Zerfaß‘ eher Raclette statt Pizza, und die Familie verbringt den Heiligabend bei den Verwandten. Wenn alle zusammen sind, sitzen dann schnell mal 15 Personen am Tisch. Die allerdings wohnen in der Nähe, und man sieht sich oft, da tut es nicht ganz so weh, dieses Jahr die Feiertage nicht zusammen verbringen zu können.

Ihren Wunschzettel haben Kristin und Luca allerdings wie jedes Jahr geschrieben: „Den legen wir dann für das Christkind auf die Fensterbank“, erzählt Kristin augenzwinkernd. „Wenn er abgeholt wurde, liegt dann als Antwort etwas Engelshaar da.“ Auf die Geschenke kommt es beiden Geschwistern aus Puderbach aber gar nicht so sehr an. „Wir freuen uns auf das Fest mit der Familie“, unterstreichen sie bestimmt.

Und die Freude am Weihnachtsfest kann auch keine Pandemie vermiesen.

Von unserer Mitarbeiterin Angela Göbler

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