Etwa 120 Meter über dem Fockenbachtal thront bis heute auf einer Felsklippe die Ruine Neuerburg. Um 1160 bis 1180 wurde sie vom Landgrafen Ludwig II. von Thüringen erbaut, dem Schwager des deutschen Königs und späteren Kaisers Friedrich Barbarossa. Neben der Burg Altenwied auf dem heutigen Gebiet der Ortsgemeinde Neustadt war die Neuerburg die westlichste Burg des Thüringer Landgrafen Ludwig II., der so seine Präsenz im Rheinland demonstrieren wollte. Die wohl bekannteste Bewohnerin der Neuerburg war die Urenkelin des Erbauers, Gräfin Mechthild von Sayn (um 1203 bis 1285), die zum erweiterten europäischen Hochadel zählte.
Es ist eigentlich lächerlich, aber mein Vater hat die Burg als Rückzugsort vor den Russen gedacht.
Roswitha Weiler über ihren Vater Theo Jung, der der erste Pächter der Burgruine Neuerburg war
Keine 800 Jahre nach ihrer Erbauung war die Neuerburg im März 1945 dem Untergang geweiht: Im Zweiten Weltkrieg wurde sie vom amerikanischen Militär beschossen, weil US-Truppen vermuteten, dass die Wehrmacht die Burg als Versteck nutzte. Nach Ende des Krieges erkundigte sich schließlich der Neuwieder Privatmann Theo Jung bei den Eigentümern der Burg, dem Fürstenhaus zu Wied, ob er die schwer zerstörte Burg pachten könne. Trotz anfänglicher Skepsis aufseiten des Fürstenhauses wurde der Pachtvertrag Ende der 1940er-Jahre zunächst auf drei Jahre festgelegt und danach immer wieder verlängert. Theo Junge hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Burg aus den verbliebenen Trümmerhaufen auszugraben und den Turm wieder bewohnbar zu machen.
Zahn der Zeit nagt an der Neuerburg
„Es ist eigentlich lächerlich, aber mein Vater hat die Burg als Rückzugsort vor den Russen gedacht“, berichtet Roswitha Weiler, Tochter des verstorbenen Theo Jung. Der Pachtvertrag mit dem Ziel, die Burgruine zu erhalten, läuft nun über sie. Die Knochenarbeit leistet Udo Hörster, ihr Schwiegersohn. Er bezeichnet sich selbst als den „Hausmeister der Burg“. „Ich repariere alles“, sagt Hörster. Dazu gehören Frost- und Baumschäden, aber auch vor allem Mauerarbeiten. Dabei ist Hörster eigentlich Zahnarzt in Niederbreitbach. „Einmal Ruinen, immer Ruinen“, sagt Roswitha Weiler über die Leidenschaft ihres Schwiegersohnes mit einem Lächeln. Der Zahn der Zeit macht auch vor der Neuerburg nicht Halt.
Unzählige Arbeitsstunden sind in den Erhalt der Burgruine gesteckt worden. Allein 14 Jahre lang hat der „Hausmeister“ an der Sanierung der Zisternenmauern gearbeitet. „Der Transport der Baumaterialien hier hoch ist sehr aufwendig. Deshalb finden Sie auch keine Unternehmen, die hier etwas machen“, erklärt Hörster. Nur ein kleiner Lastenaufzug hilft, beispielsweise Eimer mit Sand hoch zur Burg zu transportieren.
Ehrenamtspreisträger der VG
Bei all der mühseligen Arbeit gilt es zudem stets, Denkmalschutzauflagen zu beachten. „Das ist unser Beitrag zum Erhalt der deutschen Denkmalpflege“, sagt Hörster stolz. Unterstützung bekommt Hörster gelegentlich aus dem Freundeskreis. Im Jahr 2022 sind Roswitha Weiler und Udo Hörster für ihr außerordentliches Engagement von der VG Rengsdorf-Waldbreitbach bereits mit dem Ehrenamtspreis ausgezeichnet worden. Verewigt ist die Neuerburg auch im Wappen der VG mit den drei schwarzen Rauten auf silbernem Grund, die die Amtsträger des Herrschaftshauses symbolisieren sollen.
Markantestes Element der Neuerburg ist der fünfeckige Turm, der 16,50 Meter in Himmel ragt. Wer im engen, dunklen Inneren des Turms die Treppen hinauf wagt, wird auf dem Flachdach mit einem unbeschreiblichen Blick über das Fockenbachtal belohnt. Hier oben genießen die Familienmitglieder von Udo Hörster und Roswitha Weiler die Stille und den unverbauten Blick ins Grüne. „Man ist einfach mal für sich allein und raus aus dem ganzen Trubel“, erklärt Hörster.
Da eine Zeit lang Uhus auf den Fenstervorsprüngen des Turms nisteten, wurden auf der Neuerburg auch bereits Teile eines Tierfilms gedreht, erzählt Hörster. Heute bereiten Siebenschläfer den Übernachtungsgästen auf der Neuerburg unruhige Nächte. Auch sonst steht den Gästen der Familie auf der Neuerburg nicht viel Komfort zur Verfügung: Es gibt keinen Strom, nur Kerzenlicht. Außerdem müssen sie mit einem Rindenmulch-Plumpsklo auskommen. Dank Theo Jung gibt es 250 Meter über dem Meeresspiegel immerhin fließendes Wasser. Unterhalb von Kurtscheid hatte er damals eine Quelle gefunden und das Wasser mit Plastikrohren zur Burg geleitet, berichtet Roswitha Weiler.
Privatgelände ist für Fremde tabu
Eine weitere Besonderheit auf der Neuerburg sind die noch erhaltenen Grundmauern einer Kapelle. Für die Burgen der Ludowinger sei dies eher untypisch gewesen, so Weiler. All dieses Wissen über die Geschichte der Neuerburg hat sie in einem Buch zusammengefasst. Führungen auf der Neuerburg bieten Hörster und Weiler für kleine Gruppen nur auf Anfrage an, ansonsten ist die Anlage für Fremde absolut tabu. Auch die Abschlussklasse der Neuerburgschule in Niederbreitbach kommt jährlich in den Genuss, die Burg besichtigen zu dürfen. Der Erhalt der Neuerburg scheint auch für die kommenden Jahrzehnte gesichert, denn die Enkel von Roswitha Weiler hätten bereits ihrer Großmutter zugesichert, das Werk ihres Urgroßvaters fortzuführen.