Gegen die Regulierungswut
Bürokratiemelder soll Firmen im Kreis Neuwied helfen
Bürokratie und kein Ende: Damit haben Unternehmen zu kämpfen.
Sebastian Gollnow. picture alliance/dpa/Sebastian Gollnow

Zu viel Bürokratie zwingt gerade kleine und mittlere Betriebe in die Knie. Um das zu ändern, dokumentiert die IHK Koblenz Fälle und will sie in Gesprächen mit der Politik anführen. Gesetze sollen sich an der unternehmerischen Realität orientieren. 

Kreis Neuwied. Lieferkettengesetz, Bonpflicht, Dokumentation, Meldepflichten, Genehmigungsprozesse, Statistiken – die Masse an Vorgaben für die Wirtschaft ist in Deutschland erdrückend. Bürokratische Auflagen sind, so bemängeln Ökonomen, mittlerweile ein Standortnachteil. Die IHK Koblenz hat deshalb bereits vor knapp drei Jahren einen Online-Bürokratiemelder ins Leben gerufen, damit Mitgliedsunternehmen ihre Belastungen schildern können, die Bürokratie ihnen beschert. Auch im Kreis Neuwied nutzen Unternehmen diesen.

„Konkrete Beispiele sind wichtig.“
Fabian Göttlich, Regionalgeschäftsführer der IHK Koblenz

„Überbordende Bürokratie sorgt bei Unternehmen regelmäßig für Frustration. Bisher sind bei uns 136 Meldungen eingegangen. Die zeigen, womit die Betriebe zu kämpfen haben“, sagt Fabian Göttlich, Regionalgeschäftsführer der IHK Koblenz, die 105.000 Mitglieder hat.

Es habe sich herauskristallisiert, dass Auflagen mitunter nicht durchdacht sind und deren Fülle kaum mehr zu überblicken oder zu bezahlen ist. „Oftmals erschließt sich deren Zweck auch nicht. Komplexe Antragsverfahren binden Mitarbeiter. Ein großes Ärgernis ist auch, dass die Bearbeitungszeiten für Genehmigungen zu lange dauern und, dass Förderanträge zu kompliziert und zu komplex sind“, so Göttlich. Hinzu komme, dass die Digitalisierung in einigen Bereichen noch Zukunftsmusik ist. Verfahren seien häufig noch papiergebunden oder müssen in Präsenzterminen abgewickelt werden. Oder Onlineportale seien wenig nutzerfreundlich.

„Die Wirtschaft soll sprachfähiger gegenüber Politik und Verwaltung werden.“
Fabian Göttlich, Regionalgeschäftsführer der IHK Koblenz

„Die bei uns eingegangenen Meldungen fließen in ein Positionspapier ein, das als Grundlage für Politikgespräche der IHK dient. Konkrete Beispiele sind wichtig. Die Wirtschaft soll sprachfähiger gegenüber Politik und Verwaltung werden. Unsere Fallsammlung wird deshalb als verstetigte Datenbank fortgeführt. Und wir bieten an, Unternehmen in konkreten Angelegenheiten unterstützen. Diese kann beispielsweise die rechtliche Einordnung betreffen, aber auch die Vermittlung in der Zusammenarbeit mit Behörden sowie Recherchearbeiten und Hinweise auf weiterführende Informationen“, so Göttlich.

Zahlreiche Klagen über ausufernde Bürokratie

Viele Handwerker und Unternehmer aus der Region klagen seit Langem über Belastungen durch ausufernde Bürokratie. Beispielsweise das Bäckerhandwerk. Kühlketten der Zutaten müssen minutiös protokolliert werden. Auf Etiketten müssen alle Inhaltsstoffe in exakt vorgegebener Weise dokumentiert werden und sogar die Messer, die das Brot schneiden, muss ein Bäcker genau im Blick behalten. Manchmal ist wegen möglicher Schadstoffe ein Griff aus Holz vorgeschrieben, dann wieder einer aus Kunststoff.

Vor allem kleinere Betriebe trifft der Regelungswahnsinn besonders hart. Sie müssen alles personell bewältigen, und das führt zu finanziellen Mehrbelastungen, die viele nicht stemmen können.

In den Verwaltungen stapeln sich die Akten.
Patrick Pleul/picture alliance/dpa

Göttlich zitiert Beispiele aus dem Bürokratiemelder. Etwa die Westerwald-Brauerei H. Schneider, die das irritierende Verfahren rund um die USt-ID-Nachweispflicht anprangert. Das Unternehmen benötigte für den Förderantrag für Markenanmeldungen einen aktuellen Nachweis seiner Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Unfassbar: Die vom Finanzamt ausgestellte Bescheinigung wird dabei nicht anerkannt. Seit 2020 wird ausschließlich die PDF-Bestätigung des Bundeszentralamts für Steuern als gültiger Nachweis akzeptiert.

„Diese Bestätigung kann jedoch nur auf dem Postweg, per Brief, beantragt werden“, so Göttlich. Das dauert ein bis zwei Wochen. Zeit ist bei Betrieben aber Geld. „Der Förderantrag kann aber erst gestellt werden, wenn der Nachweis analog vorliegt“, berichtet der IHK-Regionalgeschäftsführer.

Rechnungen, Lieferscheine und internationale Frachtbriefe reichen nicht aus

Oder die Herausforderungen, die ein Betrieb aus dem Lebensmittelhandel rund um die sogenannte Gelangensbestätigung schildert. Unternehmen, die Waren innerhalb der EU exportieren, müssen nachweisen, dass die Lieferung tatsächlich ins EU-Ausland gelangt ist, um von der Umsatzsteuer befreit zu werden. Während dafür üblicherweise Rechnungen, Lieferscheine und internationale Frachtbriefe ausreichen, fordert die deutsche Finanzverwaltung eine sogenannte Gelangensbestätigung. Ein großer, unnötiger Verwaltungsaufwand, wenn ein Betrieb neben bestehenden Nachweisen, ein weiteres Dokument anfordern und archivieren müssen. Sie ist nicht EU-weit vorgeschrieben, sondern eine deutsche Sonderregelung“, erläutert Göttlich.

In Teilen schwer nachzuvollziehen sind auch Kennzeichnungspflichten. Ein Lebensmittelhersteller kritisiert, dass die Aufsichtsbehörde des Landkreises und das Landesuntersuchungsamt bemängelt haben, dass der vollständige Name des Unternehmens und der Straßenname auf seinen Produkten nicht im gleichen „Sichtfenster“ für den Verbraucher ersichtlich seien.

Zwei Zentimeter sorgen für ein Bürokratiemonster

Kaum glauben kann man, was die SGD Nord nach einer Überprüfung im Bereich des Arbeitsschutzes anmahnte. „In dem Unternehmen haben geringfügige Abweichungen von Vorschriften zu erheblichen Konsequenzen geführten“, berichtet Göttlich. Konkret wurden Anstellleitern im Kleinteilelager beanstandet, weil die Trittbreite der Leitersprossen zwei Zentimeter zu schmal war. „Die Leitern waren seit 40 Jahren einwandfrei im Einsatz. Sie mussten ausgemustert werden. Zudem musste das Unternehmen eine umfangreiche Dokumentation zur Arbeitssicherheit erstellen und Mitarbeiterschulungen zu offensichtlichen Sicherheitsmaßnahmen durchführen“, umreißt Göttlich die Folgen, die der IHK geschildert wurden.

Zusätzlicher bürokratischer Aufwand entstand außerdem durch die Überprüfung von Büroarbeitsplätzen für Schwangere, einschließlich deren Homeoffice-Arbeitsplätze. Besonders problematisch sei auch gewesen, dass bereits 2017 eine Überprüfung durch die Berufsgenossenschaft stattfand, deren Ergebnisse jedoch nie dokumentiert wurde.

Fehlende Dokumentation, doppelte Prüfung

„Die SGD Nord wiederholte die Prüfung, was das Unternehmen als doppelte und ineffiziente Belastung empfindet. Es kritisiert, dass sowohl die Berufsgenossenschaft als auch die SGD Nord durch Unternehmensbeiträge finanziert werden, aber durch ineffiziente Prozesse für unnötigen bürokratischen Aufwand sorgen“, berichtet Göttlich, der auf den Erfüllungsaufwand des Landessolargesetzes hinweist.

2023 trat das Gesetz in Kraft. Auf Dächern von Gewerbeneubauten und Parkplatzüberdachungen ab 50 Stellplätzen, müssen Photovoltaikanlagen installiert werden. 2024 wurde die Pflicht auch auf öffentliche Gebäude und Parkplätze ausgeweitet. Das führt zu Planungs- und Finanzaufwand, der manchmal nicht zu leisten ist. Es gibt Ausnahmen. Allerdings muss ein Bauherr zum Beispiel die Unwirtschaftlichkeit einer EE-Anlage nachweisen. Auch das sei für Betriebe, aber auch andere Bauherren, kaum zu leisten. „Statt auf eine Installationspflicht von Photovoltaik-Anlagen sollte besser auf die Eigenmotivation der Unternehmen gesetzt werden“, fordert Göttlich.

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