Vettelschoß. Der Patient sieht wirklich nicht gut aus. Er schwächelt in der Mitte und vor allem im Kopfbereich, in der Krone – in 50 Metern Höhe. Chirurgische Hilfe naht. Nicht mit Skalpell und Arterienklemmen, sondern mit Kettensäge, Schutzhelm und Klettergurt. „Die Krone ist tot. Die Feinwurzeln sind beschädigt. Der Baum kann nicht genug Nährstoffe nach oben transportieren. Die Krankheit eines Baums sieht man in der Spitze“, umreißt Kevin Blackburn (34) das Schadensbild, das er an einer alten Eiche auf einem Privatgrundstück diagnostiziert hat.
Er weiß genau, wovon er redet. Seit 19 Jahren ist Blackburn Baumchirurg und kümmert sich um kranke Baumriesen. Gelernt hat er den Beruf, ebenso wie seine Brüder Luke (28), Alexander (30) und William (17), von seinem Vater Gary Blackburn. Der gebürtige Brite gründete Mitte der 1980er-Jahre den Baumdienst Siebengebirge in Vettelschoß, dessen Leitung die Söhne mittlerweile übernommen haben.
„Er hat sein Handwerk im berühmten Sherwood Forrest gelernt.“
Baumchirurg Kevin Blackburn über seinen Vater und Unternehmensgründer Gary
Sie und ihre 20 Mitarbeiter sind zwischen Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen immer dort im Einsatz, wo echte Spezialisten gefragt sind. Es geht um Baumrettung, Baumpflege, aber auch um fachgerechte Fällungen, damit niemand durch marode Bäume oder herunterfallende Äste gefährdet wird. „Mein Vater ist sozusagen britischer Pionier der Baumpflege in Deutschland. Er hat sein Handwerk im berühmten Sherwood Forrest gelernt. Als er nach Deutschland kam, war sein Beruf, anders als in England, hier noch unbekannt. Erst seit etwa zehn Jahren ist Baumpfleger auch hier ein anerkannter Ausbildungsberuf“, berichtet Kevin, der voll ausgebildeter Baumkontrolleur, Baumchirurg und zertifizierter European Treeworker ist.

Gerade legt er sich Klettergurte an, befestigt den Wurfsack an einem Seil und peilt einen dicken Ast in der Baumkrone an. Mit geschickten Schwung, der nach jahrelanger Übung aussieht, landet das kleine Säckchen in 50 Meter Höhe so auf einem stabilen Ast, dass Kevin Blackburn das Sicherungsseil hochziehen kann. Dann hangelt sich der 34-Jährige scheinbar mühelos in den Baumwipfel.
In der Krone angekommen, ist Routine und profundes Wissen der entscheidende Faktor. „Bereits vom Boden aus müssen wir Ankerpunkte und Stabilität des Baumes beurteilen. Man muss die ‚Körpersprache’ des Baums lesen können, um die richtige Diagnose stellen, um dann die passende Behandlung einleiten können. Häufig werden Bäume gefällt, die eigentlich noch zu retten wären“, erläutert Luke, der das Geschehen in 50 Metern Höhe vom Boden aus beobachtet. Er hat seine Ausbildung auch in England absolviert.
Die Kletterpartie wirkt abenteuerlich, und wenn Kevin die Kettensäge ansetzt und große Äste nach unten krachen, halten die Gartenbesitzer, die die Operation unter an ihrem Baum beobachten, den Atem an. „Du meine Güte. Das ist ja ein Kahlschlag“, kommentiert die Auftraggeberin das Geschehen in ihrem Garten. „Das sieht zunächst etwas schlimm aus. Der Baum erholt sich aber schnell, und die Krone ist bald wieder dicht und gesund“, beruhigt Luke.
„Man sollte genau wissen, was man tut.“
Luke Blackburn, Baumchirurg aus Vettelschoß
Immer wieder würden Leute auch ohne Ausbildung baumpflegerische Arbeiten durchführen. „Das ist keine gute Idee. Man sollte genau wissen, was man tut. Immer wieder glauben die Leute bloß, weil sie mit einer Säge auf einen Baum klettern können, dass sie die Bäume retten oder fachgerecht fällen können“, sagt Luke. Das sei ein Irrtum und manchmal sehr gefährlich, nicht nur für den Baum. „Und es zieht häufig hohe Kosten nach sich, weil Bäume so geschädigt werden, dass sie instabil werden oder auch absterben“, erläutert er.
So verhunzte Bäume brauchen mindestens sechs Jahre, bis verschnittene Baumkronen sich wieder erholt haben. „Eingriffe in den Kronenraum wirken sich auch auf das Wurzelsystem aus, da beide in einem engen Zusammenhang stehen. Entfernt man Blatt- und Holzmasse, verringert sich auch anteilig die Wurzelmasse. Versorgungsschwierigkeiten und Wurzelfäule sind die Folge, wenn über das notwendige pflegerische Maß hinaus Schnittmaßnahmen in der Krone erfolgen“, erläutert Kevin.
Hallimasch ist für viele Bäume gefährlich
Baumrettung sei wichtig, eigentlich auch im Wald, erklärt er weiter: „Der ist ein geschlossenes System. Öffnet man es, indem Bäume zum Beispiel wegsterben, lichte Kronen haben oder wenn Bäume gefällt werden, heißt das auch, dass der Wald unter Stress gerät, weil der Boden mehr aufheizt und was letztlich dazu führt, dass weitere Bäume schwer geschädigt werden oder sterben.“
Jeder der Brüder hat spezielle Themen, die sie an den Bäumen und der Baumpflege besonders faszinieren. Für William ist es das Zusammenspiel von Bäumen und Pilzen. „Der Hallimasch zum Beispiel ist für viele Bäume ein sehr gefährlicher Pilz. Noch dazu kann sich dieser Pilz im toten Holz besonders gut vermehren“ erläutert er.

Baumpfleger ist kein Job wie jeder andere und definitiv nichts für Weicheier. Für Kevin ist das Klettern in luftiger Baumhöhe sein Traumjob. Das sei nicht für jeden was. „Leidenschaft für diese Arbeit ist unerlässlich. Ein Fitnessstudio braucht man auch nicht. Das Klettern ist sehr anstrengend. Man braucht außerdem fundiertes biologisches Wissen, und wer in 60 Metern Höhe mit der Kettensäge arbeiten will, sollte vor allem auch schwindelfrei sein. Von 15 Auszubildenden bleiben meist nur fünf im Beruf,“ berichtet er.
Problematisch wird es, wenn ein Baumpfleger auf den Eichenprozessionsspinner oder auf Nester der Asiatischen Hornisse trifft. „Auch da muss man genau wissen, was man tut. Der Prozessionsspinner hat schädliche Brennhaare, die zu Hautreizungen und allergischen Reaktionen führen können. Wir müssen sofort spezielle Schutzausrüstung anlegen, die hinterher entsorgt wird. Wir sind aber speziell geschult, um die Nester sicher und effektiv zu entfernen“, erläutert Kevin. Die Asiatische Hornisse (Vespa velutina) ist eine weitere Herausforderung, weil die Tiere besonders aggressiv reagieren, wenn man dem Nest zu nahekommt. „Da ist auf jeden Fall erst mal Ruhe angesagt“, weiß er.
In Deutschland ist die invasive Hornisse mittlerweile als „etablierte Art“ eingestuft, was bedeutet, dass keine behördlich koordinierte Beseitigungspflicht mehr besteht, da sie sich flächendeckend ausgebreitet hat. Dennoch wird empfohlen, Sichtungen an entsprechende Meldeportale zu senden.

Asiatische Hornisse: Kreis Neuwied ist nicht gewappnet
Die Asiatische Hornisse breitet sich in Westdeutschland immer stärker aus – auch im Kreis Neuwied. Der Kreisimkerverband schlägt nun Alarm, denn für den Kampf gegen den Eindringling fehlt es an Personal, Ausrüstung und Geld.