Gemeinden fühlen sich vom Land im Stich gelassen - Aktion kurz vor Weihnachten in Windhagen
Angespannte Flüchtlingssituation im Kreisnorden: Geschenkaktion für Ukrainer in Windhagen
Eine kleine Weihnachtsaktion hat sich die Verbandsgemeinde Asbach für die im ehemaligen Dormero-Hotel in Windhagen untergebrachten Flüchtlinge ausgedacht. Bürgermeister Michael Christ (von links), Ortsbürgermeister Martin Buchholz sowie die VG-Beigeordneten Alfons Ewens und Markus Harf überbrachten mit Mitgliedern des VG-Rats Geschenke.
Sabine Nitsch

Region Linz. Bereits im Oktober hatten Landrat Achim Hallerbach und die Bürgermeister im Kreis einen Brandbrief ans Land geschrieben, in dem sie in scharfen Worten darauf aufmerksam machten, dass der Landkreis und die Gemeinden an der Kapazitätsgrenze bei der Unterbringung von Flüchtlingen angekommen sind. Der blieb offenbar ungehört. Im Jahr 2022 sind etwa doppelt so viele Flüchtlinge im Kreis Neuwied angekommen wie im Jahr 2015 – für die Kommunen wird die Unterbringung immer schwerer.

Der Flüchtlingsstrom erreicht auch kurz vor Jahresende unverändert – eher noch steigend – die Städte und Gemeinden, auch im nördlichen Kreis. Wohnraum gibt es längst nicht mehr. Containersiedlungen mussten schon aufgestellt werden und es wird darüber nachgedacht, Turnhallen als Flüchtlingsunterkunft herzurichten. Die Gemeinden im nördlichen Kreis suchen händeringend nach Lösungen, wie in den Verbandsgemeinderatssitzungen zum Jahresende in Asbach, Unkel, Linz und Bad Hönningen deutlich wurde.

Unkels Bürgermeister Fehr tobt

Die Verbandsgemeinde Unkel ist bereits an der Kapazitätsgrenze angekommen. „Wir mussten schon den Bürgersaal belegen. Dort sind vor allem Geflüchtete aus Afghanistan, der Türkei, Pakistan, Syrien oder Somalia untergebracht“, erläutert Bürgermeister Karsten Fehr die Lage. Ukrainer kämen in der Verbandsgemeinde wenig an. Viele seien aber privat untergekommen. „Unsere Kapazitätsgrenze ist absolut erschöpft. Von oben wird die Verantwortung einfach nach unten zu uns durchgereicht“, so Fehr.

Derzeit werde das Gasthaus Virneberg von einem Investor für die Aufnahme von Flüchtlinge umgebaut. Das dauere jedoch. Die VG wird es für zehn Jahre anmieten. „Dort sollen weitere 60 Plätze entstehen. Ich befürchte aber, dass wir um ein Containerdorf nicht herumkommen. Fürs erste Halbjahr sind mindesten 40 Flüchtlinge angekündigt. Wie viele Ukrainer außerdem kommen wissen wir nicht“, wagt er einen besorgten Blick in die Zukunft. Dazu komme, dass alle Geflüchtete auch betreut werden müssen. „Es sind Riesenkosten, die anfallen. Der Kreis übernimmt zwar die Kosten für die Wohnungen, aber ein großer Teil bleibt über die viel höheren Personalkosten trotzdem bei uns. Ebenso wie Kosten für zum Beispiel Auslegeware oder Bettzeug und Ähnliches“, so der Bürgermeister.

Sporthallen als letzte Bastion

Auch sein Amtskollege aus Asbach, Michael Christ, stöhnt: „Wir haben keine Kapazitäten mehr frei. Allein 2022 haben wir schon 180 Wohnungen angemietet.“ Eventuell könnte man noch ein paar Plätze im ehemaligen Hotel Dormero schaffen, wo jedoch nur Geflüchtete aus der Ukraine untergebracht werden können. Die zur Verfügung stehenden Wohnungen sind längst alle belegt. „Auch wenn die Menschen als Flüchtlinge anerkannt und beim Jobcenter sind, bleiben sie trotzdem in den Wohnungen. Wenn der Zustrom so weitergeht, bleibt nichts anderes übrig, als auch Sporthallen zu belegen“, befürchtet auch er und ergänzt: „Wir fühlen uns im Stich gelassen. Auf unseren Brandbrief gab es keine Reaktion.“

In der Verbandsgemeinde Linz laufe es noch einigermaßen gut, meint Bürgermeister Hans-Günter Fischer. „Zu uns sind vor allem Ukrainer gekommen, von denen die meisten dezentral untergebracht werden konnten. Bisher sind es 385 von denen wir wissen. 60 Flüchtlinge aus sogenannten Drittländern sind außerdem hier“, sagt er. Im Streifgelände in Vettelschoß gebe es aktuell 90 Plätze für Flüchtlinge. „Alle müssen betreut werden. Es formiert sich aber gerade wieder vermehrt ehrenamtliches Engagement. Es gibt viele Initiativen wie Patenschaften oder Begleitungen“, zählt er auf und benennt noch weitere Herausforderungen, die Kommunen jetzt bewältigen müssen.

Kitas und Schulen müssen Mehrbelastung stemmen

Denn auch Kitas und Schulen sind gefordert. Sie müssen die jungen Geflüchteten aufnehmen. Aktuell seien zwischen 7 und 10 Prozent der Kinder in den Grundschulen Geflüchtete. Dazu kämen noch die Kinder mit Migrationshintergrund. „Schulen sind zunehmend überfordert und fühlen sich mit den Themen alleingelassen“, bemängelt er. „Wir müssen mit weiteren Zuweisungen rechnen. Wir können sie nicht mehr unterbringen. Land und Kreis sollten endlich genau hinschauen und sich vor allem auch in der Verantwortung sehen und Lösungen anbieten“, fordert Fischer.

Das sieht auch der Bad Hönninger Bürgermeister Jan Ermtraud so. „Wir brauchen Unterstützung vom Land und vom Kreis. Personelle und finanzielle. Wir werden einfach mit allem allein gelassen“, kritisiert er. Die Kapazitäten seien auch in Bad Hönningen erschöpft. „Wir haben schon 50 Wohnungen angemietet und Wohncontainer aufgestellt. Hier leben schon 200 Geflüchtete. Wir haben noch maximal 20 Plätze. Aber für das erste Halbjahr sind bereits mehr als 40 Flüchtlinge aus Drittländern angekündigt. Dazu kommen wahrscheinlich noch Menschen aus der Ukraine. Das ist nicht mehr zu stemmen“, befürchtet Ermtraud.

Ermtraud: Auch Einheimische suchen Wohnraum

Wohnungen seien längst keine mehr auf dem Markt. „Auch Einheimische suchen dringend Wohnraum. Die Lage ist sehr schwierig. Wir wollen nach Möglichkeit keine Turnhallen belegen. Das wäre die allerletzte Option. Wir haben auch keinen weiteren Standort für Container, mal abgesehen davon, dass aktuell auch keine zu bekommen sind, nur mit einer Wartezeit von einem halben Jahr“, erläutert Ermtraud und lobt die Nachbarn des Containerdorfs. „Sie helfen, wo sie können und bringen auch schon mal Kuchen vorbei. Die Kinder besuchen die Grundschule und sie haben Onlineunterricht aus der Ukraine. Das funktioniert sehr gut“, sagt er und er lobt auch die Zusammenarbeit mit den Nachbarkommunen: „Das klappt immerhin sehr gut.“

Von Sabine Nitsch

Eine kleine Geschenkaktion kurz vor dem Fest

Weihnachten ist eine Zeit, die man am liebsten zu Hause im Kreis der Familie verbringt. Die Geflüchteten aus der Ukraine müssen das Fest jedoch ohne ihre Lieben feiern, die zu Hause im Kriegsgebiet geblieben sind. Die Verbandsgemeinde Asbach, unterstützt von allen Fraktionen in den Räten, hat beschlossen, Frauen, Kindern und Jugendlichen, die im ehemaligen Dormero-Hotel in Windhagen-Rederscheid untergebracht sind, zumindest eine kleine Überraschung bereiten.

„Wir wollen Ihnen als unsere Gäste eine kleine Freude machen. Sie alle haben eine sehr belastende Situation, deswegen soll das hier ein Zeichen des Willkommens und der Unterstützung sein. Wir teilen mit Ihnen den großen Wunsch für 2023, dass wieder Frieden in ihrem Heimatland herrscht. Dass die politisch Verantwortlichen erkennen, dass Gespräche kein Zeichen der Schwäche, sondern der Vernunft sind“, sagte der Asbacher Bürgermeister Michael Christ, bevor es ans Verteilen der Geschenke ging.

Mehr als 100 Geschenktüten wurden unter Federführung von Markus Harf, dem Ersten Beigeordneter der VG Asbach gepackt. „Für die Frauen gibt vor allem Pflegeprodukte, ebenso für die Männer. Die Kinder bekommen je nach Alter und Geschlecht eine Tüte in der Spielzeug wie Lego, Puppen, Fußbälle oder Earbags und vielem mehr stecken“, zählte er auf. Mit einem Transporter und einem Pritschenwagen waren die Weihnachtsmänner und – frauen vor dem ehemaligen Hotel vorgefahren, um die Geflüchteten zu beschenken.

Der Windhagener Ortsbürgermeister Martin Buchholz und sein Beigeordneter Thomas Stumpf verteilten Tüten ebenso wie Verbandsbürgermeister Michael Christ und Jürgen Schmied, CDU-Ratsmitglied aus Neustadt. Die Freude bei den Familien aus der Ukraine war groß und es glitzerte das ein oder andere Tränchen, als sie so kurz vor dem Fest die Tüten in den Händen hielten. san

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