Kritik am neuen Kitagesetz - Betroffene berichten: Darum ist für sie die Betreuung in eigenen Einrichtungen unerlässlich
Ärger um das neue Kitagesetz im Kreis Neuwied: Werden Kinder mit Behinderung in Kitas schlechter gefördert?
Kinder in integrativer Kita
In der Kita im Heilpädagogisch-Therapeutischen Zentrum (HTZ) in Neuwied – hier ein älteres Foto aus einer integrativen Gruppe – werden auch Kinder mit Beeinträchtigungen gezielt gefördert. Das neue Kitagesetz wird als Gefahr für solche speziellen Einrichtungen gesehen.
Thomas Frey. picture alliance/dpa/Thomas Frey

In speziellen Einrichtungen wie der Kita im Heilpädagogisch-Therapeutischen Zentrum (HTZ) in Neuwied werden auch Kinder mit Beeinträchtigungen gezielt gefördert. Das neue Kitagesetz wird als Gefahr für solche speziellen Einrichtungen gesehen.

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Patrick Kotas (36) hat sich nie unterkriegen lassen. Seine körperlich starke Einschränkung – er ist halbseitig gelähmt und leidet unter Gleichgewichtsstörungen – hat er kaum als Behinderung, sondern mehr als Herausforderung gesehen. Er ist ein Kämpfer. Die Weichen in sein heute selbstbestimmtes Leben wurden im Heilpädagogisch-Therapeutischen Zentrum (HTZ) in Neuwied gestellt – doch just diese heilpädagogischen Plätze wurden jetzt abgeschafft und in reguläre Kitas verlegt. Eine Katastrophe für alle Betroffenen, meint Kotas.

„Als Baby konnte ich nicht mal sitzen. Ohne die intensive und interdisziplinäre Förderung in der HTZ-Kita hätte ich meinen weiteren Lebensweg nicht so erfolgreich und selbstbestimmt gehen können“, berichtet der Koblenzer, der heute als Kaufmann für Bürokommunikation bei einer Versicherung und als Coach arbeitet. Ihm ist es ein Anliegen, dass Kinder gemäß ihrer speziellen Bedürfnisse betreut und gefördert werden. Seit 2021 ist jedoch das neue Kitagesetz in Kraft – und das ist ein riesiges Problem, sagt nicht nur er.

Als Baby konnte ich nicht mal sitzen. Ohne die intensive und interdisziplinäre Förderung in der HTZ-Kita hätte ich meinen weiteren Lebensweg nicht so erfolgreich und selbstbestimmt gehen können.

Patrick Kotas

Der Hintergrund: Laut der UN-Behindertenrechtskonvention wurde Inklusion international anerkannt und als Menschenrecht etabliert. Das heißt, alle Menschen sollen gleichbehandelt werden, unabhängig von individuellen Fähigkeiten und sozialer oder kultureller Zugehörigkeit. Die Folge, die sich im neuen Kitagesetz niederschlägt: Alle Kinder haben einen Rechtsanspruch auf einen Regelkitaplatz oder eine Kindertagespflege. Dabei wird nicht unterschieden, ob das Kind beeinträchtig ist oder nicht.

Der Grundgedanke der Reform ist gut und nachvollziehbar. Aber wie so oft zeigt sich in der Praxis: Was vom Gesetzgeber gut gemeint ist, ist nicht unbedingt auch gut gemacht. Vielmehr sehen die Träger von heilpädagogischen Kitas ihre Planungssicherheit und die Finanzgrundlagen gefährdet. Und nicht nur das: In einer Umfrage des Kitafachkräfteverbands Rheinland-Pfalz von 2023 gaben 1000 befragte Fachkräfte an, dass sie ihre Fürsorgepflicht für die Kinder nicht mehr richtig wahrnehmen können.

Einige integrative Kitas denken ans Aufgeben

Das neue Kitagesetz habe die Lage nicht verbessert, sondern zu erheblichen Verschlechterungen geführt. Das geht so weit, sagt HTZ-Geschäftsführer Thomas Voss, dass einige integrative Kitas inzwischen ans Aufgeben denken. Dabei hat die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig laut Voss mehrfach betont, dass „die besonderen Plätze erhalten werden müssen“. Leider sei sie bisher die Antwort schuldig geblieben, wie das funktionieren soll.

Das HTZ, eine gemeinnützige GmbH, betreibt sieben integrative Kindertagesstätten sowie eine Regelkindertagesstätte mit insgesamt über 550 Plätzen an verschiedenen Standorten im nördlichen Rheinland-Pfalz. Am Standort Neuwied werden 156 Kinder in 14 Gruppen im Alter von einem Jahr bis zum Schuleintritt betreut und gefördert. Sehr viele Kinder stehen auf der Warteliste.

„Unser Einzugsgebiet ist der Kreis Neuwied, es geht aber auch bis nach Koblenz und in die Eifel“, erläutert Voss. Die Kinder kommen, weil sie im HTZ die Betreuung und Förderung erhalten, die Regelkitas bei Kindern mit schweren Behinderungen aber auch psychischen Störungen oder Autismus nun mal nicht leisten können.

Das Beispiel des kleinen Luis

Gerade, dass wichtige Therapien unter dem Dach der Kita stattfinden, ist für die Kinder, aber auch für die Eltern essenziell. Das zeigt das Beispiel von Luis Hoffmann aus Windhagen. Luis (6) leidet an einer Zerebralparese. Sein zentrales Nervensystem wurde bei der Geburt schwer geschädigt.

„Er ist und bleibt zu 100 Prozent auf fremde Hilfe angewiesen“, erläutert Mama Carolin Hoffmann. Luis macht dank Physio-, Logo- und Ergotherapie in der HTZ-Kita in Asbach trotzdem immer wieder kleine Fortschritte. „Es ist außerdem eine unendliche Erleichterung, dass Therapien in der Kita stattfinden“, sagt Carolin Hoffmann, die vorher eigentlich den ganzen Tag ausschließlich damit beschäftigt war, Luis von einer Therapie zur nächsten zu bringen.

Inklusion ist für mich, Rücksicht auf den Mehraufwand zu nehmen, den Menschen mit Behinderung notwendigerweise haben.

Patrick Kotas

In einer normalen Regelkita sei Luis absolut fehl am Platz. Nicht nur, weil er dort nicht die Hilfe bekomme, die er braucht, sondern auch, weil seine Betreuung so viel Raum einnimmt, dass kaum Zeit für die anderen Kitakinder bleibe. Das Beispiel des schwerstbeeinträchtigten Luis zeige, wo der Gedanke, dass alle Kinder gleichzubehandeln sind, an seine Grenzen stößt.

Das unterstreicht Patrick Kotas. „Es ist nun mal nicht damit getan, zu fordern, dass Menschen mit Behinderung die gleichen Rechte haben – man muss auch ihre besonderen Bedürfnisse in den Blick nehmen. Und die sind je nach dem Grad der Beeinträchtigung eine Herausforderung“, sagt er. Für ihn ist es nicht nachvollziehbar, dass es Einrichtungen wie die HTZ-Kitas wegen des neuen Gesetzes in dieser Form nicht mehr geben könnte. „Die Einrichtungen sind existenziell“, sagt er: Die Mitarbeiter sind speziell geschult, Therapeuten kommen direkt in die Einrichtung, die Kinder können schwimmen gehen, sie können sich gemäß ihren Möglichkeiten und in ihrem Tempo bewegen und entwickeln.

„In einer normalen Kita und später in einer normalen Schule, wäre ich nur der Sonderling gewesen und hätte mich nicht so entwickeln können. Inklusion ist sehr wichtig. Aber Kinder sind nun mal nicht alle gleich“, so Kotas. Nur, wenn eingeschränkte Menschen gemäß ihren Möglichkeiten wahrgenommen und gefördert werden, könne Inklusion letztlich auch gelingen, meint er. „Inklusion ist für mich, Rücksicht auf den Mehraufwand zu nehmen, den Menschen mit Behinderung notwendigerweise haben“, betont er. Dem habe das neue Kitagesetz nicht Rechnung getragen.

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