CDU legt zu, SPD verliert
8308 Neuwieder wählen die AfD in den Bundestag
77,4 Prozent der berechtigten Neuwieder beteiligten sich an der Bundestagswahl 2025, darunter viele in den Wahllokalen, wie hier in Neuwied-Heddesdorf.
Jörg Niebergall

Ehemals deutlich rot, gönnt die Stadt Neuwied ihrer SPD ein paar Prozentpunkte mehr als im Bundesdurchschnitt. Auch die CDU legt zu. Doch die wahren Wahlsieger sind andere.

Aktualisiert am 27. Februar 2025 09:00 Uhr

Auch die Wahlberechtigten der Stadt Neuwied haben sich an der Bildung des neuen Deutschen Bundestags beteiligt. In der ehemals roten Stadt schnitt die SPD mit 20,4 Prozent der Zweitstimmen besser ab als bundesweit. Dort erhielten die Sozialdemokraten nur 16,4 Prozent Zustimmung. Doch der Verlust im Vergleich zu 2021 ist ein herber Schlag: 32,5 Prozent der Neuwieder wählten damals rot. Stärkste Partei wurde in Neuwied diesmal die CDU mit 27,1 Prozent der Zweitstimmen, 4,2 Prozent mehr als noch 2021. Um 12,7 Prozent zugelegt hat allerdings die AfD in Neuwied. Ihr gaben 23,5 Prozent – also insgesamt 8308 Neuwieder – ihre Zweitstimme.

Die Grünen landen mit 8,2 Prozent auf dem dritten Platz. Knapp 3 Prozent haben sie im Vergleich zu 2021 verloren. Die Linke hat ihr Ergebnis von 2021 in der Deichstadt mehr als verdoppelt: Statt 3,4 Prozent fährt die Partei nach der „Mission Silberlocke“ nun 7,3 Prozent ein. Hätten nur Neuwieder den Bundestag gewählt, wäre das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit seinen 5,7 Prozent über die Hürde gekommen. Die FDP wäre allerdings auch hier aus dem Parlament gewählt worden. Magere 3,8 Prozent gab es für die Liberalen, ein herber Absturz nach den 11,1 Prozent, die sie noch 2021 erhielten.

„Macht Euch an die Arbeit, es braucht schnell einen zukunftsorientierten, konkreten und umsetzbaren Plan für die nächsten vier Jahre.“
Martin Hahn, CDU-Fraktionsvorsitzender im Neuwieder Stadtrat

„Im Gegensatz zum grandiosen Wahlergebnis bei der OB-Wahl von 54,96 Prozent enttäuscht mich das Ergebnis im Bund schon sehr“, sagt Christdemokrat Martin Hahn. Es zeige deutlich, dass viele Wähler zwischen der Arbeit vor Ort und der „großen Politik“ in Berlin zu unterscheiden wüssten, so der CDU-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat weiter. Seine Erwartungshaltung an die möglichen Koalitionspartner CDU und SPD: „Macht euch an die Arbeit, es braucht schnell einen zukunftsorientierten, konkreten und umsetzbaren Plan für die nächsten vier Jahre.“

Der elende Dauerstreit in der Ampel, bei der die SPD gefühlt viel zu oft ungerührt zuschaute, habe auch zu dem desolaten Wahlergebnis geführt, vermutet SPD-Fraktionssprecher Sven Lefkowitz. Er hofft, dass die neue Bundesregierung zu einer anderen Arbeitsweise findet, wichtige soziale Themen wie Wohnen, Rente, Gesundheitsversorgung und Bildung nach vorne stellt „und entsprechende Ergebnisse liefert“, sagt er.

Freude auf der einen, Erschrecken auf der anderen Seite

Die Neuwieder AfD liegt deutlich über den Ergebnissen in Bund, Land und Wahlkreis, ist klar zweitstärkste Kraft in Neuwied und sei die eigentliche Gewinnerin der Bundestagswahl, freut sich deren Fraktionssprecher Rainer Koch: „In einigen Stadtteilen wie Torney und Niederbieber sind wir sogar die stärkste Kraft.“ Viele Nichtwähler hätten sie für die Demokratie zurückgewinnen können, ist er sich sicher. Sie würden jetzt mit verdoppelter Kraft Politik für die Bürger machen.

Dass die SPD drei Prozentpunkte hinter der AfD liegt, erschreckt Regionalgeschäftsführer Janick Helmut Schmitz. Das müsse man ernst nehmen, sagt er: „Die Demokraten müssen es schaffen, die alltäglichen Ängste, Sorgen, Nöte und Probleme der vielen Menschen zu behandeln und zu lösen.“ Ob die Menschen aus Protest AfD gewählt haben, überlegt Christoph Schossig, Fraktionsvorsitzender von „Ich tu’s“, und merkt an: „Dann wurde vielleicht nicht zu Ende gedacht, da sich das Wahlprogramm an vielen Stellen gegen sie selbst richtet.“ Letztlich könne durch sachorientierte, bürgernahe Politik, zumindest auf lokaler Ebene, Überzeugungsarbeit geleistet werden, ist er überzeugt.

52,1 Prozent der Neuwieder Wähler warfen ihre ausgefüllten Stimmzettel am 23. Februar selbst in die Urne.
Jörg Niebergall

Das Abschneiden der AfD sei eine Katastrophe – im Bund und in der Stadt, legt Regine Wilke, Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grüne im Stadtrat, nach: „Gleichzeitig müssen wir als Grüne anerkennen, dass unsere Themen nicht durchgedrungen sind.“ Doch der Klimawandel lasse sich nicht abwählen. „Wir kämpfen weiter für eine gerechte, nachhaltige Zukunft“, sagt sie. Sie hoffe, dass die Entgleisungen von Merz in Neuwied nicht verfangen und die Zusammenarbeit zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger bestehen bleibe.

Dass die Deichstädter ihr Recht zu wählen ernst nehmen, haben sie einmal mehr mit einer verhältnismäßig hohen Wahlbeteiligung von 77,4 Prozent gezeigt. Diese sieht Lars Ebert, Sprecher der Freien Wähler, dessen Partei in Neuwied 1,4 Prozent Zustimmung erhalten hat, positiv, dass die linken und rechten Ränder erstarkt sind, allerdings nicht. Die Regierung mit CDU und SPD müsse mit Kompetenz das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen, stellt er fest.

„Klar sind wir enttäuscht, den Einzug in den Bundestag so knapp verpasst zu haben. Aber wir freuen uns über das schöne Ergebnis in der Stadt mit 5,7 Prozent.“
Tobias Härtling, Stadtsprecher des Bündnisses Sahra Wagenknecht

FDP-Stadtvorsitzender Dietrich G. Rühle erklärt zum Anschneiden seiner Partei: „Die FDP hat vieles richtig gemacht, aber es wurde zu wenig deutlich.“ Die Ampel sei Opfer einer historisch schwierigen Lage geworden, fährt er fort; er habe sich hier einen Umgang wie in Rheinland-Pfalz gewünscht. „Mehr Staat, mehr Schulden oder ein Verniedlichen der militärischen Bedrohung sind das Gegenteil einer Lösung“, sagt Rühle. Es brauche eine liberale Partei für Menschen, die anpacken, und dafür, dass dem Bürger nicht alles vorgeschrieben werde, und prognostiziert, dass die Partei nach der Krise gestärkt zurückkommen werde.

„Klar sind wir enttäuscht, den Einzug in den Bundestag so knapp verpasst zu haben. Aber wir freuen uns über das schöne Ergebnis in der Stadt mit 5,7 Prozent“, sagt Tobias Härtling, Stadtsprecher des BSW, und ist sich sicher: „Wir werden uns bei künftigen Wahlen steigern, denn es braucht gerade im Bund und im Land eine Alternative zu den Altparteien und zur AfD.“ Es brauche eine linkskonservative Partei, das BSW.

47,9 Prozent Briefwähler gaben ihre Stimme ab

Insgesamt 35.421 Wahlberechtigte haben in Neuwied ihre gültige Zweitstimme abgegeben, 348 waren ungültig. Der Anteil an Briefwählern lag bei der Bundestagswahl 2025 bei 47,9 Prozent, 14,5 Prozent weniger als im September 2021. Da diese Stimmen nicht für die einzelnen Stadtteile, sondern nurmehr für die gesamte Stadt ausgezählt werden, kann unsere Zeitung nicht auf detaillierte Ergebnisse zurückgreifen. Die Prozentzahlen, die das Statistische Landesamt für Neuwieds Wahlbezirke ausspielt, beziehen sich allein auf die Urnenwähler. Das kann das Ergebnis jeweils verzerren, sodass nur ein Blick auf die ganze Stadt belastbare Einschätzungen erlaubt.

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