Cochem
Zauderhaft: Wenn die Eltern-App streikt

Matthias Ningel jonglierte in Cochem gekonnt mit starken Texten, die den Menschen den satirischen Spiegel vorhalten. Foto: Andreas Walz

Andreas Walz

Cochem. Ein schmuddelig gelber Pullover, ein Notizbuch mit merkwürdigen Einträgen, ein Brief von der Jugendliebe Ilona und ein "Verwandlungsjackett" setzt Matthias Ningel ein, um sein neues Kabarettprogramm "Jugenddämmerung" zu erklären.

Von unserer Mitarbeiterin Brigitte Meier

Aber natürlich wären diese Requisiten bedeutungslos ohne den Flügel, dem der 29-jährige Künstler aus Hambuch wunderbare Melodien entlockt, und ohne die starken Liedtexte, die den Menschen den satirischen Spiegel vorhalten. Der Applaus des Publikums der ausverkauften Vorstellung im Kulturzentrum Kapuzinerkloster Cochem zeigt, dass Ningel mit seiner scharfen Beobachtung menschlicher Schwächen und Abgründe richtig liegt.

Der poetische Untertitel des Programms „Jedem Abgang wohnt ein Zaudern inne“ beschreibt die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens, wenngleich es sich bei dem besungenen „kleinen Helden“ nicht etwa um einen randalierenden Pubertierenden handelt, sondern um einen studierten, dennoch von der „Eltern-App“ rundum versorgten 30-Jährigen. Schmerzliches Zaudern quält ihn, wenn es darum geht, das Hotel Mama zu verlassen.

Doch mehr noch als das Festklammern im warmen Nest treibt Ningels Kabaretthelden die Erinnerung an seine Jugendliebe um. „Iloonaa!“, schmachtet er die platonisch Geliebte in einem zu ihrem Geburtstag komponierten Liebeslied an. Ob es richtig war, ihr stattdessen Tankgutscheine zu schenken? Die Frage bohrt in ihm, zumal Ilona auf ihrer Geburtstagsparty mit Rolf tanzt, der als Erfolgstyp im Management längst mal eben nach London zum Shoppen fliegt.

„Wie fühlt mach sich als Rolf? Vielleicht sollte ich werden wie Rolf?“, überlegt der Kabarettist und schlüpft in ein knappes Jackett, das durch die im Fitnessstudio gestählten Nacken- und Brustmuskeln aus den Nähten zu platzen droht. Und schon besingt er seine Erfolge beim Poweryoga: „Ich bin der Beste im Yogakurs.“ Ningel nutzt den Flügel und seine Stimme pointiert, dass das Publikum den fiesen Aufschneider und Besserwisser vor sich sieht, der in fast jeder Gruppe nervt.

Um eine Distanz zwischen sich und der Bühnenfigur zu schaffen, schlüpft Ningel geschickt zwischendurch in die Rolle eines Moderators, der sozusagen von außen den „kleinen Helden“ im Auge behält. Denn der junge Liedermacher ist weder wie „Turbo-Rolf“ noch wie der zaudernde Typ im uralten Pullover. „Kauf dir endlich einen neuen“, lamentiert dessen Mutter. Ausgeleierte Klamotten, von denen man sich partout nicht trennen kann, („Da steckt mein ganzes Leben drin“), kennt jeder. Und Ningel stellt dem alten Pullover mit satirischen Worten moderne Funktionskleidung gegenüber, „die gekauft wird, um einmal im Jahr bei der Vatertagswanderung als Wolfskin-Maskottchen durch den Wald zu laufen“.

Kuriositäten und Absurditäten der schönen, neuen Medienwelt, Seriensucht und Partnersuche im Internet oder Speeddatings entlarvt Ningel mit frechen Songs und gesprochenen Texten. Dass der „kleine Held“ auch einen kleinen Tick hat, führt er dem Publikum mit seinem Notizbuch „Knick-Knack-Blubb“ vor, in dem er eine Liste kitschiger Liebesbeweise notiert. Beispiel: Die Vorhängeschlösser unzähliger Liebespaare, die eine Brücke in Köln verunstalten, sollte man mit einer Zange „knick-knack“ aufknacken und „blubb“ in den Rhein werfen.

Auch wenn das Programm das Zaudern aufs Korn nimmt, kann bei Matthias Ningel ganz und gar nicht von Zaudern die Rede sein. Der 29-Jährige in Mainz lebende „Homejer Jung“, wie ein Liebeslied aufs beschauliche Landleben, natürlich mit scharfen Seitenhieben gespickt, bezeugt, hat seine Karriere zielsicher im Blick. Nach seinem Studium der Musik und Philosophie tourt er mittlerweile durch ganz Deutschland. Seine Kunst wurde bereits mit zahlreichen Kleinkunstpreisen belohnt. Man kann sicher sein, dass Matthias Ningel, der jetzt schon in der Kabarettszene eine Nummer ist, noch weiterhin von sich reden machen wird.

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