Nachrichten aus aller Welt fast zeitgleich einholen, Wissenslücken füllen ohne dicke Wälzer, sondern flott per Klick, Geschäfte aller Art tätigen, kommunizieren mit Behörden und Freunden oder zur Unterhaltung spielen und vieles mehr ermöglicht das Internet. Und da insbesondere junge Menschen, aber auch immer mehr ältere Personen, dieses Medium zur sozialen Teilhabe nutzen, gehört ein Internetanschluss laut Gerichtsurteil zum Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Wenn die Forderung nach Inklusion erfüllt werden soll, gilt dieses Grundrecht umso mehr auch für Menschen mit Behinderung, die in betreuten Einrichtungen leben.
Allerdings kann die Beschaffung eines Internetanschlusses eine komplizierte Angelegenheit sein. Dank der Hartnäckigkeit von Peter Rieken aus Illerich, gesetzlicher Betreuer von Stefan Hildebrandt, der in einer Außenwohngruppe von St. Martin in Kaisersesch lebt, können sich nun Hildebrandt und zwei Mitbewohner nach Herzenslust im weltweiten Netz bewegen. Die monatlichen Kosten von 30 Euro für den Anschluss teilen sich die drei Männer.
Das Fehlen eines Internetanschlusses, der viele in Isolation Verbannte mit der Außenwelt verband, verwehrte Menschen mit Handicap die wichtige soziale Teilhabe.
Betreuer Peter Rieken
Da Hildebrandt zuvor sein Prepaid-Handy über Mobilfunk zwei- bis dreimal in der Woche für fünf bis zehn Euro aufladen muss, fragt er Ende 2020 seinen Betreuer nach einer günstigeren Möglichkeit der Internetnutzung. Dieser macht sich sofort an die Recherche, zumal gerade Heimbewohner während der Corona-Pandemie für längere Zeit nicht aus ihren Zimmern herauskamen. „Das Fehlen eines Internetanschlusses, der viele in Isolation Verbannte mit der Außenwelt verband, verwehrte Menschen mit Handicap die wichtige soziale Teilhabe“, berichtet Rieken.
Bei der Verwaltung von St. Martin erfährt er, dass eine Mitnutzung des im Haus der Wohngruppe vorhandenen DSL-Anschlusses durch die Bewohner aus verschiedenen Gründen nicht infrage kommt. Rieken erfährt auch: „Man lege mir aber keine Steine in den Weg, einen separaten DSL-Anschluss schalten zu lassen, sofern keine Aktivitäten von St. Martin nötig seien.“
Der Weg zum Internet: Viel Geduld nötig
Es sind auch so viele Steine aus dem Weg zu räumen, erinnert sich Rieken. Zunächst sichert er sich die Unterstützung der anderen gesetzlichen Betreuer in der Wohngruppe. Drei der sechs dort lebenden Männer sind bereit, sich einen DSL-Anschluss zu teilen. Vorübergehend stellt Rieken seinem „Schützling“ einen nicht mehr genutzten Mobilfunkvertrag für einige Monate Restlaufzeit mit einem Router zur Verfügung. Frohgemut bestellt er Mitte Januar 2022 beim Internet-Provider 1&1 den ersehnten Anschluss, um einige Tage später zu erfahren, dass sich die Bestellung verzögert.
Im Februar 2022 kommt die Information, dass die Bestellung doch bearbeitet wird. Doch zu früh gefreut: Kurz darauf erfährt Rieken, dass sich die Schaltung des Anschlusses „wegen Leitungsmangels“ verzögert, und wiederum einige Tage später bittet der Provider „um etwas Geduld“.
Die Bestellung wird bearbeitet, Bitte um Geduld, Verzögerung wegen Leitungsmangel, ...
Diese Nachrichten erhielt der Betreuer beim Versuch, einen Internetanschluss zu installieren.
Und so geht es weiter: Der Anschluss mit der gewünschten Geschwindigkeit DSL 50 ist nicht realisierbar, eine neuer Antrag für einen DSL-16-Anschluss wird gestellt. „Dann das gleiche Spiel“, erinnert sich Rieken. Freundliche Schreiben mit „die Bestellung wird bearbeitet“, „Bitte um Geduld“, „Verzögerung wegen Leitungsmangel“. Immerhin bietet 1&1 vorübergehend kostenlos einen Mobilfunk-USB-Stick an. Doch das zur Verfügung gestellte Datenkontingent reicht nur für wenige Tage, und nach drei Monaten fordert der Internet-Provider den Stick zurück.
Anfang April 2022 kommt ein Anruf mit der Nachricht, dass auch der DSL 16-Anschluss nicht schaltbar ist, weil die Telekom als Vorlieferant keine Leitung bereitstellen kann. Rieken weiß jedoch: „Die Telekom als Noch-Monopolist ist verpflichtet, Endkunden einen Telefonanschluss zu schalten. Daher habe ich am 11. April einen solchen Anschluss bei der Telekom beauftragt.“ Dann geht der Schriftverkehr mit der Telekom los, die Texte ähneln denen von 1&1: „Bitte um Geduld“, „Verzögerung auf unbestimmte Zeit“, mehrmals bittet die Telekom „um Verständnis“.
Wir machen alles, was möglich ist: schreiben, lesen, per Video telefonieren, fernsehen und spielen.
Stefan Hildebrandt, Bewohner der Wohngruppe
Eine Beschwerde bei der Bundesnetzagentur bewirkt ein Versprechen, sich zu kümmern. Rieken freut sich: „Offenbar konnte hinter den Kulissen tatsächlich eine Beschleunigung in Gang gesetzt werden.“ Schließlich wird die Schaltung für November 2022 nicht nur angekündigt, sondern realisiert. Etwas Zeit vergeht noch, bis ein Elektriker die Schaltung in den Innenräumen des Hauses vorgenommen hat und das Internet seit Ende Dezember 2022 – sogar als DSL 100-Anschluss – in der Wohngruppe funktioniert. Die gute Nachricht: Die Firma 1&1 hat zugesagt, die Mehrkosten, die durch den Umweg über einen normalen Telefonanschluss entstanden sind, zu erstatten.
Stefan Hildebrandt, Thomas Meyerdriesch und Waldemar Steil sind glücklich, dass sie nun für überschaubare Kosten, jederzeit mit der ganzen Welt verbunden sind. Die Frage, wie sie das Internet am liebsten nutzen, beantwortet Hildebrandt strahlend: „Wir machen alles, was möglich ist: schreiben, lesen, per Video telefonieren, fernsehen und spielen.“
Das sagen die Gerichte
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat 2006 geurteilt, dass Schwerbehinderte das Recht auf einen (…) Internetzugang haben. Internet sei heute ohne Zweifel ein geeignetes Mittel im Sinne der Eingliederungshilfe für dauerhaft Schwerbehinderte. Von dieser gesellschaftlichen Entwicklung dürften Schwerbehinderte (…) nicht dauerhaft abgekoppelt werden (Az: 12 K 5442/04).
Ähnlich urteilt das Sozialgericht Marburg. Demnach ist „(…) die Nutzung des Internets (…) in den Schutzbereich des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben einschließlich der Schaffung eines eigenen geistigen Freiraums und der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu sehen.“ (Az: S6 KR 66/08)