Das Lüsterweibchen.
Abgewetzt ist die rote Farbe am Bauch des Lüsterweibchens, das im Übergangszimmer der Cochemer Reichsburg von der Decke hängt, einen Kerzenständer samt Kerze in der rechten Hand haltend. Theo Lechtenfeld nennt den Grund: „Wir erzählen unseren Besuchern immer, dass es Glück bringt, dem Lüsterweibchen über den Bauch zu streicheln.“ Es scheint zu funktionieren. So haben es Burgbesucher Lechtenfeld mehr als einmal zurückgemeldet. Zum Beispiel eine Frau, die kurz nach der Streicheleinheit mit ihrem Sohn auf einer Bank am Mainzer Dom saß. Kaum hatten sich beide von der Bank erhoben, krachte ein großer Stein vom Dom auf die Bank herab. Glück gehabt.
Solche Geschichten wirken nach. Sie sind der Grund dafür, dass Lechtenfeld auch nach fast dreißig Jahren noch gerne seiner Arbeit auf Cochems Schlossberg nachgeht. Den direkten Kontakt zu Menschen – zu Gästen wie Mitarbeitern – hat er immer geliebt. Und es ist ihm wichtig, dass seine Mitarbeiter dies spüren. Vier Festangestellte hat die Reichsburg-Gesellschaft: einen Geschäftsführer, einen Stellvertreter, einen Hausmeister sowie einen Mitarbeiter, der halb fürs Kulturzentrum Kapuzinerkloster, halb für die Burg tätig ist. Hinzu kommen 18 bis 20 Saisonangestellte sowie 50 Aushilfen. Viele Mitarbeiter sind schon zehn, zwölf Jahre dabei. „Wir haben zwei Mitarbeiterinnen, die sind schon länger da als ich“, sagt Lechtenfeld. „Wenn es denen allen hier oben nicht gefallen hätte, dann wären sie doch nach einem halben Jahr wieder weg gewesen.“
In fast 30 Dienstjahren als Geschäftsführer der Cochemer Reichsburg hat Theo Lechtenfeld unvergessliche Geschichten erlebt. Am Jahresende geht er in Ruhestand.
Waren sie aber nicht. Alte Steine gibt es naturgemäß viele in einem Gemäuer wie der Reichsburg. Doch Urgesteine wie Lechtenfeld und viele seiner Mitarbeiter füllen es mit Leben. Sie legen den Grundstein dafür, dass Jahr für Jahr Hunderttausende Gäste gerne zur Reichsburg hinaufgehen. „Wenn zum Beispiel an den Gourmetabenden Menschen zu mir kommen und mir sagen, wie toll das alles ist und wie wohl sie sich fühlen, das ist klasse.“ Unbezahlbar. Die Leute sollen etwas geboten bekommen. „Zum Gourmetfest zu kommen, kostet richtig Geld“, darüber ist Lechtenfeld sich im Klaren. Doch die Veranstaltung ist in der Regel schon ein Jahr zuvor ausverkauft. „Wir haben jetzt schon 40 Anmeldungen für das übernächste Mal.“ 400 Gäste pro Gourmetabend. Das Fest geht maßgeblich mit auf Lechtenfeld zurück.
Dabei war es ein Stück weit Glückssache, dass er Geschäftsführer der Reichsburg wurde: Lechtenfeld, in Fleckenberg im Hochsauerlandkreis geboren, zog mit seinen Eltern schon in jungen Jahren nach Rheine im Münsterland. Nach Abschluss einer Konditorlehre besuchte er in Neuwied die Lebensmittelfachschule, wurde Betriebswirt im Lebensmittelhandel. Für eine große Handelskette übernahm er einen Markt in Mayen. Als dieser jedoch von einem Discounter geschluckt werden sollte, schaute Lechtenfeld sich nach Alternativen um. Er stieß auf Stellenanzeigen der Reichsburg, die einen Nachfolger für Horst Franke (inzwischen verstorben) suchte, und der Bäckerei Lohner. „Ich habe mich zeitgleich bei beiden beworben, doch die Stadt Cochem sagte mir drei, vier Tage früher zu.“
Als dann der Anruf von Lohners kam, sagte Lechtenfeld bloß: Ja, er werde künftig in Cochem arbeiten, aber woanders. Auf der Burg. Dort bekam er einiges gebacken. „Vor allem in den ersten Jahren bin ich mehr auf der Burg zu Hause gewesen, als in Mayen“, sagt Lechtenfeld. „Auch samstags und sonntags.“ Generell waren 50 bis 60 Wochenarbeitsstunden eher Regel als Ausnahme. Dass das gut funktionierte, verdankt er nicht zuletzt seiner Frau Klaudia, die in den Anfangsjahren auf der Burg mitarbeitete, erst in der Schenke, dann im Büro, in der Lohnvorbereitung.
Die Reichsburg.
Mit zwischen 900 und 1000 Menschen hat Lechtenfeld als „Burgherr“ zusammengearbeitet sowie mit vier Stadtbürgermeistern: Horst Hoffmann, Herbert Hilken, Wolfgang Lambertz und Walter Schmitz. „Die Zusammenarbeit mit Bürgermeistern und dem Burgausschuss war gut. Wir haben immer zum Wohle der Burg gearbeitet.“
Das Wohl der Burg – Lechtenfeld lag es immer am Herzen. Und das Wohl der Gäste. Beides ist untrennbar miteinander verknüpft. Wobei es oft Kleinigkeiten waren, die Besucher ihm als angenehm rückkoppelten, etwa gepflegte, gut ausgestattete Toiletten. „Ich sage immer, es ist eine alte Burg, aber sauber und ordentlich soll sie sein.“ Historisch gut in Schuss ebenfalls. Für den musealen Teil holte Lechtenfeld sich immer fachlichen Rat ein. Er kümmerte sich ums Management der Serviceabläufe, der Führungen und Feste und um die Mitarbeiter. Seit Jahren schon arbeitet er mit seinem Stellvertreter und Nachfolger Oliver Pinzer zusammen. „Er ist genau die richtige Wahl“, findet Lechtenfeld.
Der Richtige, um in große Fußstapfen zu treten. Wolfgang Lambertz sagt über Lechtenfeld: „Er war der Grandseigneur der Burg, ein innovativer Macher. Seine menschlich gradlinige Art macht ihn aus. Auf ihn konnte man sich immer verlassen – ein Mann, ein Wort.“ Jetzt ist Lechtenfeld 70 und verlässt die Burg. Spuren von Abschiedsschmerz? „Da ist bestimmt eine Menge Wehmut dabei“, sagt er. „In den ersten Wochen werde ich es womöglich als Urlaub empfinden, aber dann?“ Okay, als Berater will er seiner Burg weiter zur Verfügung stehen. Doch was kommt nach dem Ruhestand? Da will Lechtenfeld mehr Zeit für Privates finden, für CDs und LPs, ob von Luciano Pavarotti oder den Beatles. Für Reisen nach Ostfriesland oder ins Hochsauerland. Vielleicht für ein Ehrenamt. Dafür möchte man ihm Glück wünschen. Vielleicht sollte er, bevor er geht, selbst den Bauch des Lüsterweibchens noch einmal streicheln. Der muss mindestens einmal im Jahr nachgestrichen werden, weil die rote Farbe fehlt. Sicher ist: Lechtenfelds Liebe zur Reichsburg wird nicht so flott verblassen.