„Nach meiner Pensionierung habe ich bewusst nach einer ehrenamtlichen Aufgabe gesucht“, erklärt Scheuer. Die ursprüngliche Intension der Organisation „Helgo“ war es, Kindern in Indien eine Kindheit zu ermöglichen. Und zwar, indem man sie in die Schule gehen lässt. Klingt paradox? Ist es aber nicht. „Die Kinder in den Slums müssen hart arbeiten. Sie suchen in riesigen stinkenden Müllbergen nach Verwertbarem, das sich zu Geld machen lässt, um ihren Familien das Überleben zu sichern“, sagt Scheuer.
Beim Lernen und Leben helfen
Um die Kinder aus diesem Hamsterrad zu befreien, hat ein deutscher Arzt vor rund 30 Jahren eine Einrichtung in Kalkutta gegründet, die es Kindern aus armen Familien ermöglicht, dort zu lernen und zu leben. „Das Geld, das den Familien durch die fehlende Kinderarbeit entgeht, bekommen sie von Helgo ersetzt“, betont Scheuer. Das ist unter anderem ein Grund, weshalb Eltern mit ihren Kindern vor der Schultür Schlange stehen.
Doch Bildung allein ist keine Garantie dafür, dass sich die Lebenssituation der Menschen zum Besseren verändert. „Es ist wichtig, dass man die Chancen, die Bildung bietet auch nutzt. Denn ein Rikschafahrer mit Bildung verdient nicht mehr als einer ohne“, konstatiert Scheuer.
„Wenn man die Talente der einzelnen Schüler erkennt, ist es leichter, den richtigen Beruf zu finden. Dabei soll mein Konzept helfen.“
Helmut Scheuer
Der 70-Jährige war im Mai dieses Jahres zuletzt in Kalkutta, um ein neues Projekt in Gang zu bringen, das den Schülern einen besseren Einstieg ins Berufsleben ermöglichen soll. „Es war in dieser Zeit unerträglich heiß dort unten, aber der Einsatz hat sich glaube ich gelohnt“, sagt er. Tatsächlich klingt das Konzept vielversprechend.
„Ich habe in der Coronazeit ein Konzept zur Berufswahlentscheidung erstellt, das ich kürzlich in Indien vorgestellt habe“, sagt er. In der von „Helgo“ gegründeten Schule arbeiten nun einige Sozialarbeiter, die früher selbst dort zur Schule gingen. Eigene Pflänzchen sozusagen. Bei seinem Besuch in Indien hat Scheuer den Sozialarbeitern in Workshops die Grundlagen der Berufsfindung beigebracht. „Es ist immer besser, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten“, sagt er.
In den Workshops haben die Sozialarbeiter und Pädagogen gelernt, wie man die Talente einzelner Schüler erkennt und fördert. „Es ist nicht damit getan, den Kindern etwas beizubringen, sondern man muss ihren Weg bis zum Start ins Berufsleben begleiten, wenn sich an ihrer Situation etwas ändern soll“, betont Scheuer.
Beim Bau eines Modells, die Teilnehmer waren dazu aufgerufen, aus einfachen Materialen eine Murmelbahn zu bauen, können wichtige Erkenntnisse über die jeweiligen Fähigkeiten des Einzelnen gewonnen werden. Dazu bedarf es allerdings genauer Beobachtung. Insgesamt 17 Kriterien gilt es zu beachten und zu bewerten. „Die Pädagogen vor Ort müssen also lernen, sehr genau hinzuschauen“, sagt Scheuer.
Aus Schulabgängern werden Akademiker
Die Organisation „Helgo“ hat in den vergangenen 30 Jahren bereits beachtliche Erfolge erzielt, die nicht zuletzt daran ablesbar sind, dass einige der Schulabgänger akademische Karrieren vorweisen können. „Es ist enorm wichtig, den Start ins Berufsleben zu begleiten und zu unterstützen“, sagt Scheuer.
In Indien gibt es zwar auch Unternehmensberater, die gegen Honorar Schulabgänger auf den Arbeitsmarkt vermitteln. „Doch das können sich nur Reiche leisten. Unsere Schüler kommen jedoch aus den Slums, also aus unvorstellbar armen Verhältnissen”, sagt Scheuer. Um sein Konzept zur Berufsfindung zu erstellen, hat der pensionierte Lehrer mehrere Schulen in seiner Heimatregion besucht. „Hier werden ähnliche Konzepte seit längerer Zeit erfolgreich praktiziert“, weiß Scheuer.
„Es ist nicht damit getan, den Kindern etwas beizubringen, sondern man muss ihren Weg bis zum Start ins Berufsleben begleiten, wenn sich an ihrer Situation etwas ändern soll.“
Helmut Scheuer
Wichtig dabei ist die Entwicklung der einzelnen Schüler. Deshalb sollen die Eignungstests über drei Jahre lang regelmäßig wiederholt werden. „Ein Siebtklässler kann sich beispielsweise bis zur neunten Klasse enorm weiterentwickeln und damit seine Chancen in der Berufswelt verbessern“, freut sich Scheuer. Neben dem Bereich Kommunikation zählen auch Ausdauer, soziale und methodische Kompetenzen sowie motorische Fähigkeiten zu den Kriterien. Die Schüler sollen lernen, ihre eigenen Fähigkeiten zu erkennen und darauf zu vertrauen, um später im Berufsleben erfolgreich zu sein. „Das ist in Indien vor allem für Hindu-Kinder wichtig, die sonst kaum Chancen haben“, weiß Scheuer.
Mit der Durchführung der Workshops war Helmut Scheuers Auftrag jedoch noch nicht beendet. Dank einiger Spenden von Ärzten und Apothekern aus dem Landkreis, die Arzneien und Verbandsmaterial zur Verfügung stellten, konnte die Schule in Indien für Notfälle ausgestattet werden. Auf Bitten des Club Soroptimist Cochem gab es außerdem noch eine Mission zu erfüllen. Die Cochemer Klubschwestern haben indischen Frauen eine Bindenmaschine finanziert. „Der Club hat das Geld zur Verfügung gestellt, konnte den Betrag aber nicht einfach überweisen. Das ist in Indien nicht so einfach mit Spendengeldern“, erklärt Scheuer. Das Geld wurde also auf Scheuers Konto überwiesen und während seines Aufenthaltes hat er den benötigten Betrag nach und nach abgehoben.
„Und das war ein rechtes Abenteuer“, schmunzelt der 70-Jährige. Da das Tageslimit in Indien sehr gering ist, war Scheuer nahezu drei Wochen lang damit beschäftigt, alle Geldautomaten in der Region um Kalkutta abzuklappern, um den Gesamtbetrag in unzähligen Abhebungen zusammenzubekommen. Inzwischen ist die Spende der Soroptimistinnen aber an Ort und Stelle angekommen und die Maschine konnte bereits ausgeliefert werden.