Therese Wolf sitzt in einem bequemen Sessel am Fenster und strickt Socken. Das Hobby hat sie ihr ganzes Leben lang begleitet und macht ihr bis heute viel Spaß. Wer sie so dasitzen sieht, in modischen Jeans und farbenfrohem Shirt, käme nicht auf die Idee, dass diese Frau, die alle als „Lambatz Tresje“ kennen, am kommenden Donnerstag ihren 100sten Geburtstag feiert.
Mit klarem Blick und wachem Geist kann Therese Wolf auf ein ganzes Jahrhundert zurückblicken. Ein Jahrhundert, in dem sich viel getan hat. „Wir haben als Kinder ja kein elektrisches Licht gekannt und sind im Dunkeln hamstern gegangen“, sagt sie und erinnert sich an die Kriegs- und Nachkriegszeit, die von Arbeit und Sparsamkeit geprägt war.
Doch zuallererst erinnert sie sich an ein Kind, das in den 1960er Jahren regelmäßig zu ihr ins Haus kam, einen Stuhl an den „Schnuckelschrank“ stellte und hochkletterte, um sich dort ein saures Zitronenbonbon zu stibitzen. Heute sitzt das Kind von damals als Reporterin vor ihr, um über das Leben der bald 100-Jährigen zu berichten. „Die Bonbons wollte von uns niemand, aber du warst ganz wild darauf, deshalb haben wir sie extra für dich aufgehoben“, sagt sie schmunzelnd.
Ihr Haus in Mittelstrimmig hat inzwischen neue Besitzer. Mehr als 70 Jahre hat Therese Wolf dort gelebt. Mit Ehemann Josef, dessen Stiefmutter und den beiden Kindern, Heinz-Günther und Christa. „Doch nach einem Krankenhausaufenthalt vor vier Jahren haben wir beschlossen, dass es besser sei, wenn ich zu meiner Tochter nach Altstrimmig ziehe“, erklärt die Seniorin. Hier hat sie ihr eigenes Reich. Ihr Sessel steht am Fenster, das auf die Hauptstraße hinaus geht. An dem kleinen Tisch liest Therese Wolf jeden Morgen ausgiebig die Rhein-Zeitung. Das ist ihr wichtig, schließlich möchte sie informiert sein, was in der Welt und vor allem in der Region los ist.
Beim Hamstern den Mann fürs Leben gefunden
Als Therese Hummes ist sie mit drei Schwestern in dem Hunsrückdorf Buch aufgewachsen. „Wir haben als Kinder schon viel arbeiten müssen, der Vater kam verletzt aus dem Ersten Weltkrieg zurück“, sagt sie. Ein halbes Jahr nachdem Therese Wolf die Schule abgeschlossen hatte, gab es erneut Krieg. Das Mädchen blieb in Buch, ging bei einer Familie, die auch eine Wirtschaft betrieb, in Stellung und unterstützte weiterhin die Eltern. Eigentlich hatte Therese Wolf Lehrerin werden wollen. Doch dafür hätte sie dem Naziregime zustimmen und der Kirche abschwören sollen. „Das habe ich nicht gemacht“, betont sie. Als der Krieg zu Ende war, kam die Zeit, in der gehamstert wurde. Daran erinnert sich Therese Wolf noch gut. Denn beim Hamstern hat sie die Liebe ihres Lebens gefunden. „Meine ältere Schwester brauchte Stühle, also haben wir uns mit Hafer im Rucksack auf den Weg nach Altstrimmig zur Stuhlfarbik gemacht“, sagt sie. Auf diese Weise hat sie ihren Jupp kennengelernt, der in der Fabrik beschäftigt war. „Sonntags hat er uns die Stühle dann nach Buch gebracht und ist danach auch unter der Woche noch mehrmals gekommen, bis wir beide parat kamen“, sagt sie mit einem Augenzwinkern.
„Zu Hause hatten wir schon vor dem Krieg auch eine Strickmaschine, mit der wir nach Auftrag Pullover oder Strickjacken hergestellt haben, die in einem Geschäft in Kastellaun verkauft wurden.“
Therese Wolf
Mit dem Hunsrücker Hafer als Tauschmittel wurde sogar bis nach Köln zum Hamstern gefahren. „In Köln gab es einen, der hatte Seile, die meine Schwester für den Heuaufzug brauchte“, sagt sie. Also haben die Schwestern sich auf den Weg gemacht. Zu Fuß, mit dem Milchauto und auf dem Rückweg auch mit dem Zug.
„Es war eine andere Zeit“, sagt Therese Wolf, die beim Anblick eines QR-Codes jüngst ihren Schwiegersohn fragte, was denn die „Durcheinandereckelchen“ wohl zu bedeuten hätten.
Früher, als es weder Fernseher noch verschlossene Haustüren gab, ging man abends vielmehr in die Maj, so nennt man es im Hunsrück, wenn man sich gegenseitig zu Hause besucht. Mit dabei hatte Therese Wolf schon damals immer ihr Strickzeug. „Zu Hause hatten wir schon vor dem Krieg auch eine Strickmaschine, mit der wir nach Auftrag Pullover oder Strickjacken hergestellt haben, die in einem Geschäft in Kastellaun verkauft wurden“, erinnert sie sich. Genauso akkurat wie mit der Maschine von damals sehen heute die bunten Socken aus, die Therese Wolf von Hand strickt. „Meine Strickkarriere kam ja erst richtig in Fahrt, seit ich bei meiner Tochter und dem Schwiegersohn wohne“, sagt sie lächelnd.

Obwohl sie schon viel länger auf dem Strimmiger Berg zu Hause ist, als in ihrem Heimatort Buch, hat Therese Wolf ihre Muttersprache nie aufgegeben. „Meine Mutter spricht heute noch Bucher Platt“, merkt Tochter Christa an. Manche Begriffe sorgen in der Familie immer noch für Belustigung, zum Beispiel Gäilche für ein kleines Pferd oder Nolle für Nudeln.
Ob es auch ein Geheimrezept für ihr hohes Alter gibt? Mit ihrem Mann ist Therese Wolf immer viel und gern gewandert. Entweder rund um den Strimmiger Berg oder im Urlaub in Süddeutschland. Mit Bewegung hat sie sich immer fit gehalten.
Mehr als 66 Jahre war das Ehepaar verheiratet, bis Josef Wolf vor zehn Jahren plötzlich verstarb. Einige Jahre blieb Therese Wolf noch allein in ihrem Haus, das sie zusammen mit ihrem Mann nach dem Krieg neu aufgebaut hatte, bevor sie nach Altstrimmig umgezogen ist.
Ihren 100. Geburtstag feiert die Jubilarin dort im Bürgerhaus. Da es der Seniorin bei ihrer Tochter an nichts fehlt, möchte sie ihr zugedachte Geldgeschenke ans Rote Kreuz spenden. „Die haben sich damals so gut um mich gekümmert, als mein Mann gestorben ist“, sagt sie. Gratulanten sind am Donnerstag, 27. März, zwischen 10 und 12 sowie zwischen 15 und 17 Uhr im Bürgerhaus Altstrimmig willkommen.