Vor dem Cochemer Amtsgericht wird mitunter Skurriles verhandelt. So stand vor drei Jahren der Nikolaus vor Gericht. Okay, nicht der echte, heilige Nikolaus von Myra, auf den die Geschichte des Mannes mit Mantel und Bart zurückgeht. Es war ein selbstständiger Künstler, der auf verschiedenen Veranstaltungen kostümiert auftrat. Sein Kostüm war der Mann nach dem Prozess dann aber los. Dazu später mehr.
Die Bürger von Cochem-Zell streiten besonders häufig über Privates (42,9 Prozent aller Streitigkeiten), gefolgt von Verkehrsstreitigkeiten (30,8 Prozent) und Streitigkeiten rund um die Arbeit (12,8 Prozent). Nahezu drei Viertel aller Streitenden in Cochem-Zell sind Männer (73,7 Prozent). Diese Daten gehen aus „Deutschlands großem Streitatlas 2017“ hervor, der Neuauflage einer groß angelegten Studie, die erstmals im Jahr 2013 durchgeführt wurde. Seit dem Zeitpunkt der ersten Erhebung wurden insgesamt 1,7 Millionen Streitfälle der Advocard ausgewertet.
Der Studie zufolge ist das Streitaufkommen bundesweit um 2,8 Prozentpunkte auf 25,1 Prozent gestiegen, damit ist jeder vierte Deutsche in einen Rechtsstreit verwickelt. Die Berliner streiten wie die Kesselflicker und unter den Bürgern aller Bundesländer am meisten. Die Hauptstadt liegt bei 31,2 Streitfällen pro 100 Einwohner. Rheinland-Pfalz belegt mit 25,7 Streitfällen pro 100 Einwohner Platz sieben im bundesweiten Vergleich. Die streitlustigsten Großstädter Deutschlands leben in Leipzig, in der sächsischen Metropole zofft sich durchschnittlich jeder Dritte einmal pro Jahr vorm Kadi.
Der „Nikolaus“ hatte mit der Klägerin, die Veranstalterin von Märkten, historischen Festen und Ritterturnieren war, einen Vertrag abgeschlossen. Demnach sollte der Beklagte an neun Tagen auf dem Christkindlmarkt der Klägerin als Nikolaus auftreten. Das Kostüm ließ die Klägerin extra anfertigen, eine Pauschalvergütung wurde vereinbart. Das friedvolle Wesen, das der Nikolaus ja normalweise besitzen sollte, geriet jedoch schon bald ins Wanken. Und das ausgerechnet in der Vorweihnachtszeit.
559 Zivilprozesse gab es im vergangenen Jahr am Cochemer Amtsgericht. In diesem Jahr sind es bisher 490 (Stand 19. Dezember). Damit ist das Streitaufkommen in den vergangenen zehn Jahren deutlich zurückgegangen. Im Jahr 2007 waren es noch 856 Zivilprozesse vor dem Amtsgericht, seitdem ist die Zahl der Prozesse ständig zurückgegangen. Aus welchen Orten im Kreis die meisten Streithähne kommen oder wo die friedfertigsten Menschen leben, lässt sich aus der Statistik des Amtsgerichts nicht so ohne Weiteres ablesen.
In der Mitte des Lebens scheint den Deutschen nicht nur die Midlife-Crisis, sondern auch die „Mid-Streit-Crisis“ zuzusetzen: Menschen zwischen 46 und 55 Jahren streiten sich statistisch gesehen am häufigsten (28,4 Prozent aller Streitfälle). Insgesamt nimmt der Anteil an jüngeren Streithähnen aber deutlich zu: Vor 15 Jahren waren junge Erwachsene unter 36 Jahren für nur 3,1 Prozent aller Streitfälle verantwortlich – heute sind es bereits 23,7 Prozent. Kommt es schließlich zum Prozess, kann sich das hierzulande in die Länge ziehen: Streitfälle mit einer Dauer von zwölf Monaten und mehr steigen um vier Prozentpunkte an. Streitigkeiten, die in sechs Monaten oder weniger beigelegt werden konnten, sind dagegen rückläufig.
Nach dem Christkindlmarkt erhielt der Nikolausdarsteller seine Bezahlung, die wiederum der Auslöser des Rechtsstreits vor dem Cochemer Amtsgericht war. Weil der Darsteller der Meinung war, dass ein anderer Betrag vereinbart war, behielt er das Nikolauskostüm in seinem Besitz. „Der Nikolaus ist gerade in Gefahr! Frau Müller (Name von der Redaktion geändert) will mir mein Kostüm nehmen, obwohl es mit der Gage verrechnet war“, schrieb der Beklagte auf seiner Webseite. Der Streit landete vor Gericht, dem Nikolaus ging's an den Kragen. Denn: Die Klägerin bekam recht, der Mann musste das Kostüm alsbald zurückgeben.