Die Bilder zerreißen einem das Herz: Seit mehr als zwei Wochen tobt in Europa ein vom russischen Präsidenten Putin angezettelter Krieg gegen das Nachbarland Ukraine. Das Leid der Bevölkerung ist unermesslich. Nach Schätzungen sollen bereits mehr als 10.000 Soldaten und weit über 1000 Zivilisten – alte und junge, Frauen und Kinder – getötet worden sein. Die Zahl der Verletzten geht ebenfalls in die Zehntausende.
Ganze Städte wurden bereits zerstört, und alles deutet darauf hin, dass der Krieg noch brutaler wird und die Opferzahlen sich vervielfachen. Zwei Millionen Menschen, fast ausschließlich Frauen mit ihren Kindern, sind jetzt schon auf der Flucht Richtung Westen, vor allem nach Polen. Das Land mit seinen 38 Millionen Einwohnern hat schon weit über eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Und es werden täglich mehr.
Geflüchtete kommen bei Familien unter
Rund 100 Geflüchtete sind dieser Tage im Hunsrück angekommen. Sie wohnen bei Familien, meistens bei Russlanddeutschen: In Peterswald-Löffelscheid, Tellig, Walhausen, Blankenrath, Rödelhausen, Kastellaun, Reckershausen und vielen anderen Orten haben sie eine sichere Bleibe gefunden. So wie Tanja. Sie ist für das RZ-Interview mit fünf anderen Müttern und deren Kindern nach Peterwald-Löffelscheid gekommen, zur Familie Salov.
Tanja ist im sechsten Monat schwanger und konnte mit ihrem sechsjährigen Sohn und ihrer Mutter aus der umkämpften 30.000-Einwohner-Stadt Irpin entkommen. Irpin liegt rund 30 Kilometer nordwestlich von der Hauptstadt Kiew. Ihren Mann musste sie zurücklassen. Die jungen Leute hatten sich am Stadtrand eine kleine Spedition mit Lkw aufgebaut. Jetzt ist alles zerstört – von Putins Bomben und Granaten. Tanja muss jeden Tag damit rechnen, dass ihr Mann zum Kriegsdienst eingezogen wird.
Mit tränenden Augen sagt sie: „Die russische Armee wird nicht aufhören, sondern noch brutaler weitermachen.“ Ein schreckliches Erlebnis wird ihr wohl nie aus dem Kopf gehen. Ein Bekannter von ihr, 26 Jahre alt, war dabei, in der Stadt Essen zu verteilen, als er von einer Gewehrsalve getötet wurde. Was noch kommen wird oder ob sie noch einmal in ihre Heimat zurückkehren kann, weiß sie nicht. Sie sagt: „Wenn die Ukraine russisch wird, werden wir massiv unterdrückt, vielleicht sogar umgebracht.“
Einzelschicksale zeigen Grauen des Krieges
Anastasia ist 38 Jahre alt, ihr Sohn 7, die Tochter 13. Auch sie ist aus einer Stadt nahe Kiew geflohen. Mehrere Tage hat sie wie Tausende anderer Mütter mit ihren Kindern völlig verängstigt in verschiedenen Kellern ausgeharrt. Christina (36) hat eine 12-jährige Tochter und einen 15-jährigen Sohn. Die Stadt, in der sie bis zum 24. Februar friedlich lebte, ist zerstört. Ihr Mann, die Mutter und ihre Schwester sind noch mitten im Kriegsgebiet.
Christina hat ebenfalls Schreckliches erlebt. Eine Arbeitskollegin, deren Mutter und ihre drei Kinder saßen in einem Auto, als das Fahrzeug von einer Granate getroffen wurde. Alle kamen um. Es sind diese Einzelschicksale, die das Grauen des Krieges sichtbar und fühlbar machen. Kaum jemanden lässt das kalt, aber nur wenige helfen direkt. Alex Salov (40) aus Peterswald-Löffelscheid und seine Schwester Irina Konkin aus Blankenrath haben seit Ausbruch des Krieges eine beispiellose Hilfsaktion gestartet. Ihnen zur Seite steht Claudia Jakobs aus Peterswald-Löffelscheid, die unermüdlich Kontakte knüpft und Mitstreiter sucht. Sie hat auch gleich Spenden eingesammelt: Dinge wie Babynahrung, Windeln, Medikamente, warme Schuhe und Decken.
Hunsrücker bekommt Hilfe von Ukrainer...
Innerhalb von einer Woche sind in einigen wenigen Dörfern des Hunsrücks mehr als 100 Flüchtlinge aus dem osteuropäischen Land angekommen. Wie kam es dazu? Fabian, der Sohn von Irina Konkin war eine Woche vor Kriegsbeginn mit seiner Familie nach Odessa (Ukraine) geflogen, um einer Beerdigung beizuwohnen. Der Rückflug war auf den 24. Februar terminiert. An diesem Tag griff die russische Armee das freie und unabhängige Land an. Bomben und Granaten schlugen auch in der Nähe von Odessa ein, der Flugverkehr lag still. Die junge Familie beriet sich mit einem befreundeten Ukrainer. Er sagte: „Ihr bekommt unseren Kleintransporter, aber nehmt meine Frau mit den drei Kindern und noch weitere drei Kindern mit nach Deutschland.“
Vier Tage dauerte die Fahrt durch den Balkan bis in den Hunsrück. Die Mutter und deren drei Kinder sind zurzeit bei der Familie von Fabian Tonkin in Tellig untergebracht. Bereits auf der Fahrt nach Deutschland erhielten Alex Salov und seine Schwester Irina Tonkin unzählige Anrufe und WhatsApp-Nachrichten von Bekannten und Freunden der Geflüchteten. In Windeseile hatte sich herumgesprochen, dass es in Deutschland Menschen gibt, die vom Krieg versehrte Menschen aufnehmen.
... und hilft im Gegenzug Ukrainer bei der Flucht
Salov und Irina Konkin dachten nicht lange nach. Sie haben im Hunsrück Freunde und Bekannte, viele von ihnen sind nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 90er-Jahre ebenfalls nach Deutschland gekommen. Am 3. März setzte sich frühmorgens um 4 Uhr ein Konvoi mit 16 Kleinbussen, vollgepackt mit Hilfsgütern, die unter anderem Claudia Jakobs eingesammelt hatte, in Richtung polnisch-ukrainische Grenze in Bewegung. Auf der Rückfahrt saßen mehr als 80 Flüchtlinge in den Fahrzeugen, die dann in Deutschland von Familien in ihren Privathäusern untergebracht wurden. Inzwischen sind weitere Kriegsflüchtlinge mit ihren Privatautos im Hunsrück angekommen.
Wer spenden oder sich aktiv an der Hilfsaktion beteiligen will, kann sich informieren bei Manuela Friedrich, Telefon 0163/302 50 70.
Das Handy von Claudia Jakobs steht kaum still. Sie, Alex Salov, Irina Konkin und weitere Freunde wollen ihre Hilfs- und Evakuierungsaktion fortsetzen und weitermachen. In Kürze werden sich zwei Reisebusse auf den Weg an die ukrainische Grenze machen. Es ist ein riesiger Arbeits- und Organisationsaufwand, sagt Claudia Jakobs: „Wir bräuchten eine große warme Halle oder Gebäude, wo die Geflüchteten registriert und mit dem Nötigsten versorgt werden. Dann können sie von dort auf die aufnahmebereiten Familien verteilt werden.“ Sie hat auch bereits eine Idee. Sehr gut geeignet sei die Marienburg bei Zell/Pünderich mit ihrer nicht mehr genutzten Jugendherberge. Das Bistum Trier hatte vor einem Jahr beschlossen, die Einrichtung aus Kostengründen möglicherweise gar zu verkaufen.
EU-Staaten einigen sich auf schnelle und unkomplizierte Aufnahme von Ukraineflüchtlingen
Die EU-Kommission erwartet wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine eine riesige Fluchtbewegung. Die EU-Staaten haben sich darauf geeinigt, Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine schnell und unkompliziert aufzunehmen. Der Schutz gilt zunächst für ein Jahr, kann jedoch um insgesamt zwei weitere Jahre verlängert werden.
Ein langwieriges Asylverfahren ist dafür nicht nötig, jedoch besteht das Recht, einen Asylantrag zu stellen, weiter. Zugleich werden den Schutzsuchenden Mindeststandards wie der Zugang zu Sozialhilfe und eine Arbeitserlaubnis garantiert. Die Richtlinie wurde infolge der Kriege in den 1990er-Jahren im ehemaligen Jugoslawien geschaffen. Sie soll auch eine Überlastung der für Asylanträge zuständigen Behörden verhindern. Ukrainische Bürger können visumsfrei nach Deutschland einreisen.
Sie dürfen hier wohnen, wo sie möchten. Dabei können sie auf die staatlichen oder kommunalen Angebote zurückgreifen – müssen es aber nicht. Wer eine Wohngelegenheit anbieten möchte, sollte das im besten Fall organisiert und begleitet durch die Kommune vor Ort tun. Die ukrainischen Geflüchteten sind nicht regulär in der Krankenversicherung in Deutschland. Aber im Krankheitsfall steht ihnen aufgrund der Leistungsberechtigung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz das allgemeine medizinische Versorgungsangebot zur Verfügung. Dies betrifft sowohl stationäre und ambulante Behandlungsangebote. wsi