Nach einem schweren Autounfall ist Roman Derr ein Dauerpflegefall - Antonia Derr sucht jetzt dringend passende Wohnung
Nie aufgeben: Mutter aus Kaisersesch kämpft für ihren Sohn
Antonia Derr will ihren Sohn Roman, der nach einem schweren Autounfall ein Dauerpflegefall ist, zu sich nach Hause holen, um ihm ein besseres Leben zu ermöglichen. Foto: Annika Wilhelm
Annika Wilhelm

Mitten in der Nacht klingelt die Cochemer Polizei am 7. Juni 2020 bei Antonia Derr, um ihr die schreckliche Nachricht zu überbringen: „Ihr Sohn Roman hatte einen schweren Autounfall.“ Damals ahnt die Mutter noch nicht, wie schwer er verletzt ist und was das für sein Leben, aber auch für ihr Leben bedeutet.

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Mittlerweile ist einige Zeit vergangen, der junge Mann befindet sich zurzeit in einer Rehaklinik in Bonn. Ob und wie sich sein Zustand jemals wieder ein wenig bessern wird, ist ungewiss. Für Antonia Derr aber ist klar, dass sie ihren Sohn zu Hause pflegen möchte. Es bricht ihr das Herz, dass das bislang noch nicht möglich ist. Denn es fehlt etwas Entscheidendes: eine behindertengerechte und barrierefrei Wohnung in Kaisersesch und Umgebung, damit dort ein Rollstuhl bewegt werden kann, vor allem auch nach draußen. Deshalb bittet sie, potenzielle Vermieter dringend darum, sich bei ihr zu melden.

Ein Autounfall verändert alles

Doch was ist am Tag des Unfalles geschehen: Auf der B 42, in Vallendar, touchiert Roman Derr am Abend des Unglücks laut Angaben der Polizei eine Verkehrsinsel und verliert anschließend die Kontrolle über seinen Wagen. So schnell wie möglich fährt Antonia Derr in das Neuwieder Krankenhaus, wo er hingebracht worden ist. Dort die schockierende Diagnose: Romans Verletzungen sind so schwer, dass die Ärzte nicht sagen können, ob er überlebt. Die Wirbelsäule ist an vier Stellen gebrochen, Brüche gibt es auch im Bereich des Brustkorbs, Gesichts und Kiefers. Der Herzbeutel und die Lunge sind gerissen. Antonia Derr wird heimgeschickt, sie könne ihren Sohn derzeit nicht sehen. Nach mehreren Stunden des Wartens gibt eine Ärztin schließlich nach. Mit Tränen in den Augen stellt Antonia fest: „Wenn sie mich nicht hingeführt hätte, hätte ich meinen Sohn nicht erkannt.“

Wochenlang liegt Roman im Koma. Im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, wohin er aufgrund der fehlenden Kardiologie in Neuwied verlegt wurde, bekommt er sechs schwere Operationen, nach vier Wochen wird er erneut verlegt: diesmal in die BDH-Klinik Vallendar. Dort wacht er endlich auf. Eine Erleichterung für Antonia Derr, auch wenn sie gleichzeitig sagt: „In dem Moment war das Schlimmste, dass ich wegen Corona nur einmal in der Woche für eine Stunde zu ihm durfte.“

Was ihr besonders schwerfiel war zu sehen und zu erleben, wie eingeschränkt Roman jetzt ist: Er kann nicht mehr schlucken, nicht mehr essen, nicht sprechen, nicht laufen, keine kontrollierten Bewegungen ausführen. Lediglich mit seiner rechten Hand kann er Zeichen geben, wie seinen Daumen oder Zeigefinger anheben, wenn sein Ellbogen auf einer glatten, festen Fläche positioniert ist. Heute kann sie ihn zu ihrer Erleichterung, sooft sie möchte, im Pflegeheim besuchen.

Die lange Suche nach einem Pflegeheim

Die Suche nach einem Pflegeheim erweist sich als schwer. Immer wieder bekommt Derr Abweisungen mit der Begründung: „So was nehmen wir nicht. Die haben ‚so was‘ gesagt, als wäre er kein Mensch mehr“, sagt Antonia Derr noch immer fassungslos, bis sie irgendwann ein Zimmer in einem Pflegeheim in Hausen (Wied) findet. Drei- bis viermal die Woche fährt die 52-jährige Metzgereifachverkäuferin also außerhalb ihrer Arbeitszeiten dorthin, um ihren Sohn zu besuchen. „Ich fahre jede Woche 600 Kilometer.“, sagt sie. „Ich bin finanziell am Ende, aber ich kann nicht zu Hause sitzen. Er ist da, er ist am Leben, sein Herz schlägt. Ich kann ihn dort nicht alleinlassen.“

Vor Ort spricht sie mit ihm, macht einfache Greifübungen mit seiner rechten Hand, massiert ihn, damit die Gelenke nicht steif werden, damit die Spastiken nicht schlimmer werden. Einmal die Woche bekommt er ein Entspannungsbad, bei dem sie ihn mitwäscht. An seiner Zimmerwand hängen Bilder von seiner Familie, seinen beiden Kindern, seinen Freunden. Antonia Derr versucht ihren Kämpfergeist auf ihn zu übertragen – so lange, bis sie die Pflegeeinrichtung wieder verlässt. „Ich muss mich immer verstellen und darf meine Trauer nicht vor ihm zeigen, damit er weiterkämpft.“

Das ist und bleibt nicht das einzige Mal, bei dem sie für ihren Sohn kämpfen muss. Anträge für medizinische Geräte und Medikamente werden oft abgelehnt, sie muss sie selbst bezahlen. Es dauerte Monate, bis eine neue Matratze organisiert werden konnte, um Romans Liegewunden entgegenzuwirken. Ebenfalls monatelang musste Derr auf eine Brems- und Schiebehilfe für den Rollstuhl warten: „Immer wenn ich Roman besuche, gehe ich mit ihm an die frische Luft. Das ist aber gar nicht so einfach, denn es gibt dort keine geraden Wege, immer nur Auf und Ab, und er ist groß und schwer.“

Rehaklinik noch schwieriger zu finden als Pflegeheim

Am meisten entsetzt ist sie allerdings darüber, dass Roman keinen Platz in einer Rehaklinik bekommt. Trotz neurologischer Empfehlung bekommt Derr Absage für Absage. „Die Rentenversicherung sagte mir: Ihr Sohn bleibt für immer behindert, was wollen sie denn noch mit ihm?“ Nach einer Umstufung im Rentenstatus bewilligt die Krankenkasse zwar eine Reha, aber eine Rehaklinik zu finden, die ihn aufnimmt, scheint unmöglich. Es sind Tränen der Trauer, aber auch Tränen der Wut, die sich in ihren Augen sammeln, während sie die Worte ausspricht: „Wieso haben sie ihn dann überhaupt gerettet, wenn man ihm jetzt nicht helfen will?“ Ihr ist bewusst, dass ihr Sohn niemals wieder laufen kann, dass sein Leben niemals wieder so sein wird wie früher, ebenso wenig wie ihr eigenes. „Er hat Kapazitäten, die muss man nur fördern“, betont Derr.

Antonia Derr möchte ihren Sohn zu sich nehmen. „Diese Entfernung macht mich kaputt – finanziell, nervlich, körperlich.“ Für eine Dauerpflege in einem Pflege- oder Altenheim in der Nähe von Kaisersesch gäbe es kein Personal. In ihrer jetzigen Wohnung hat sie zwar Platz, allerdings ist diese nicht behindertengerecht – und kann, im ersten Stock liegend, auch nicht behindertengerecht umgebaut werden. Darum sucht sie in Kaisersesch eine behindertengerechte Zwei- bis Dreizimmer-Wohnung – eine weitere Herausforderung für die besorgte Mutter, bei der sie auf Unterstützung hofft.

Bisher bekommt sie diese von ihrer Familie, Bekannten, von der Gemeinnützigen Initiative Lebenswert, auch das Sanitätshaus Prinz in Mayen war ihr bisher eine große Hilfe. Das lässt sie hoffen: „Es gibt noch Gutes in der Welt.“ Roman sei schon immer eine Kämpfernatur gewesen: Von klein auf hat er sich immer für andere eingesetzt, war immer in Bewegung. Darum hofft sie darauf, dass er das von der Welt zurückbekommt, was er immer schon gegeben hat. Weiterhin sucht Antonia Derr nach Menschen, die Ähnliches erlebt haben, um sich auszutauschen. Sie ist per E-Mail an antonia.derr@gmx.de zu erreichen. Hier könne sich auch Menschen melden, die eine Wohnung anzubieten haben.

Behandlungsmöglichkeiten und Therapien, die Roman Derr helfen könnten, kosten viel Geld, das oftmals nicht von der Krankenkasse übernommen wird. Darum hat sie nun ein Spendenkonto eröffnet. DE28 5875 1230 0032 8542 00; Verwendungszweck: Roman Derr Sparkasse Mittelmosel EMH

Von unserer Reporterin Annika Wilhelm

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