Kann man dieser Frau glauben, was sie berichtet? Die Angeklagte, eine schlanke, braunhaarige 36-jährige Krankenschwester soll die Ermordung ihres Partners Steffen Braun mit ihrem Sohn und dessen Halbbruder geplant haben und auch dabei geholfen haben, seine Leiche beiseite zu schaffen. An der Tat selbst war sie laut Anklageschrift nicht beteiligt. Sie hatte den beliebten Oberarzt, der Orthopäde im Dauner Krankenhaus war, als gewalttätigen Trinker geschildert, der sie und die Kinder schlug, wenn er Alkohol konsumiert hatte. Und das tat er angeblich regelmäßig. Sie hatte ihm Affären mit jüngeren Frauen unterstellt. Und eine Spielsucht. Aber stimmt das alles überhaupt? War der ermordete Steffen Braun wirklich solch ein Mensch?
Personalchef: Er war zuverlässig, engagiert und beliebt
Sein langjähriger Personalleiter scheint das jedenfalls nicht zu glauben. Der inzwischen pensionierte Prokurist des Dauner Krankenhauses berichtet den Zuschauern im Saal 70 des Landgerichts Trier davon, wie zuverlässig, engagiert und beliebt Steffen Braun war. Bei den Mitarbeitern. Bei den Patienten. 16 Jahre lang sei Braun Oberarzt gewesen. Das werde man nicht einfach so. Und so sei ihm am 3. Januar 2023 auch gleich klar gewesen, dass etwas Schlimmes passiert sein müsse, als der Arzt nicht am Arbeitsplatz erschien.
Schließlich hatte Braun einen Bekannten von weit her anreisen lassen, um ihn an diesem Morgen zu operieren. Da würde er doch nicht einfach so fehlen, ohne sich zu melden. Oder gar mit einer Frau durchbrennen, so wie seine Lebensgefährtin das damals in den Raum stellte. Das hat er der ebenfalls im Krankenhaus angestellten Krankenschwester nicht geglaubt. So, wie er ihr andere Dinge auch nicht abgenommen hatte. Zwei weitere Mitarbeiterinnen hatten sich beim Personalleiter darüber beklagt, dass Brauns Lebensgefährtin Unwahrheiten verbreite: Sie erzähle, sie hätten eine Affäre mit dem Arzt. Das stimme aber nicht. Als er mit der Angeklagten darüber sprach, habe sie sich noch am gleichen Tag krankgemeldet. Für Wochen.
Verbreitete Lebensgefährtin Unwahrheiten?
Ebenso habe die Angeklagte Gerüchte gestreut, ihr Lebensgefährte trinke große Mengen Alkohol. Er habe deswegen extra die Privatsekretärin Brauns befragt, berichtet der Zeuge. Niemals habe diese ihn alkoholisiert erlebt oder eine Fahne gerochen. Der Arzt sei stets frisch rasiert und gepflegt zur Arbeit erschienen.
Dass Braun finanzielle Engpässe und Probleme mit seiner Freundin hatte, habe dieser ihm selbst berichtet. Im Sommer 2022 bat er um einen Gehaltsvorschuss, um die Raten der Hypothek bedienen zu können. Der Prokurist ließ ihm 6000 Euro überweisen. Auch als Braun ihn um ein Zimmer im Personalwohnheim bat, weil er fürchtete, dass seine Partnerin ihn vor die Türe setzen könnte, stellte der Chef ihm gleich einen Schlüssel zur Verfügung.
OP-Assistentin: Kein Verhältnis mit dem Arzt
Die Aussage der nächsten Zeugin, einer 24-jährigen OP-Assistentin, zeigt, dass es die angebliche Affäre mit Braun in ihrem Fall tatsächlich nicht gab. Zwar habe er ihr ab und an Textnachrichten geschrieben, auch habe er ihr 2020 gesagt, dass er in sie verliebt sei. Doch ein Verhältnis gab es nicht. Sie habe das abgeblockt. Unter Alkoholeinfluss habe sie Braun nie erlebt.
Also keine Affären und kein Trinker? Wer sollte so etwas besser wissen, als Brauns ehemalige Ehefrau, eine 53-jährige Ärztin aus der Eifel, die er während des Studiums 1990 kennengelernt und 1995 geheiratet hatte. Mutter von vier gemeinsamen Töchtern, verlassen wegen einer anderen, rechtskräftig von Braun geschieden – allerdings erst seit 2022.
Auch Ex-Frau sagt aus
Auch der Vorsitzende Richter Günther Köhler will an diesem Vormittag wissen, was für ein Mensch Braun war. Ob es Auffälligkeiten gab, fragt er die Eifelerin, die ihren Ex-Mann als freundlichen, fürsorglichen Menschen beschreibt. Aufbrausend, ja. Aber immer da, wenn es jemandem schlecht ging. „Bekannt ist, dass er Depressionen hatte“, antwortet sie. Schubweise seien die gekommen und mit Schlafstörungen einhergegangen. Dann habe er sie behandelt und sie seien wieder weg gewesen.
Und gab es übermäßigen Alkoholkonsum? „Nein“, lautet die Antwort. Am Wochenende habe ihr Ex-Mann mit dem Nachbarn mal ein paar Bier getrunken. Oder alleine auch mal etwas Wein. Hochprozentiges habe man gar nicht im Haus gehabt. Und war er aggressiv? „In 20 Jahren vielleicht ein Mal“, lautet ihre Antwort, die nicht so ganz zu dem passen will, was dann noch folgt.
In 20 Jahren vielleicht ein Mal.
Die Ex-Frau von Steffen Braun sagt, er sei nicht aggressiv gewesen, berichtet dann von expliziten Beispielen.
Sie berichtet, wie Braun, der auch nach der Trennung noch ein Arbeitszimmer in ihrem Haus hatte, sich 2015 eines Tages mit jemandem Alkohol trinkend am Telefon stritt, dann stinksauer in die Küche kam, wo die Situation nach einem Wortgefecht mit der Tochter eskalierte und er seiner Ex-Frau so heftig auf den Hinterkopf schlug, dass sie schwere Hämatome davontrug und sich vor Kopfschmerzen übergeben musste.
Und dann war da noch die Situation, als er ihr drohte, mit einem Beil auf sie einzuschlagen. Damals schnappte sie sich die Kinder und versteckte sich im Schuppen der Nachbarn. Als sie zurückkam, seien Wohnzimmerstühle und Kindersachen zerhackt gewesen.
Und doch schien sie der neuen Freundin ihres Mannes nicht zu glauben, als diese sie eines Tages zu sich rief, weil Braun randaliere und die Kinder würge. Sie sei rausgefahren. Die Kinder hätten quietschfidel auf der Treppe gesessen. Die Lebensgefährtin habe berichtet, Braun schlafe mit Heizlüfter in der Garage. Doch man habe gar nichts gehört. Weder ein Schnarchen noch den Heizlüfter. Und der Familien-Bus sei auch nicht da gewesen.
Dass es Probleme in der Beziehung gab, wusste auch sie. Am 23. Dezember, also nicht lange vor seiner Ermordung, habe er ihr berichtet, dass er sich zuhause extrem unwohl fühle. „Er hatte Angst“, sagt sie.
Ärztin bezeichnet ihren Ex-Mann als manisch depressiv
Und dann wollen die Verteidiger noch mehr über die Depressionen wissen. Als manisch depressiv bezeichnet die Ärztin ihren Ex-Mann. Auf Rat eines befreundeten Psychiaters habe er 2011 Medikamente genommen. „Dadurch war er wie ausgetauscht. Ganz normal. Lange hat er überhaupt keinen Alkohol getrunken.“
Ob er diese Medikamente auch noch nahm, als er mit seiner neuen Lebensgefährtin zusammenkam und in einer schwierigen Beziehung landete, aus der er nach Auskunft der Zeugin schon ganz früh wieder zurück in sein altes Leben flüchten wollte – das weiß sie nicht.
Eine Bekannte der Angeklagten, die regelmäßig Gast im Hause Brauns war, berichtet, dass sie ihn dort öfter alkoholisiert erlebt habe. Whisky-Cola habe er getrunken. Zu ihr sei er immer freundlich gewesen, doch seine Partnerin habe er abwertend behandelt. Zuletzt seien die beiden gar kein Paar mehr gewesen, hätten in Trennung gelebt, weil er die Angeklagte wegen einer Affäre verlassen habe. Ob das stimmt?
Vieles bleibt rätselhaft und doch fügen sich die Zeugenaussagen zu einem Bild zusammen. Es ist das Bild eines freundlichen, umgänglichen, aber psychisch labilen Mannes, der in einer schwierigen Beziehung womöglich die Kontrolle verlor. Über seine Depressionen. Seinen Alkoholkonsum. Und vielleicht auch seine Aggressionen. Das ändert aber nichts daran: Er ist in diesem Fall das Opfer.