Die Bildungs- und Pflegeeinrichtung St. Martin Düngenheim ermöglicht mit Unterstützung der Aktion Mensch ein spezielles Beratungsangebot für Menschen mit Behinderung. Marcel und Carina (beide 30) sind schon seit zwölf Jahren zusammen. Sie kennen daher die Ratlosigkeit, die sich einstellt, wenn man das Verhalten des Partners nicht mehr versteht. Carina erzählt: „Ich war immer so traurig, wenn er nichts kapierte.“ Doch Marcel hat’s nun kapiert, er sagt: „Wir haben gelernt, dass wir immer zusammen reden müssen, dann funktioniert es.“ Seine Freundin berichtet: „Aber wenn man zu aufgeregt ist, kann man nicht gut reden. Wenn wir richtig Streit haben, geht jeder in ein anderes Zimmer, um sich erst mal zu beruhigen.“
Die Angst vor dem Streit, der die Beziehung zerstören könnte, treibt nicht nur „normale“ Paare um. Das richtige Streiten, das Probleme lösen kann, ohne den anderen mit Worten zu verletzen, will gelernt sein, erklärt Monika Gorges. Das und vieles mehr hat sie zwölf Paaren, die vorwiegend in der Einrichtung St. Martin oder unter deren Betreuung in Außenwohngruppen leben und in Werkstätten arbeiten, vermittelt. Ihre Motivation, auch Menschen mit Handicap zu unterstützten, begründet die Therapeutin mit den Zielen der Inklusion, die die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung vorgibt. Gorges stellt fest: „Immer mehr Männer und Frauen mit Handicap möchten ihren Wunsch nach verbindlicher Partnerschaft verwirklichen.“ Gleichzeitig beobachten die Betreuer jedoch, dass viele Paare sich schnell wieder trennen, weil sie nicht wissen, wie sie Krisen meistern könnten.“
Nach einem Jahr gemeinsamer Beziehungsarbeit mit Gesprächskreisen, Ausflügen, Filmabenden, vielen Einzel- und Paargesprächen treffen sich die Männer und Frauen, um sich über das Gelernte und ihre Erfahrungen auszutauschen. Alle sind sich einig: „Der Zusammenhalt ist größer geworden.“ Wobei sie nicht nur ihre Paarbeziehung meinen, sondern auch den Zusammenhalt ihrer Gruppe. Das ist für Monika Gorges ein erfreuliches Ergebnis: „Es sind neue Freundschaften unter den Paaren entstanden, sodass diese nicht nur um sich selbst kreisen.“ Franziska (26) ist ohne ihren Freund gekommen, dem es derzeit nicht so gut geht. Es ist offensichtlich, dass die junge Frau mit ihrem Partner leidet. Sie sagt: „Wir sind ja zusammen, um uns gegenseitig zu unterstützen.“ Tapfer erklärt sie: „Außerdem muss man manches mit Humor nehmen.“ Nachdenklich stimmt Winfried ihr zu, bemerkt jedoch: „Aber auch zusammen weinen muss man können.“
Bemerkenswert ist die Ernsthaftigkeit, mit der die Paare über ihre Beziehung nachdenken und sprechen, auch wenn ihre Ausdrucksweise mitunter etwas holprig ist. Das macht Volker (52) zu schaffen, gibt er zu: „Manchmal möchte ich etwas sagen, aber das macht mich dann so nervös, dass es nicht mehr geht.“ Stockend, dennoch freimütig erzählt er: „Ich bin schwul. Mit meinem Freund bin schon viele Jahre zusammen, aber mit Unterbrechungen.“ Das Paar hat gelernt, unaufgeregt und offen miteinander zu reden. Offen auch für alle Fragen zur Sexualität ist die Therapeutin: „Das ist ein großes Thema in der Gruppe. Und mir ist es wichtig, den Paaren ihre Fragen zu beantworten, und sie möchten alles wissen.“ Ein Ausflug zu Pro Familia, wo sie viele Antworten bekamen, war daher besonders hilfreich.
Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen Paaren ohne und mit Behinderung? Monika Gorges überlegt kurz: „Die Probleme und Fragen innerhalb der Beziehung unterscheiden sich nicht. Mir fällt jedoch auf, dass die gehandicapten Paare die Dinge beim Namen nennen. Sie reden nicht um den heißen Brei herum und reden nichts schön, sondern benennen klar ihre Probleme.“ Auch ganz banale Dinge des Alltags können eine Partnerschaft belasten oder bereichern, bemerkt Erika (47) lachend: „Also wir sind glücklich, wir erledigen den Haushalt zusammen.“
Weitere Informationen zum Angebot gibt es im Internet unter: paarberatung@stmartin-dku.de