Justiz Wie ein 19-Jähriger Cochemer Polizisten mit gezücktem Messer provozierte, doch Ruhe den Selbstmordplan vereitelte
Mann legte es darauf an, erschossen zu werden

Ein 19-Jähriger wollte, dass Polizisten ihn erschießen. Wegen dieser Provokation stand er nun vorm Cochemer Amtsgericht.

Kevin Ruehle

Cochem. Ein Jugendlicher will seinem Leben ein Ende setzen. Doch möchte er nicht unbemerkt sterben, sondern er wählt eine spektakuläre Methode. Es ist nur der Umsicht und Nervenstärke der Beamten der Polizeiinspektion (PI) Cochem zu verdanken, dass der Plan des 19-Jährigen nicht aufgeht. Er muss sich wegen Widerstandes gegen die Polizei, Nötigung und versuchter Körperverletzung vor dem Jugendschöffengericht verantworten.

Lesezeit 3 Minuten

An einem Novembertag 2016, kurz nach 23 Uhr, fährt der Angeklagte mit seinem Pkw vor die PI Cochem, wo zwei Beamte eine Verkehrskontrolle machen wollen. Doch der junge Mann springt aus dem Auto, in der Hand ein 20 Zentimeter langes Küchenmesser. Mit diesem Messer kommt er auf die Polizisten zu und verlangt, dass sie ihm eine Dienstwaffe herausgeben. Er schreit: „Ich will mich erschießen!“ Auf Gesprächsangebote der Beamten reagiert er nicht, sondern drängt diese Richtung Eingang des Gebäudes, indem er ihnen mit dem Messer gefährlich nah kommt. Immer wieder ruft er: „Ich will sterben.“

Aus der PI kommen drei weitere Kollegen zur Verstärkung heraus, sodass fünf Polizeibeamte etwa in zwei bis drei Metern Entfernung mit gezogener Waffe vor dem Angeklagten stehen. Der fummelt immer noch mit dem Messer herum und lässt sich auf kein Gespräch ein. Nun provoziert er die Polizisten mit der Absicht, dass diese ihn erschießen. Schließlich zieht er sich in seinen Wagen zurück und möchte wegfahren. Das vereitelt jedoch ein Beamter, der nun einen Schuss abgibt, allerdings in einen Autoreifen. Der Angeklagte steigt aus und wird mit Pfefferspray außer Gefecht gesetzt. Er flieht zu Fuß und wird von zwei Beamten verfolgt, die ihn schließlich festnehmen können. Der junge Mann wird in die Fachklinik Andernach gebracht.

Blass und wortkarg sitzt er auf der Anklagebank neben seinem Pflichtverteidiger. Im Publikum seine Mutter, die als Zeugin von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht. Das Gericht erfährt also nichts über die Motive des spektakulären Suizidversuchs. Der Angeklagte gesteht die Tat, möchte aber nicht über seine Beweggründe sprechen. Er betont, dass er zwar den Plan hatte, die Polizei zu seiner Tötung zu provozieren, er habe aber nie die Absicht gehabt, jemanden mit dem Messer zu verletzen. Alle an der Aktion beteiligten Polizeibeamten beschreiben die Situation als äußerst brenzlig. Einerseits haben sie das Messer als echte Bedrohung empfunden, andererseits wollten sie dem Wunsch des Angeklagten, ihn zu erschießen, natürlich nicht nachkommen. Ein erfahrener Polizeibeamter betonte: „So etwas Dramatisches habe ich noch nie erlebt.“ Es habe einige Zeit gedauert, bis die Kollegen die Situation verarbeitet hätten.

Der Facharzt für forensische Psychiatrie, Dr. Gerhard Buchholz, ist als Sachverständiger geladen. Er sagt, dass der Angeklagte bereitwillig mit ihm gesprochen, sich jedoch darüber ausgeschwiegen habe, warum er sich das Leben nehmen wollte. Der Facharzt bescheinigt dem jungen Mann, der weder Alkohol trinkt noch illegale Drogen nimmt, eine Persönlichkeitsstörung und empfiehlt ihm dringend eine psychiatrische Behandlung, um eine erneute Kurzschlusshandlung zu vermeiden.

Auf Frage des Vorsitzenden Richters, Gerald Michel, zeigt sich der Angeklagte, der in Kürze ein Studium im IT-Bereich beginnen möchte, mit einer Therapie einverstanden. Das Urteil: keine zehnmonatige Jugendstrafe mit Bewährung, wie der Staatsanwalt beantragt, sondern eine Verwarnung mit Auflagen. Der Angeklagte muss 200 Sozialstunden leisten und mindestens ein Jahr lang eine Therapie machen, was er dem Gericht belegen muss. Amtsrichter Michel begründete das Urteil: „Hier sitzt kein Krimineller, sondern ein kranker Mensch.“ Unbestritten sei die Situation für die Polizeibeamten sehr bedrohlich und belastend gewesen: „Man kann kaum fassen, was da passiert ist.“

Unter normalen Umständen hätte wegen der Schwere der Schuld eine Jugendstrafe ausgesprochen werden müssen. Doch das Gericht habe die gestörte Persönlichkeit des Angeklagten berücksichtigen müssen.

Von unserer Mitarbeiterin Brigitte Meier

Top-News aus der Region