Kommunikation ab sechs Monaten
Lehmenerin bringt Eltern und Babys Zeichensprache bei
Kelly Malottke möchte Eltern und ihren Babys die Zeichensprache näher bringen. Mittels grundlegender Worte und Gesten können die Kleinsten dann schon innerhalb des ersten Lebensjahres kommunizieren, so die Erfahrung der Lehmenerin.
Stefanie Braun

Sie selbst kennt Sprachlosigkeit: Kelly Malottke wurde in der Schule missbraucht und konnte mit niemandem darüber reden. Nun bringt sie den Kleinsten und deren Eltern Zeichensprache bei, damit Kommunikation möglich ist.

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Kelly Malottke spricht viel, die Worte sprudeln aus ihr heraus, oft begleitet von Gesten, mal groß, mal klein. Da ist es kaum zu glauben, dass der Frau mit den kurzen, schwarzen Haaren mal die Worte gefehlt haben. Und das in einem so wichtigen Moment, denn Malottke ist in der Schule Opfer von Missbrauch geworden und weiß daher aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, gehört zu werden – auch wenn man nicht sprechen kann.

Ihr Lebenswerk dreht sich genau darum: denjenigen eine Kommunikationsmöglichkeit geben, die sich keiner Worte bedienen können, zumindest noch nicht. Kelly Malottke schult Eltern und Kleinstkinder in Zeichensprache. Mittlerweile hält sie Vorträge und veröffentlicht ihre Bücher in den USA.

Geboren wurde die 46-Jährige in Köln, aufgewachsen ist sie im Westerwald, seit 17 Jahren lebt sie in der Region, elf Jahre davon in Lehmen-Moselsürsch. Gerade die beiden letzten Abschnitte markieren wichtige Meilensteine ihres Lebens: Vor 17 Jahren wurde ihr erster Sohn geboren, vor elf Jahren ihr dritter. Als die staatliche geprüfte Heilerziehungspflegerin 2007 im Wartezimmer ihrer Gynäkologin sitzt, findet sie in einem Artikel zudem ihre Berufung: Eltern in den USA kommunizieren mit ihren Babys über Zeichensprache. Der Schreiber hält dies für ein merkwürdiges Gebaren, für Malottke ist gerade das ein Zeichen, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Das Konzept ist schnell erklärt und wird in den USA bereits seit Jahren angewandt: Eltern sprechen mit ihren Kindern und zeigen Zeichen der Gebärdensprache für einzelne Wörter, wie Tee, Brot, Auto, Bär. Allerdings gefällt Malottke der amerikanische Leistungsansatz nicht: „Das hatte eher was von Dressur“, sagt sie im RZ-Gespräch. Sie sucht nach einem anderen Ansatz, nach deutscher Literatur, doch Fehlanzeige. Auch bei Gebärdensprache wäre das wichtig, denn die ist von Land zu Land unterschiedlich – und teils gibt es von Region zu Region sogar Dialekte. So sind zwischen Neuwied und Koblenz die Zeichen für die Wochentage unterschiedlich, erklärt sie.

In Ratgebern, die sie findet, fehlt Malottke der richtige Ansatz: „Es gibt kaum Bücher von Pädagogen. Meistens sind es Quereinsteiger wie Fotografen, Betriebswirte oder andere Anbieter, die meist eine Methode verkaufen oder im schlimmsten Fall nur ein Programm. Aber es fehlt vollkommen der pädagogische Ansatz“, beschreibt sie ihre Gedanken. Genannte Dressur oder auch Manipulation wird empfohlen, doch Malottkes Ansatz ist anders. Sie bietet die Methode inklusive einem pädagogischen Ansatz: natürlich, intuitiv, ganzheitlich und bindungsorientiert.

Heute wird sie auf internationale Kongresse eingeladen

Mit ihren eigenen Kindern probt sie, erarbeitet ein Programm, das sie in Kursen in der Region anbietet. Das alles ist Jahre her, seitdem ist ihr Konzept gewachsen, aus wenigen Unterlagen wurden Bücher, aus Kursen in der Region wurden 310 Standorte für Coaches in sechs Ländern – Zypern, Ungarn, Schweiz, Italien, Österreich und Deutschland.

Den Beruf Unternehmerin habe sie nie angestrebt, sondern sei nur ihrem inneren Ruf gefolgt: „Jedem Baby und Kleinkind eine Stimme zu geben“, sagt sie. Sie entschied vor acht Jahren, ihr Herzensprojekt wachsen zu lassen und zu expandieren. Heute wird sie auf internationale Kongresse eingeladen, zuletzt in Miami, um ihr Projekt auch auf dem englischsprachigen Markt vorzustellen. Dieses Jahr geht es wieder in die USA, diesmal nach New York.

Malottke weiß selbst, wie es ist, sprachlos zu sein: Sie wurde in der Schule misshandelt und konnte sich nicht mitteilen. Nun möchte sie signalisieren: Auch wer nicht spricht, hat dennoch ein Recht, gehört zu werden. Auf ihrem Youtube-Kanal teilt sie Videos ihrer eigenen Kinder, wie diese Zeichensprache verwenden.
Stefanie Braun

Dort ist das Thema ja – wie gesagt – gang und gäbe, in Deutschland gibt es noch Skeptiker. Eine große Frage: Lernt das Kind überhaupt sprechen, wenn die Zeichensprache doch ausreicht? Die Angst ist völlig unbegründet, oft sei eher das Gegenteil der Fall, weil die Gebärden plus das immer dazu gesprochene Wort doppelt vernetzt werden im Gehirn. Vor allem verbessert es die Bindung zwischen Eltern und Kind, wenn beide sich verstanden fühlen. Auch für Kinder mit Migrationshintergrund kann es eine Brücke darstellen, ebenso für Kinder mit Autismus oder ADHS – was Malottke übrigens selbst auch hat.

„Wenn das Kind im Auto quengelt, weil es zum Beispiel Durst hat, aber das Fläschchen gerade nicht verfügbar ist, kann das Baby nicht auf dieses zeigen.“
Es gibt viele Situationen, in denen Zeichensprache nützlich ist, sagt Kelly Malottke.

99 Gebärden umfasst ihr Ratgeber „Zauberhafte Babyhände“, viele nützliche Worte, mit denen Kinder unter einem Jahr schon kommunizieren können: „Wenn das Kind im Auto quengelt, weil es zum Beispiel Durst hat, aber das Fläschchen gerade nicht verfügbar ist, kann das Baby nicht auf dieses zeigen und bleibt mit seinem Bedürfnis ungesehen.“ Damit könnten Autofahrten oder andere Situationen, in denen die Sprache fehlt, zu einem anstrengenden Akt werden.

„Mit Gebärden kann das Baby direkt zeigen, was es braucht, ohne auf einen Gegenstand zeigen zu müssen. Es geht aber nicht nur darum, sofort jeden Wunsch zu erfüllen, sondern darum, dass man den Wunsch des Kindes überhaupt verstanden und das Kind mit seinem Bedürfnis gesehen hat.“ Ihr Konzept ist für Kinder von sechs Monaten bis vier Jahren entwickelt, allerdings müsse das kein Limit sein, denn Gebärden sind universell einsetzbar und könnten auch für ältere Kinder hilfreich sein. 

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Was Malottke zusehends auffällt: Heutige Familien fühlen sich überfordert, sind oft hilf- und orientierungslos und verstehen das Verhalten ihres Kindes nicht oder wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Viele suchen Rat und Halt in den sozialen Netzwerken, was nach Malottke die Situation aufgrund der Masse und unterschiedlicher Ansätze eher verschlimmern kann.

Was Malottke selbst als Mutter früh gelernt hat und jungen Eltern rät: Weniger Mütter-Influerncern folgen, die laut ihr oft auch nur experimentieren, weniger Erziehungstipps konsumieren und mehr auf das Bauchgefühl und auf die eigene Intuition hören. „Kinder brauchen keine perfekten Eltern. Kinder brauchen authentische Eltern mit Ecken und Kanten, aber insbesondere eine liebevolle Umgebung und das Gefühl: Da ist jemand, der mich sieht und versucht, mich zu verstehen.“

Es gebe eben Menschen – und Kinder – die gerne mit Worten reden, andere benutzen eher nonverbale Kommunikation. „Warum sollten die nicht gehört werden?“, fragt Malottke. Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass Nicht-Sprechen auch Bände sprechen kann. Als sie in der Schule Opfer von Missbrauch wird, signalisiert sie, dass etwas los ist. Sie wird still, traurig, nickt nur noch. Eine Lehrerin kommt auf sie zu, deren einzige Aussage: „Du musst schon mit mir reden, ich kann nicht raten, was du hast.“ Malottke sagt nichts. Menschen, die sich nicht verstanden fühlen, sterben leise, sagt sie. „Wer gesehen und gehört wird, hat einen größeren Platz in unserer Welt.“ Und das möchte sie auch den Kleinsten schon ermöglichen.

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