Blick in die Geschichte
Im Zeller Land blieb Hindenburg ohne Mehrheit
Die Zeller Zeitung vom 31. März 1925 gibt das Ergebnis der Reichspräsidenten-Wahl wieder.
Dieter Junker. Dieter Junker/Archiv Stadt Zell

Vor 100 Jahren wurde Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten gewählt. Für die noch recht junge Weimarer Republik ging damit ein Rechtsruck einher. Wie die beiden Wahlgänge im damaligen Kreis Zell liefen, zeigt ein Blick ins Archiv der Moselstadt.

Es war eine deutliche Zäsur in der noch jungen deutschen Republik, die Wahl von Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten vor 100 Jahren. Der Historiker und Publizist Wolfgang Niess spricht von einer „Schicksalswahl“ sowie einer „Zeitbombe, die 1933 mit zerstörerischer Gewalt explodieren sollte“. Die politische Achse in der Weimarer Republik verschob sich 1925 deutlich nach rechts, denn erstmals erhielten die Gegner der Republik eine Mehrheit im Reich.

Doch – anders als im gesamten Reich – behielt bei der Reichspräsidentenwahl vor 100 Jahren im damaligen Kreis Zell die sogenannte „Weimarer Koalition“, also die Parteien, die hinter der Republik standen, eine klare Mehrheit. Beim entscheidenden 2. Wahlgang am 26. April 1925, stimmten fast 60 Prozent der Wählerinnen und Wähler im Kreis Zell für Wilhelm Marx, den Kandidaten der katholischen Zentrumspartei und des „Volksblocks“.

Friedrich Ebert (SPD) war überraschend verstorben

Die Neuwahl eines Staatsoberhaupts war notwendig geworden, nachdem der 1919 von der Weimarer Nationalversammlung gewählte Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) am 28. Februar 1925 überraschend gestorben war. Für die Wahl am 29. März 1925 wurden von den Parteien zahlreiche Kandidaten aufgestellt, sodass früh klar war, dass keiner der Bewerber im 1. Wahlgang eine absolute Mehrheit erringen würde.

Ein Blick in die damaligen Zeitungen im Kreis Zell – den „Zeller Volksfreund“ als katholisches Volksblatt und die „Zeller Zeitung“, das amtliche Kreisblatt und Organ der Verwaltungsbehörde sowie Anzeiger der landwirtschaftlichen Lokalabteilung – zeigt allerdings nur wenig Hinweise auf einen Wahlkampf im Kreis. Vom „Reichsblock“, zu dem sich die nationalliberale Deutsche Volkspartei (DVP), die rechte Deutschnationale Volkspartei (DNVP) und die Reichspartei des deutschen Mittelstandes (Wirtschaftspartei) zu dieser Wahl zusammengeschlossen und für den 1. Wahlgang den Duisburger Oberbürgermeister und ehemaligen Reichsinnenminister Karl Jarres (DVP) als Präsidentschaftskandidaten nominiert hatten, finden sich keine Wahlanzeigen oder Berichte über Wahlveranstaltungen. Lediglich die Zentrumspartei, traditionell die stärkste Partei im Kreis Zell, warb für ihren Kandidaten, den Zentrumspolitiker und ehemaligen Reichskanzler Wilhelm Marx.

Mit einem Telegramm teilte die Bürgermeisterei Sohren dem Landratsamt Zell das Ergebnis des 1. Wahlgangs der Reichspräsidentenwahl 1925 mit.
Dieter Junker. Dieter Junker/Archiv Stadt Zell

„Zeller Volksfreund“ empfiehlt Wahl des Zentrumpolitikers

Der „Zeller Volksfreund“ bezeichnete ihn als „den Volkskandidaten“ und als „christlichen Mann der Tat“. Kurz vor dem 1. Wahlgang am 29. März rief die Zeitung erneut zur Wahl des Zentrumpolitikers auf. So hieß es auf der Titelseite „Deutsche Männer, deutsche Frauen! Wählt keinen Rechtspräsidenten, wählt keinen Linkspräsidenten. Wählt den Volkspräsidenten Marx“.

Am Wahltag erhielt Wilhelm Marx im Kreis Zell mit fast 60 Prozent die meisten Stimmen. Der Kandidat des Reichsblocks, Karl Jarres, kam auf 31,4 Prozent. Der DVP-Politiker holte allerdings in den evangelisch geprägten Bürgermeistereien Enkirch, Sohren und Traben-Trarbach, wo die DVP in diesen Jahren traditionell stärkste Partei war, die meisten Stimmen. Die anderen Kandidaten spielten im Kreis Zell kaum eine Rolle. Das drittstärkste Ergebnis mit gerade mal 5,7 Prozent holte der SPD-Kandidat Otto Braun, damals immerhin preußischer Ministerpräsident.

Volksblock-Vertreter warnen vor Hindenburg und seinen Hintermännern

Da im Reich keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erhalten hatte, wurde für Ende April ein 2. Wahlgang angesetzt. Nach Gesprächen der Parteien unterstützten nun auch BVP und Völkische den vom „Reichsblock“ neu nominierten Präsidentschaftskandidaten Paul von Hindenburg, den Generalfeldmarschall aus dem Ersten Weltkrieg und „Helden von Tannenberg“, der gerade in nationalen und monarchistischen Kreisen großes Ansehen genoss. Die Parteien der „Weimarer Koalition“ – die SPD, die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) und das Zentrum – schlossen sich daraufhin zum „Volksblock“ zusammen und stellten den Zentrumspolitiker Wilhelm Marx als ihren Kandidaten auf. Die KPD hielt an ihrem Bewerber Ernst Thälmann fest.

Diesmal veröffentlichte der „Zeller Volksfreund“ auch den Wahlaufruf Hindenburgs kurz vor dem 2. Wahlgang, in dem dieser betonte, jedem national denkenden Deutschen die Hand zu reichen, und die Wählerinnen und Wähler aufforderte, ihm zu helfen bei der „Auferstehung unseres Vaterlandes“. Dagegen warnten die Vertreter des Volksblocks in der gleichen Zeitung vor der Wahl Hindenburgs und forderten die Wahlbevölkerung auf, ihren Kandidaten Marx zu wählen, um „das große Unglück abzuwenden, das unserem Vaterlande beschieden wäre, wenn die Pläne der Hintermänner der Kandidatur Hindenburgs verwirklicht“ würden.

Deutlicher Fingerzeig für die Stimmabgabe beim entscheidenden Wahlgang zur Reichspräsidentenwahl in einer Wahlanzeige.
Wahlanzeige für Wilhelm Marx im Zeller Volksfreund.
Dieter Junker. Dieter Junker/Archiv Stadt Zell
Die Arbeitsgemeinschaft der Hunsrücker Volksblock-Parteien rief in der Zeller Zeitung zur Wahl von Wilhelm Marx auf.
Einladung zu einer Wählerversammlung des Volksblocks für die Reichspräsidentenwahl 1925.
Dieter Junker. Dieter Junker/Archiv Stadt Zell
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Zeller Pastor ruft zur Erfüllung der Wahlpflicht auf

Bei einer Wahlveranstaltung des Volksblocks im Bohn’schen Saal in Zell warb der preußische Zentrums-Landtagsabgeordnete Jakob Diel aus Burglayen bei Bingen für die Wahl von Marx, der den Grundstein für den Wiederaufbau Deutschlands legen werde. Zum Abschluss der Wahlveranstaltung forderte der Zeller Pastor Wolter die Anwesenden auf, ihre Wahlpflicht restlos zu erfüllen. Auch wurde ein den Kandidaten Marx beleidigendes Flugblatt scharf kritisiert, ohne auf dessen Inhalt näher einzugehen.

Die „Zeller Zeitung“ veröffentliche ihrerseits einen Aufruf der Arbeitsgemeinschaft der Hunsrücker Volksblock-Parteien Castellaun, in dem betont wurde, dass, wer Deutschlands Zukunft wolle, den „Friedenspräsdenten“ Wilhelm Marx wählen müsse. Auffällig ist, dass in keiner der beiden Zeller Zeitungen Wahlwerbung für den Reichsblock-Kandidaten Hindenburg zu finden war. Es ist aber bekannt, dass der Büchenbeurener Arzt und Landwirt Wilhelm Schüler, der für die „Hunsrückliste“ im Zeller Kreistag saß und für die DVP Mitglied des rheinischen Provinziallandtages war, für den „Reichsblock“ im Hunsrück warb.

Marx bleibt im Kreis Zell stark

Erhielt im Kreis Zell beim 2. Wahlgang am 26. April der Volksblock-Kandidat Wilhelm Marx erneut eine klare Mehrheit, so wurde im Reich dagegen Paul von Hindenburg mit einem knappen Stimmenvorsprung zum neuen Reichspräsidenten gewählt. In Zell waren gegenüber dem ersten Wahlgang diesmal gut 2000 Wählerinnen und Wähler mehr zur Wahl gegangen. Zwar konnte Wilhelm Marx im Kreis Zell dabei an absoluten Stimmen gegenüber dem Wahlgang Ende März fast 1400 Stimmen hinzugewinnen, prozentual blieb er allerdings weitgehend bei dem Ergebnis aus dem ersten Wahlgang. Das bedeutete, dass der Volksblock prozentual insgesamt im zweiten Wahlgang weniger Stimmanteile als im ersten Wahlgang erhielt und offenbar nicht mehr Wählerinnen und Wähler mobilisieren konnte. Im März hatten die Kandidaten von SPD, Zentrum und DDP zusammen noch 66,8 Prozent der Stimmen erhalten, im zweiten Wahlgang waren es dann lediglich 59,9 Prozent.

Der Reichsblock konnte im Kreis Zell dagegen im zweiten Wahlgang alle Stimmen der ehemaligen Kandidaten auf sich vereinen, gegenüber der Wahl Ende März einen großen Stimmenzuwachs verzeichnen und fast 40 Prozent hinter sich sammeln. Deutlich mehr also als im ersten Wahlgang Ende März, wo die späteren Reichsblock-Parteien lediglich auf 32,7 Prozent der Stimmen kamen.

Hindenburg mobilisierte viele Nichtwähler

Damit trifft auch im Kreis Zell das zu, was der Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta für ganz Deutschland feststellte. Dass nämlich Hindenburg im zweiten Wahlgang viele Nichtwähler mobilisierte und gerade auch Stimmen aus der konservativen katholischen Wählerschaft erhielt, die nicht dem Vertreter des politischen Katholizismus, sondern der Symbolfigur, die sich einer konfessionellen Verortung entzog, ihre Stimme gab.

Informationen zum Wahlausgang im Kreis Cochem fehlen

Leider sind die Ausgaben der Cochemer Zeitung aus dem Jahr 1925 im Cochemer Stadtarchiv nicht mehr vorhanden, auch in den Akten des Kreises Cochem im Landeshauptarchiv Koblenz fehlen die Unterlagen zu den Wahlen im Kreis Cochem in diesem Jahr. Daher fehlen Informationen zu den Reichspräsidentenwahlen 1925 im Kreis Cochem. Da Cochem allerdings sehr stark katholisch geprägt und die Zentrumspartei auch hier die mit Abstand stärkste politische Kraft war, dürfte wie im Kreis Zell auch in Cochem deren Kandidat Wilhelm Marx die meisten Stimmen erhalten haben. dj

Ausgang der Reichspräsidentenwahl 1925 im Kreis Zell

Ergebnis 1. Wahlgang (29. März 1925)

Braun (SPD) 789 (5,7 %)

Held (BVP) 95 (0,7 %)

Hellpach (DDP) 222 (1,6 %)

Jarres (Reichsblock) 4369 (31,4 %)

Ludendorff (Völkische) 86 (0,6 %)

Marx (Zentrum) 8289 (59,5 %)

Thälmann (KPD) 50 (0,4 %)

Ungültig 21 (0,1 %)

Insgesamt 13.921

Ergebnis 2. Wahlgang (26. April 1925)

Hindenburg (Reichsblock) 6410 (39,6 %)

Marx (Volksblock) 9681 (59,9 %)

Thälmann (KPD) 82 (0,5 %)

Insgesamt 16.173

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