Rund 80 Prozent der Opfer von häuslicher Gewalt sind laut der Hilfsorganisation Weisser Ring Frauen. Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen wollen nun verschiedene Institutionen im Kreis Cochem-Zell darauf aufmerksam machen, dass auch psychische Gewalt ein großes Problem darstellt – und nicht selten in körperlichen Taten endet.
Eine toxische Beziehung bedeutet ja nicht nur rein körperliche Gewalt, sondern hier wird auch der Wille der Partnerin gebrochen.
Ramona Junglas, Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragte des Kreises Cochem-Zell
Gerade jüngere Leute werden zunehmend Opfer von toxischen Beziehungen. Das sagt Ramona Junglas, Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragte des Kreises Cochem-Zell. Wer so eine Partnerschaft hinter sich hat, ginge aus dieser meist „total gebrochen“ heraus, so Junglas: „Eine toxische Beziehung bedeutet ja nicht nur rein körperliche Gewalt, sondern hier wird auch der Wille der Partnerin gebrochen.“
Psychische Manipulation, dazu gehört auch das so genannte „Gaslighting“ – die Opfer werden durch Einschüchterungstaktiken und Lügen so manipuliert, dass sie an ihrem eigenen Verstand und ihrer eigenen Wahrnehmung zweifeln. Doch Vorsicht: Der Begriff „toxisch“ würde in Zeiten von Social Media sehr inflationär benutzt, sagt Junglas. Dennoch ist es ein Problem, das immer häufiger auftritt.
Großes Problem: Schwiegermutter mischt sich ein
Besonders häufig verändern sich Partnerschaften in eine toxische Richtung, wenn sich jemand Drittes in die Beziehung einmischt. Das betreffe die meisten Fälle, um welche sich Elisabeth Schmitt vom Weissen Ring Cochem-Zell kümmert: „Ganz oft mischen sich die Mütter oder Schwiegermütter ein.“ Und meistens ist es die Frau, die darunter leidet.
Denn während sich die Schwiegermutter in die Beziehung und Erziehung der Kinder einmischt, steht der Mann oft nicht an der Seite seiner Partnerin, denn: „Mama regiert alles“, laute der Tenor, Vertrauen, Anerkennung und Wertschätzung schwinden. Besonders oft passiere das zwar bei Paaren, in welchen zwei verschiedene Kulturen aufeinandertreffen, aber auch Paare aus der gleichen Kultur sind davon betroffen. „Die Frauen sind nach Fällen wie diesen schwer traumatisiert“, sagt Schmitt.
Wenn der Mann seine Frau oder Partnerin verbal erniedrigt, zählt das auch als Gewalt gegen Frauen – nur eben psychisch.
Elisabeth Schmitt, Weisser Ring Außenstelle Cochem
Ein weiteres Problem: Alkoholisierte Männer, die zur Gewalt neigen – physisch und auch psychisch. Erst werden sie laut, aggressiv, werfen ihrer Partnerin Beleidigungen und Schuldzuweisungen an den Kopf. „Wenn der Mann seine Frau oder Partnerin verbal erniedrigt, zählt das auch als Gewalt gegen Frauen – nur eben psychisch“, erklärt Elisabeth Schmitt. Die psychische Gewalt kann sich aber auch schnell in körperliche Gewalt wandeln, insbesondere, wenn Alkohol im Spiel und damit die Hemmschwelle deutlich geringer ist. Schmitt sagt: „Besonders schlimm ist es in Fällen wie diesen für die Kinder: Sie bekommen mit, dass ihr Papa laut und aggressiv wird, fragen sich, was los ist.“
Diesen Frauen, samt Kinder, wollen Hilfsorganisationen wie Weisser Ring oder die Interventionsstelle der Caritas helfen, so Schmitt: „Wir holen die Frauen und Kinder da raus, bringen sie in eine Trauma-Ambulanz nach Trier oder Koblenz. Wir reden mit ihnen, besorgen ihnen Hilfe, gehen mit ihnen ins Krankenhaus – wenn sie das wollen.“
Weisser Ring in Cochem-Zell sucht junge Verstärkung
Immer mehr jüngere Menschen sind von häuslicher Gewalt betroffen, ob körperlich oder psychisch. Das bestätigt Elisabeth Schmitt vom Weissen Ring, die nun schon seit vielen Jahren ihrer Tätigkeit nachgeht. Um Betroffenen weiterhin eine Beratung zu ermöglichen, in welcher sie sich sicher und wohl fühlen, sucht sie nach jungen Menschen, die sich bei der Hilfsorganisation Weisser Ring engagieren möchten.
Interessierte können sich bei Elisabeth Schmitt melden, Tel. 0151 551 646 63 oder E-Mail: cochem-zell@mail.weisser-ring.dered
Ein weiteres Problem, das immer mehr zunimmt: Stalking. Noch seien die Zahlen im Kreis zwar nicht so hoch, sagt Ramona Junglas, doch sie steigen. Männer lauern Frauen auf, verfolgen sie. Der Weisse Ring legt Betroffenen eine selbst entwickelte App ans Herz, um später vor Gericht bessere Chancen zu haben. Elisabeth Schmitt erklärt: „Vor Gericht bekommt ein Opfer meistens nur Gehör, wenn es Beweise für das Stalking gibt.“ Meistens sind die Frauen jedoch so verängstigt, dass gar keine Zeit für Beweisfotos oder Videos bleibt. Handfeste Beweise, wie Fotos, Videos, Nachrichten und Sprachnachrichten können über die App „No Stalk“ gesichert und dokumentiert werden.
Seit Ukraine-Krieg mehr Fälle
In der Außenstelle des Weissen Rings in Cochem haben seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges und der damit verbundenen Wirtschaftskrise vermehrt mit Gewalt konfrontierte Frauen nach Hilfe gesucht. Elisabeth Schmitt engagiert sich für den Weissen Ring und erklärt, was hinter den Zahlen steckt, denn tatsächlich sind es viele Ukrainerinnen, die aus ihrem Land geflüchtet sind und hier nach Hilfe suchen: „Oft flippen die Männer dann hier aus: Die Frauen sind hier selbstständiger, teilweise lebt die Familie aber in nur einem engen, kleinen Raum zusammen.“ Dass der Mann nicht mehr der Herr im Haus ist, stelle oft ein Problem dar – die Mentalität sei anders, so Schmitt: „Kompliziert wird es ab dann, wenn der Mann die Frau nicht mehr akzeptiert, weil sie zu selbstständig ist.“
Die größte Hürde in Fällen wie diesen ist für Elisabeth Schmitt nicht einmal die schwierige Thematik an sich, sondern vor allem die Sprachbarriere. Derzeit arbeitet sie mit Übersetzungs-Apps – etwas, das nicht nur viel Zeit, sondern auch Geduld erfordert. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass rund 80 bis 90 Prozent der betroffenen Frauen zu ihrem Mann zurückkehren, auch wenn sie Hilfe gesucht haben.
Polizei-Statistiken zeigen Entwicklungen
Nadine Junker-Gnad von der Polizeiinspektion Zell bestätigt: „Jetzt im Herbst kam es vergleichsweise vermehrt zu Fällen, über die Corona-Jahre war es dafür aber erstaunlich ruhig.“ Genaue Zahlen für Gewalt an Frauen in ihrem Dienstbereich kann sie kurzfristig nicht nennen, dafür aber die Gesamtzahlen für Gewalt in engen sozialen Beziehungen: „2020 hatten wir 67 Fälle, 2021 53 Fälle und 2022 bisher 62, davon 22 im dritten Quartal.“
Die Zahlen, zumindest im Bereich der Polizeiinspektion Cochem, zeigen in den vergangenen Jahren aber eine deutliche Entwicklung, wie Daniel Höhnen von der Polizeidirektion Mayen auf RZ-Anfrage mitteilt. So waren es laut der polizeilichen Kriminalstatistik im Jahr 2017 noch 37 weibliche Opfer von Gewalt in engen sozialen Beziehungen. 2018 waren es 40, 2019 konnten 42 Opfer gezählt werden, und 2020 waren 38 Frauen betroffen. Einen deutlicher Anstieg passierte dann 2021: 60 Frauen kam die Polizei zur Hilfe. Und 2022, bis einschließlich 30. September, gingen bereits 56 Fälle bei der Polizei ein.
Eines ist jedoch sicher: Bis heute gibt es sehr viele Frauen, die sich nicht trauen, Hilfe zu suchen. „Sie schämen sich, obwohl die Schuld nicht bei ihnen liegt. Aber das ist ein Problem unserer Gesellschaft: Die Frau ist leider immer Schuld.“ Darum macht Elisabeth Schmitt, wie auch Ramona Junglas und weitere Hilfsstellen, darauf aufmerksam: Gewalt ist nicht die Schuld des Opfers – der Weisse Ring, die Polizei, die Interventionsstelle der Caritas und viele weitere Hilfsorganisationen sind da, um Betroffenen zu helfen.
Am Vorabend zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt an Frauen machen sich verschiedene Hilfsorganisationen des Kreises sichtbar: Das Apollo-Kino in Cochem zeigt eine Sondervorstellung zum Thema „Toxische Beziehungen“. In Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis „Gewalt in engen Beziehungen“, dem Club Soroptimist Cochem und der Gleichstellungsstelle der Kreisverwaltung Cochem-Zell läuft am heutigen Donnerstag, 24. November, um 19 Uhr der Film „Girl on the Train“. Ein Vortrag gibt außerdem Einblick, was Betroffene tun können, um eine toxische Beziehung zu erkennen und sich vor dieser und dessen Ausmaß zu schützen, und verschiedene Beratungsstellen aus dem Kreis stellen sich vor. Der Eintritt ist frei.
Für Betroffene: Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Unter der Nummer 08000 116 016 und via Online-Beratung werden Betroffene aller Nationalitäten 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr unterstützt. Auch Angehörige, Freundinnen und Freunde sowie Fachkräfte werden anonym und kostenfrei beraten.