Im Nachbarort Bruttig-Fankel erinnern seit dem Frühjahr 2019 sogenannte Stolpersteine an Opfer der Judenverfolgung in der NS-Zeit. „Familie Koppel in Beilstein hätte solche Stolpersteine ebenfalls verdient“, unterstreicht Rainer Vitz. Er bedauert es sehr, dass kaum noch etwas Sichtbares an mehr als 600 Jahre jüdischer Kultur und jüdischen Lebens im „Dornröschen der Mosel“ erinnert. Sieht man einmal vom jüdischen Friedhof ab, der östlich der Burgruine Metternich liegt, circa 200 bis 300 Meter außerhalb des Ortskerns. „Und auch auf den Friedhof weist kein einziges Schild mehr hin“, moniert Vitz.
Dabei gibt es sie noch, die steinernen Zeugnisse der reichen und bereichernden jüdischen Vergangenheit Beilsteins. Da ist etwa die Synagoge an der Weingasse, ein moseltypischer Bruchsteinbau, dessen Westfassade aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts stammt. Die Ostfassade, dem Ortskern zugewandt, stammt wahrscheinlich aus dem 18. Jahrhundert. Dabei ist es mehr als wahrscheinlich, dass die jüdische Gemeinde schon kurz nach ihrer Entstehung Anfang des 14. Jahrhunderts eine Synagoge als zentralen Ort der Zusammenkunft gehabt haben dürfte. „Sie ist der absolute Mittelpunkt des jüdischen Gemeindelebens, nicht nur des religiösen Lebens“, erläutert Vitz.
Das frühere Synagogengebäude an der Weingasse bezeichneten die Beilsteiner noch bis vor wenigen Jahrzehnten als „Juddeschul“ – und so wurde es einst auch von der jüdischen Gemeinde selbst bezeichnet. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten die Preußen es Beilsteins jüdischer Gemeinde erlaubt, dort eine eigene Elementarschule einzurichten. „Nach 1824 wurde das Gebäude deshalb um circa drei Meter zur Moselseite hin verlängert“, sagt Vitz, über die frühere Stadtmauer hinaus. „Zwischen 1837 und 1842 haben bis zu 20 Kinder die jüdische Schule in Beilstein besucht.“
Infolge der Abwanderung junger jüdischer Familien und des daraus resultierenden Schülermangels beendete die Judengemeinde den Schulbetrieb in Beilsein bald wieder. Den letzten Versuch, noch einmal eine jüdische Schule in Beilstein zu etablieren, unternahm die israelitische Gemeinde zwischen 1863 und 1867. Allerdings scheiterte auch dieser, weil die Gemeinde zusehends schrumpfte. Zum einen zog es viele junge jüdische Familien nach der Gründung des deutschen Kaiserreiches 1871 in die wirtschaftlich aufblühenden Städte.
Zum anderen emigrierten etliche jüdische Familien angesichts der im Moselkrampen vorherrschenden Armut, und zwar vor allem in die USA. Karl Koppels Bruder Julius „ist in den 1920ern in die USA ausgewandert“, erzählt Historiker und Stadtführer Vitz. Warum das für die Geschichte der Familie wichtig ist?
Karl Koppels zweite Ehefrau, Theresia, schenkte ihm 1916 eine Tochter namens Trude. Diese schickten ihre Eltern 1937 zu ihrem Onkel Julius in die USA, denn damals zeichnete sich schon allzu deutlich ab, was Juden im NS-Regime blühte. „Deswegen hat Trude Koppel die Nazizeit auch überlebt“, sagt Vitz, der heute Kontakt zu Karl Koppels Enkel René in den USA hält. Erst 2019 starb Trude Koppel, wie eingangs erwähnt.
Ihre Eltern, Karl und Theresia, sowie ihre Tante Mathilde hingegen wurden von den Nazis ermordet. Verlassen mussten sie ihr geliebtes Heimatdorf Beilstein schon im Frühjahr 1939, nachdem die Nazis ihnen ihre Lebensgrundlage, einen Kolonialwarenladen am Marktplatz, entzogen hatten. Eine Verordnung vom 12. November 1938 bestimmte nämlich, dass Juden bis zum 31. Dezember ihre Geschäftstätigkeit aufgeben mussten.
Also zogen Karl, Theresia und Mathilde schweren Herzens nach Köln, in die vermeintlich sichere Anonymität einer Großstadt. Von dort aus wurden sie am 15. Juni 1942 ins Konzentrationslager (KZ) Theresienstadt deportiert. Wenige Monate später verschleppten die Nazis die Koppels ins KZ Treblinka. „Karl Koppel wurde dort am 21. September 1942 ermordet, seine Frau und die Schwester wahrscheinlich am gleichen Tag“, hält Vitz fest. Der Sozialpädagoge und spät berufene Historiker, der sich mit seinem Studium der Geschichte und Kunstgeschichte „einen Jugendtraum erfüllt“ hat, will sich dafür starkmachen, dass künftig Stolpersteine in Beilstein an Familie Koppel erinnern. Erste Befürworter im Gemeinderat hat Vitz nach eigenem Bekunden schon gefunden.