Jungwinzerin trotz(t) Diagnose
Electronic Wine war für Anna-Maria Dehen die Feuertaufe
Anna-Maria Dehen ist vor einem Jahr in die Fußstapfen ihres Vaters getreten, nachdem der Müdener Winzer gestorben war. Ein harter Job, vor allem, wenn man wie die 31-Jährige chronisch krank ist.
Aurélie Johann

Anna-Maria Dehen ist Jungwinzerin aus Müden. Sie hat bei Electronic Wine in Koblenz erstmals ihren eigenen Wein vorgestellt – und das nach einem turbulenten Jahr. Ihr Vater, Chef des Weinguts, war 2024 gestorben, sodass sie in seine Fußstapfen trat.

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Der Blick aus dem Fenster zeigt Reben in Hanglage, Nebelschwaden über der Mosel. Ein Bild wie aus dem Werbekatalog deutscher Weinbauidylle. Doch die Realität ist komplexer – zumindest für Anna-Maria Dehen. Die 31-Jährige ist ausgebildete Winzerin und arbeitet im Familienbetrieb in Müden an der Mosel. Mehr als drei Stunden am Tag darf sie allerdings nicht schuften. Eine gesetzliche Begrenzung – verordnet nach der Diagnose: Multiple Sklerose.

2019 erfuhr sie von der Erkrankung. Seitdem hat sich ihr Alltag verändert. Sie lebt mit einem Körper, der manchmal nicht mitmacht, und in einem Beruf, der physische Belastbarkeit voraussetzt. Anna-Maria Dehen könnte sich zurückziehen, hat sich aber dagegen entschieden. Stattdessen hilft sie dort, wo sie helfen kann: im Keller, im Verkauf, im Gespräch mit Kundinnen und Kunden. Die Verantwortung für das Weingut trägt offiziell ihre Mutter. Anna-Maria unterstützt sie – aus Überzeugung, aber auch aus Notwendigkeit.

„Mit der Zeit wurden die Aufgaben spannender – auch, weil ich irgendwann verstand, was wir da eigentlich machen.“
Anna-Maria Dehen fand als Kind die Arbeit im Weinberg langweilig

Denn im Frühjahr 2024 starb ihr Vater Elmar Dehen. Er war Winzer mit Erfahrung, der Betrieb sein Werk. Nach seinem Tod war schnell klar: Anna-Maria muss jetzt einspringen – so gut es geht.

Eigentlich hatte sie andere Pläne. Der Kontakt zu Kundinnen und Kunden gefiel ihr schon früh. Sie dachte über einen Beruf in der Hotellerie nach, half beim Weinverkauf mit und genoss früh den Austausch. Gleichzeitig entdeckte sie in der Schule ihr Interesse an Mathematik und Chemie. Ein Praktikum im Labor folgte, was ihr auf Dauer aber zu monoton gewesen wäre.

Am Ende blieb von allem etwas – und alles floss ein in den Entschluss, Winzerin zu werden. Der Beruf, sagt sie heute, sei genau der richtige für sie. „Weil jeder Tag anders ist.“ Das Handwerk ist zudem naturwissenschaftlich geprägt und ermöglicht viel Kontakt zu Menschen.

Von hier oben hat man eine tolle Aussicht auf den Moselort Müden. An der Sitzbank hängt ein Hinweis auf das Familienweingut von Anna-Maria Dehen.
Aurélie Johann

Dass sie heute als Winzerin tätig ist, hätte man früher nie gedacht: Als Kind hatte sie wenig Lust, im Weinberg zu arbeiten. „Och nee“, sei oft ihre erste Reaktion gewesen, wenn es um Mithilfe ging. Erst später wuchs das Interesse. „Mit der Zeit wurden die Aufgaben spannender – auch, weil ich irgendwann verstand, was wir da eigentlich machen.“

Was sie heute im Berufsalltag nicht selbst lösen kann, fängt ihr Umfeld auf. Ein alter Meister vom Weingut Becker Landgraf in Gau-Odernheim hilft ihr ebenso wie Winzerkollegen aus Müden. Es ist kein eingespieltes System, aber ein funktionierendes. Besonders in einem Jahr wie diesem. Die Lese brachte nur 30 Prozent der üblichen Menge – Witterung, Personalmangel, fehlende Erfahrung.

Es ist ein Prozess, alle packen mit an und jeder wächst in seine Rolle hinein

Doch die Familie hält zusammen. Ihre Mutter führt den Betrieb mit ruhiger Hand. Die beiden Schwestern helfen mit – obwohl sie eigene Wege gehen: eine als Erzieherin, eine als Macaron-Bäckerin. Ihr Partner Tim steht an Anna-Marias Seite, unterstützt, wo er kann. Auch seine Eltern, Freunde und Bekannte bringen sich ein, sei es bei der Ernte, im Verkauf oder beim Abfüllen.

Noch sei es ein Lernprozess, sagt Dehen. Jeder müsse seine Rolle erst finden – auch sie selbst. Niemand tue das mit Leichtigkeit, aber alle mit Bereitschaft. Die Übergangszeit sei nicht einfach, aber sie sei machbar.

Im Sommer 2025 wagte sie sich erstmals allein auf die Bühne: Beim Festival Electronic Wine in Koblenz präsentierte sie ihren eigenen Wein – selbstständig entwickelt, ohne Notizen oder Rezept vom Vater. „Learning by doing“, wie sie sagt. Mischen, probieren, nachjustieren.

Der Festivalbesuch gab ihr Energie. Endlich wieder Kundenkontakt, Gespräche, Rückmeldungen. Es ist das, was ihr neben der Kellerarbeit am meisten liegt. „Ich habe viel gelernt – nicht nur über Wein, sondern auch über mich selbst“, sagt sie.

Im Moment geht es vor allem um Stabilität. Trotz aller Herausforderungen bleibt sie nicht stehen. Und dann der Satz, den man ihr sofort glaubt: „Ich habe gemerkt, dass ich stärker bin, als ich dachte.“ In ihrer Stimme liegt keine Bitterkeit, sondern Stolz. Auch Dankbarkeit. Für die Familie. Für Freunde. Für das Dorf, das trägt. Für den Partner, der da ist.

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