Es ist Donnerstagabend. In einem Unterrichtsraum der Moselakademie in der Cochemer Ravenéstraße gruppieren sich zahlreiche Stühle um einen großen Tisch. Nach und nach wird sich der Raum mit Menschen füllen. Die, die später kommen, müssen sich sogar zusätzliche Sitzgelegenheiten aus angrenzenden Räumen besorgen.
Gemeinschafts- und Heimatgefühl vermitteln
Auf Initiative von Ivanna Eisfeld und Liliia Iskrenko treffen sich hier seit einem Jahr Menschen, die vor dem Krieg aus der Ukraine geflüchtet sind, um sich auszutauschen, drängende Fragen zu klären, oder einfach, um ein Gefühl von Heimat zu spüren, das sich zwangsläufig einstellt, wenn man sich mit Landsleuten in seiner Muttersprache unterhalten kann. „Die Leute kommen aus den verschiedensten Ecken des Landes, aber sie sind froh, dass sie sich gegenseitig haben und hier zusammenkommen“, sagt Ivanna Eisfeld.
Die Ukrainerin lebt schon lange in Cochem, spricht fließend Deutsch. An ihren Sprachkenntnissen wollte sie ihre geflüchteten Landsleute teilhaben lassen, ihnen bei Fragen helfend zur Seite stehen. Das war der ursprüngliche Grund, aus dem die Treffen in der Moselakademie ins Leben gerufen wurden.
Es gibt uns das Gefühl von Heimat, wenn wir zusammen sind und etwas gemeinsam machen.
Lyudmyla Prydybaylo
Seitdem werden Donnerstagsabends aber nicht nur aktuelle Probleme besprochen, sondern man verabredet sich beispielsweise zum gemeinsamen Singen, Tanzen und Turnen. „Inzwischen gibt es ein großes Angebot von und für Ukrainer“, erklärt Eisfeld. Unter anderem hat sich ein Frauenchor gebildet sowie diverse Tanz- und Turngruppen für Erwachsene und Kinder. „Es gibt uns das Gefühl von Heimat, wenn wir zusammen sind und etwas gemeinsam machen“, sagt Lyudmyla Prydybaylo.
Die 60-Jährige singt selbst im Frauenchor und auch die Volkstanzgruppe hat sie bei öffentlichen Auftritten schon verstärkt. Seit Neuestem leitet sie einen Yogakurs. „Es geht auch darum, Ängste zu überwinden und sich gegenseitig zu helfen“, lässt sie durch Ivanna Eisfeld übersetzen. Viele Teilnehmer des Abends besuchen bereits einen Sprachkurs, doch nicht alle können sich schon in der neuen Heimat verständigen. Deshalb ist es besonders wichtig, sich aufeinander verlassen zu können und zu wissen, dass jemand da ist, der hilft.
Heiße Themen: Arbeit und Wohnungen
An diesem Donnerstag gibt es vor allem zwei Themen, die heiß diskutiert werden. Es geht um Arbeit und Wohnungen. Mit einigen Frauen besuchten Eisfeld und Iskrenko zum Anfang des Monats einige Betriebe, die noch Mitarbeiter suchen. „Man macht es uns leicht, denn es gib sehr einfach gestaltete Bewerbungsbögen, die die Arbeitssuchenden nur ausfüllen müssen“, sagt Eisfeld. Obwohl die meisten Anwesenden für die Angebote überqualifiziert sind, sind sie hoch motiviert, auch wenn der Job nicht ganz der beruflichen Qualifikation entspricht.
Eigenes Geld zu verdienen, um sich eine eigene Wohnung leisten zu können: Das ist es, was die meisten sich wünschen. Zumindest solange sie hier sind. Ob sie, wenn der Krieg zu Ende ist, wieder zurückgehen? Das hängt davon ab, wer gewinnt, lautet die einhellige Antwort. „Unter russischem Regime werde ich keinesfalls zurückgehen“, betont eine Teilnehmerin und erntet zustimmendes Kopfnicken.
Unter russischem Regime werde ich keinesfalls zurückgehen.
Eine ukrainische Frau, die bei dem Treffen dabei war.
Was dennoch allen wichtig ist: die Landsleute in der Heimat zu unterstützen und zu helfen, so gut es geht. „Wir haben schon zahlreiche Aktionen gemacht, dabei Geld und Sachspenden gesammelt und in die Ukraine geschickt“, sagt Eisfeld. Ein wichtigster Aspekt für die Ehrenamtler ist, dass die Hilfstransporte auch wirklich da ankommen, wo sie ankommen sollen. „Wir haben direkte Kontakte über Freunde und Familie und lassen die Übergabe der Spenden dokumentieren“, erklärt sie.
Verein zum Ukrainefrieden gegründet
Damit die Spendenaktionen auf einem sicheren Fundament stehen, wurde jüngst auch der Verein „Ehrenamt für Ukrainefrieden“ gegründet. „Der Verein dient auch dazu, die Energie der Einzelnen zu bündeln, damit nicht jeder für sich allein kämpft“, sagt die Organisatorin.
Eine eigens für das Treffen vorbereitete Präsentation führt den Teilnehmern vor Augen, was sie bereits alles geleistet haben. Eine Fotoausstellung im vorigen Jahr informierte die Besucher über die Zustände im Kriegsgebiet. Durch den Verkauf von Bildern und selbst hergestellten Schutzengeln konnten Medikamente gekauft und in die Heimat geschickt werden. Sachspenden, die nicht direkt verwertbar waren, wurden auf Flohmärkten veräußert und der Erlös ebenfalls für Hilfsgüter verwendet. Rund 8500 Euro konnten so in haltbare Lebensmittel, Arzneimittel und Sachgüter investiert werden. „Fotos und Dankschreiben beweisen, dass die Sachen auch angekommen sind“, bestätigt Eisfeld.
Auch wenn sich bei den Geflüchteten fast alles um Hilfe für ihr Heimatland dreht, helfen sie sich auch gegenseitig. Olha Haievska ist eine von drei Psychologinnen aus der Gruppe, die professionelle Therapie für traumatisierte Kinder und Erwachsene anbietet. Gemeinsame Wanderungen oder Grillnachmittage stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl untereinander. Den Geflüchteten ist es wichtig, mit ihren Kräften zu haushalten, damit weiterhin geholfen werden kann. Der größte Wunsch aller geflüchteten Ukrainer ist natürlich das baldige Ende des Kriegs in der Heimat. Die Hoffnung darauf geben sie noch lange nicht auf.
Sachspenden für die Ukrainehilfe werden mittwochs zwischen 14 und 16 Uhr in der Grundschule Cochem angenommen.