„Waidmannsheil“ ertönt es etwa alle 50 Meter, wenn sich ein Jäger absetzt, um seinen zugewiesenen Platz im Wald einzunehmen. In Signalfarben, vorrangig strahlendes Orange, sind die etwa 50 Jäger gekleidet, die immer grüppchenweise einen kleinen Spaziergang durch den Wald antreten. Bereits Tage vor der Gesellschaftsjagd wurden sie in Gruppen unterteilt, in welchen sie jeweils Plätze im Jagdrevier zugeteilt bekommen haben. An jene führt sie der Gruppenleiter am Montagmorgen, nachdem die Jagd mit Klängen von Jagdhörnern und einer Rede des Revierleiters eingeleitet wurde.
Vor einem steilen Hang bleibt die Gruppe stehen. „Eigentlich wollte ich keinen Hang“, meint Josi Becker, nachdem seine Jägerfreunde weiterlaufen. Schnell wird klar warum: Der Weg nach oben ist steil, rutschig, nicht gerade einfach zu erklimmen. Wer nicht aufpasst, könnte abrutschen. Hin und wieder hilft ein moosbewachsener Ast oder Baumstamm dabei, Halt zu finden, an manchen Stellen ist der Gleichgewichtssinn dafür aber umso mehr gefordert. Der Gedanke, nach drei Stunden wieder herunterzulaufen: schwindelerregend.
Die Jagd beginnt
Um seinen Dreibeinhocker standfest abzustellen, gräbt Josi Becker erst einmal eine kleine Kuhle in den Waldboden – auf dem Campingstuhl gleich daneben sitzt es sich für Laien sicherer, schließlich hat dieser gleich einen dicken Baumstamm im Rücken. Sechs Grad sind es an diesem Morgen – kein gemütliches Wetter, um sich in den Wald zu setzen und erst einmal zu warten. Aber mehrere Schichten Kleidung und Jacken helfen dabei, zumindest nicht von Anfang an zu frieren.
Jagdbeginn: 10.30 Uhr. „Ab jetzt darf geschossen werden“, sagt Josi Becker leise. Noch ist kein Schuss zu hören. Etwa anderthalb Stunden vorher wurde festgelegt, worauf heute gejagt werden darf: Schwarzwild, also Wildschweine, bis 50 Kilogramm, Rehe und junges Rotwild, auch wenn letztere im Moselhang nicht allzu viel vertreten seien. Begonnen haben die Drückjagden bereits Ende Oktober und bis Ende Januar halten sie an.
Das ist dann für mich aus wildbiologischer Sicht ein ungünstiger Zeitpunk, um Rehe zu schießen.
Josi Becker hat einen klaren Standpunkt zu Drückjagden im Januar.
Josi Becker hat dazu jedoch einen klaren Standpunkt: „Ich persönlich gehe im Januar nur noch auf Drückjagden, bei welchen Sauen gejagt werden. Bei Rehen bin ich raus.“ Der Grund: Im Juli und August haben diese ihre Blattzeit, zu welcher sie von einem Rehbock begattet werden. Von hier an bis Ende des Jahres setzt eine Eiruhe ein, das heißt, der Entwicklungsprozess in der Gebärmutter wird bis Ende des Jahres unterbrochen. Dieser geht dann im Januar wieder weiter. „Das ist dann für mich aus wildbiologischer Sicht ein ungünstiger Zeitpunk, um Rehe zu schießen“, so Becker.
„Hopp, hopp“, „hey hey“ und lautes Hundebellen, das durch den Wald schallt – kurz darauf ein Schuss. „Das war ein Gewehr mit Schalldämpfer“, merkt Becker an. Das Gewehr, das er in der Hand hält, hat keinen Schalldämpfer. Das erklärt, weshalb der Jäger einen Ohrenschutz (ebenfalls orangefarben) auf dem Kopf sitzen hat. Der Lärm, den die Treiber und Hunde mit Rufen, Bellen, manchmal sogar mit den Lauten einer Vuvuzela erzeugen, erfüllt gleich zwei Zwecke: Erstens bringt es das Wild auf seine Läufe, die Waldbewohner schrecken also aus ihren Verstecken auf, rennen los.
Durch das ‚Geläut‘ der Hunde merken die Jäger, wo das Treiben herkommt.
Josi Becker
Zweitens, und dieser ist ebenso entscheidend: „Durch das ‚Geläut‘ der Hunde merken die Jäger, wo das Treiben herkommt“, erklärt Josi Becker. Die Hunde bellen, sobald sie eine Fährte oder Spur aufgenommen haben. Dieses Bellen unterscheidet sich jedoch deutlich von einem ‚normalen‘ Hundebellen: Es ist nicht dunkel und bedrohlich, stattdessen hell und klingt, als sei es mit einem Jaulen oder Heulen vermischt. „Spurlaut“ nennt man diese Art von Bellen auch.
„Wenn ein Jagdhund so einen Spurlaut von sich gibt, wenn er klein ist, geht das Herz von jedem Jäger auf“, so Becker, denn die Eigenschaft hat lange nicht jeder Hund, sie ist angeboren. Daran kann bei Jagden wie dieser schneller und einfacher erkannt werden, wohin das Wild, ob Reh, Hirsch oder Sau, flieht. „Das ist für uns Jäger, aber auch für das Wild einfacher und stressfreier“, betont Becker. Denn es gibt auch Hunde, die stumm jagen.
10.48 Uhr: Im Laub raschelt und knackt es. Ein Blick nach links verrät: Rotwild. Das erste Tier, das an diesem Montagmorgen von Josi Beckers Standort aus gesehen werden kann, trabt an ihm vorbei. Nicht im rasanten Tempo, dafür aber in einem ungünstigen Winkel. Denn schießen darf der Jäger nur dort, wo auch gewachsener Boden ist, wo die Kugel bei einem Durchschuss nicht irgendwo landen kann, was nicht vorhersehbar ist. Zumal dieses Tier in dauerhafter Bewegung ist. Drei Minuten später taucht unterhalb, auf dem Gehweg, auf dem an diesem Morgen kein Spaziergänger unterwegs ist, ein weiteres Stück Rotwild auf.
Doch auch dieses ist ebenso schnell wieder außer Sichtweite, wie es aufgetaucht ist. Menschen kann im Fall einer Treib- oder Drückjagd der Spaziergang oder die Radtour durch den Wald übrigens nicht verboten werden. Da es aber Ende November ist, ein Tag, an dem der Himmel von grauen Nebelschwaden und Wolken bedeckt ist, es teilweise sogar regnet, und ein Montagmorgen, sind diese eher unwahrscheinlich. Dennoch: Vorsicht ist geboten. Denn auch, wenn die Jäger in Signalfarben sich selbst füreinander sichtbar machen, können sie lange nicht davon ausgehen, dass auch jeder Spaziergänger oder Radfahrer in Neonfarben gekleidet ist.
Der perfekte Moment?
Hin und wieder raschelt es im Wald: Wenn man so gespannt auf das Auftauchen eines Rehs oder Wildschweins wartet, kann man schon einmal ein wenig paranoid werden. Denn stellt sich das Rascheln, nach dem der Blick aufmerksam über den steilen Hang gleitet, nur als Blatt heraus, das dem Herbst geschuldet ist und vom Baum gefallen ist. Und dennoch: Plötzlich stakst ein Reh über den Hang. Vorsichtig setzt es einen Fuß vor den anderen, bis es den Jäger, der gerade sein Gewehr auf es richten will, entdeckt.
Ein kurzer Moment der Schockstarre, dann springt es jedoch im Galopptempo davon. „Fast“, schmunzelt Josi Becker. Auch, wenn er anfangs nicht allzu glücklich über den Steilhang war, meint er jetzt überzeugt: „Diese Stelle macht durchaus Sinn. Man nennt sie nämlich auch Wechsel. Das liegt daran, dass die Tiere oft genau die gleiche Brücke nimmt, die auch ihre Artgenossen nehmen“, merkt er an. Kurz darauf der lebende Beweis: Hunde bellen laut und hell, dasselbe Reh sprintet zurück – und nimmt die gleiche Strecke über den gleichen Wechsel, direkt vor Josi Beckers Nase.
Obwohl ihm diesmal eigentlich klar war, dass das Reh vor ihm entlangspringen würde, behält er es sich vor, durch das Zielrohr seines Gewehrs zu schauen. „Wenn die Hunde so laut und nah sind, muss man aufpassen: Manche verfolgen das Wild dann ziemlich nah und es könnte zu gefährlich sein, in so einem Moment zu schießen“, erklärt der Jäger.
Hat der Jäger nicht geschossen, hat er die Jagd trotzdem genossen.
Sprichwort unter Jägern
Es ist der letzte Waldbewohner, den Josi Becker an diesem Jagdtag sieht. Der letzte lebendige jedenfalls. Nur ein junger Jagdhund, eine acht Monate alte Bracke, verirrt sich zu ihm und unserer Reporterin, um es sich dort auf dem Schoß gemütlich zu machen. Kurz darauf, um 13.30 Uhr, drei Stunden nach Start der Jagd, verkündet der Jagdleiter aus seinem Auto: „Die Jagd ist vorbei!“
Daraufhin packt auch Becker alles zusammen: Die Waffe, seinen orangefarbenen Pullover, seinen Dreibeinhocker und den Campingstuhl. Dann heißt es tief durchatmen: Den Weg, der eben im Steilhang erklommen wurde, geht es nun hinunter. „Immer auf den Hintern fallen lassen, wenn man stolpert“, merkt Josi Becker an. Etwa 15 Minuten später am Auto angelangt, geht es dann zurück zur Schutzhütte. Hier sammeln sich alle Jäger, die unterwegs waren. „Die, die zuerst zurück sind, haben meistens nichts geschossen“, bemerkt einer der Jäger schmunzelnd. Ein anderer sagt zur gemeinsamen Feststellung: „Hat der Jäger nicht geschossen, hat er die Jagd trotzdem genossen.“
Am Ende der Jagd ist aber dennoch einiges zusammengekommen: 13 Wildschweine, ein Reh und ein Rotwild – letzteres liegt jedoch noch im Wald, auf der anderen Seite eines steilen Hanges, muss noch geborgen werden. Für einen Jäger alleine nahezu unmöglich, denn das Tier wiegt 80 Kilogramm. Josi Becker kann helfen: Sein Geländewagen, ein Land Rover, hat eine Winde. Mit zwei Autos und einem fünfköpfigen Team fahren die Jäger also wieder los.
Ein kurzer Blick durch die Bäume hindurch und schon entdecken sie das geschossene Stück Rotwild: ein einjähriger Hirsch. Drei Jäger klettern bereits den Hang hinunter und ziehen den leblosen Körper den Hang auf der anderen Seite hinunter ins Tal, wo ihnen ein vierter bereits entgegenkommt. In der Hand hat er ein Seil, das an der Winde an Beckers Auto befestigt ist. Das Rotwild wird umschlungen, und schon kann es losgehen: Hin und wieder muss Josi Becker auf das Gaspedal drücken, damit die mechanische Vorrichtung besser läuft. Langsam, dafür aber sicher kommen die vier Jäger samt Rotwild oben an: Beim Anblick des geschossenen Wilds scheinen sie allesamt stolz.
So stolz, dass sie den 80 Kilogramm schweren Körper auf die Motorhaube des Land Rovers von Josi Becker heben, mit viel Mühe, aber schließlich können die Jäger nun zurückkehren zur versammelten Mannschaft – mit einem kurzen Schockmoment, denn der zweite Land Rover des Jungjägers kippt im Rückwärtsgang beinahe den Hang hinunter. Selbst, wenn man also selbst nichts geschossen hat, kann ein Jagdtag wie dieser viel Action bringen, stellt auch Josi Becker fest, bevor die Jagd schließlich mit Jagdhörnern abgeblasen wird.