Implantat im Ohr
46-Jährige aus Liesenich muss neu hören lernen
Stephanie Hansen ist taub. Um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen, möchte sie eine Selbsthilfegruppe gründen.
Ulrike Platten-Wirtz

Stephanie Hansen ist taub. Um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen, möchte sie eine Selbsthilfegruppe in der Region gründen. Mit unserer Zeitung spricht die Hörgeschädigte über die Herausforderungen in ihrem Alltag.

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Äußerlich ist ihr die Beeinträchtigung nicht anzusehen. Lediglich ein schwarzer Knopf hinter jedem Ohr lässt vermuten, dass Stephanie Hansen hörgeschädigt ist. Die 46-Jährige aus Liesenich ist seit drei Jahren taub. „Als Dreijährige hatte ich die Masern, danach fing es an“, erklärt Stephanie Hansen. Das Kind hörte dann zunehmend schlechter, bis die Erwachsene vor rund drei Jahren komplett ertaubt ist.

Mit unserer Zeitung spricht sie über die Herausforderungen von Hörgeschädigten im Alltag sowie über ihren Wunsch, eine Selbsthilfegruppe für Betroffene in der Region zu gründen.

„Ein Hörgerät verstärkt die Geräusche aus der Umgebung, und zwar alle.“
Stephanie Hansen

Als Schülerin war es für Stephanie Hansen nicht leicht, dem Unterricht zu folgen. Denn trotz Hörgeräten, die „damals noch nicht so weit entwickelt waren wie heute“, strengte sie das aktive Zuhören sehr an. „Ein Hörgerät verstärkt die Geräusche aus der Umgebung, und zwar alle“, sagt sie. Für Stephanie Hansen war das Rascheln von Papier also genauso laut wie das, was der Lehrer an der Tafel sagte.

Eine Herausforderung für ein Kind, das nicht beiläufig hört, sondern aktiv daran arbeiten muss, andere zu verstehen. Sie decodiert, liest von den Lippen ab, analysiert und erspürt Stimmungen. Das aktive Zuhören ist für Hörgeschädigte sehr anstrengend und führt schnell zur Erschöpfung. Anfangs hat Stephanie Hansen alle sechs Jahre ein neues Hörgerät bekommen. „Die wurden zwar immer besser, aber kein Vergleich zu dem, was ich jetzt habe“, sagt sie.

Der Sprachprozessor als externes Teil des Implantats ist für andere Menschen sichtbar.
Ulrike Platten-Wirtz

Auf Anfrage beim Regionalverband der Cochlea Implantat Gesellschaft Hessen-Rhein-Main teilt der Vorsitzende Michael Schwaninger mit: „Die Technik entwickelt sich rasant weiter, schnellere Chips, bessere medizinische Qualität, bessere Nachsorge nach der OP. Die frühere Erkennung von Hörstörungen und besser aufgeklärte Patienten haben die Versorgung definitiv verbessert. Das Indikationsspektrum hat sich deutlich erweitert, sodass heute auch mehr Patienten versorgt werden können.“

Vor eineinhalb Jahren hat Stephanie Hansen sich das erste Cochlea-Implantat einsetzen lassen. Das zweite vor neun Monaten. Cochlea ist die lateinische Bezeichnung für die Hörschnecke, die im menschlichen Ohr Schallwellen in elektrische Impulse umwandelt, die ans Gehirn weitergeleitet werden.

„Das ist Teil des Problems, dass man Ertaubten oder Gehörlosen die Beeinträchtigung nicht ansieht.“
Stephanie Hansen

Das Implantat, das hinter dem Ohr unter der Haut eingesetzt wird, umgeht die beim Ertaubten geschädigten Haarzellen und sendet die fürs Hören erforderlichen Informationen direkt an den Hörnerv. Die zweite Komponente, der externe Teil, also die sichtbaren schwarzen Knöpfe hinter den Ohren, sind – einfach erklärt – Mikrofon, Sprachprozessor und Batterie beziehungsweise Akku. Zu sehen sind die Knöpfe auch nur dann, wenn Stephanie Hansen die Haare nicht offen trägt. „Das ist Teil des Problems, dass man Ertaubten oder Gehörlosen die Beeinträchtigung nicht ansieht“, sagt Hansen.

Ein Implantat übernimmt die Funktion des Ohrs

Das Implantat übernimmt nun die natürliche Funktion ihres Ohrs. Doch trotz dieses technischen Wunderwerks muss Stephanie Hansen das Hören, das für gesunde Menschen selbstverständlich ist, ganz neu erlernen. „Man denkt, dass mit dem Einsetzen der Implantate alles erledigt ist, doch Hören ist das eine, Verstehen das andere“, sagt sie.

Täglich trainiert sie mit einer speziellen App, wie Wörter ausgesprochen werden, und wiederholt diese dann mehrmals. Stephanie Hansen ist ehrgeizig und übt eifrig. Ihre Aussprache unterscheidet sich nicht von der eines Normalhörenden.

Als ihr die Tasche vom Beifahrersitz rutscht, denkt sie, das Auto sei kaputt

Das Hörimplantat hat ihr ein neues Lebensgefühl geschenkt. „Das, was ich vorher mit den Hörgeräten gehört habe, war vollkommen anderes als das, was ich jetzt höre“, sagt sie. Das Geräusch von Regen, der im Fallrohr nach unten läuft, war ihr völlig fremd. „Und als mir beim Autofahren die Tasche vom Beifahrersitz gerutscht ist, wusste ich nicht, was das war. Es hat für mich so laut geknallt, dass ich wieder nach Hause gefahren bin und zu meinem Vater gesagt habe, das Auto ist kaputt.“

Inzwischen kann Stephanie über solche Ereignisse schmunzeln. Auch darüber, dass sie bei Gesprächen, an denen mehrere Personen beteiligt sind, oft Wörter falsch versteht. Eine ebenfalls hörgeschädigte Freundin hat einmal aufgeschrieben: „Höflich nicke ich, während ich nur die Hälfte verstand. Ich hörte Katzenklo, obwohl vom Kassenbon die Rede war, und wunderte mich über die skurrile Wendung des Gesprächs.“

Ihren Humor hat Stephanie Hansen trotz ihres schwierigen Alltags nicht verloren. Ihren Beruf als Erzieherin kann sie allerdings schon lange nicht mehr ausüben.

Dankbar für die Wunder der Technik

Dank der Implantate schätzt sie die neu gewonnene Freiheit zu hören. „Früher konnte ich beispielsweise keine synchronisierten Filme anschauen, da das Mundbild nicht zu dem Gesprochenen gepasst hat. Ich konnte das dann nicht verstehen“, sagt sie. Auch wenn es anstrengend ist, hören neu zu erlernen, ist Stephanie Hansen dankbar für „das Wunder der Technik“.

Selbsthilfegruppe soll Betroffenen Mut machen

Vor einiger Zeit hat Stephanie Hansen sich einer Selbsthilfegruppe angeschlossen. „Allerdings ist die in Frankfurt. Ich fühle mich dort zwar sehr wohl, aber immer so weit zu fahren, ist mir dann doch oft zu viel“, gesteht sie. Deshalb möchte Stephanie Hansen in der Region eine eigene Selbsthilfegruppe gründen. Einen Namen gibt es schon: „Fo(h)rum Hören Rhein-Hunsrück-Mosel“. Ziel ist es, mit anderen Betroffenen gemeinsam etwas zu unternehmen, Geselligkeit zu erleben, Erfahrungen auszutauschen und einfach Spaß zu haben. Das erste Treffen soll im Alten Stadttor in Kastellaun sein. Termin und Uhrzeit stehen noch nicht fest.

Betroffene, die interessiert sind, können sich anmelden unter E-Mail fohrumhoeren@web.de oder bei Instagram fohrumhoeren

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