Der Landrat von Bernkastel-Wittlich, Gregor Eibes, macht den Artikel nur wenig später zum Thema im Kreistag und wendet sich in einem offenen Brief an die Herausgeber der Zeitung, um eine Entschuldigung einzufordern. Doch der Bericht bewirkt weit mehr: Er tritt eine Diskussion über die Tourismusqualität los, wie sie die Moselregion bis dato nicht erlebte. Seitdem hat sich viel geändert. Ob nun alles in Butter ist – darüber redet unsere Zeitung mit FAZ-Redakteur Jakob Strobel y Serra und Simone Röhr, Geschäftsführerin der Regionalinitiative Mosel.
Herr Strobel y Serra, wann waren Sie zuletzt an der Mosel?
Jakob Strobel y Serra: Das ist erst ein paar Wochen her. Da war ich bei Christian Bau im Victor’s Fine Dining (Drei-Sterne-Restaurant in Perl/Saarland) essen. Er feierte das 25. Jubiläum seines Restaurants und hatte ein paar Freunde des Hauses eingeladen. Dort habe ich mit meiner Frau einen fantastischen Abend verbracht. Bau zählt für mich zurzeit mit Clemens Rambichler (3-Sterne-Restaurant Waldhotel Sonnora in Dreis) zur absoluten Nummer eins in Deutschland. Ich hatte aber leider nicht viel Zeit und bin der Mosel untreu geworden und weiter an die Saar gefahren zum Weingut von Othegraven von Günther Jauch.
Jakob Strobel y Serra: Schreibt über das Potenzial der Mosel
Jakob Strobel y Serra, Jahrgang 1966, ist ein deutscher Reisejournalist und Autor. Während des Studiums schrieb er als freier Mitarbeiter für verschiedene Tageszeitungen und war für das ZDF-Studio Madrid ebenso tätig wie für das katalanische Fernsehen in Barcelona, der Heimatstadt seiner Mutter. 1993 erhielt er bei der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) eine Stelle als Redakteur. Seit 2016 ist er dort stellvertretender Leiter des Feuilletons. Am 28. August 2013 erschien in der FAZ der Artikel: „Der Schönheit wohnt der Schrecken inne“. Er löste große Empörung und eine lang anhaltende Diskussion an der Mosel aus.
Die Saar gehört ja auch zum Anbaugebiet Mosel.
Jakob Strobel y Serra: Im weiteren Sinne ja.
Sie haben vor zehn Jahren nach der Veröffentlichung Ihres Textes in der FAZ „Der Schönheit wohnt der Schrecken inne“ viel Prügel von den Moselanern bezogen. Wie sehr hat Ihnen das wehgetan?
Jakob Strobel y Serra: Als Journalist ist man gewohnt, Prügel zu beziehen. Es kommt immer darauf an, in welcher Art und Weise. In der Diskussion war keine Häme, ganz wenig Unsachliches, ganz wenig Persönliches oder Polemisches. Es war eher eine Verteidigung der Mosel. Ich habe gespürt, dass ich einen wunden Punkt getroffen habe. Die Prügel war diejenige eines Menschen, der „Aua“ sagt, weil man den Finger in die Wunde legt. Es ging immer um Inhalte, und das hat mich sehr beeindruckt. In den Tagen und Wochen danach hat sich die Debatte in Richtung einer konstruktiven Auseinandersetzung entwickelt.
Frau Röhr, Herr Strobel y Serra betitelte in seinem Text damals die Moselaner provokant als Moselochsen. Wie viel Moselochse steckt in Ihnen?
Simone Röhr: Das ist eine gute Frage. Ich lebe in Wittlich und bin dort aufgewachsen und würde auf jeden Fall sagen: Ein Ochse ist auch in mir drin. Ich glaube, wir sind schon sehr stolze Menschen. Aber ich glaube, wir können ganz gut reflektieren, wenn uns jemand den Spiegel vorhält. Ich vermute, ein bisschen Ochse steckt in jedem Moselaner. Es gibt ja Menschen, die behaupten ,enges Tal, enger Blick’ – ich denke, da ist was Wahres dran. Manchmal müssen wir über den Berg hinausschauen und uns öffnen. Und daher ist es nicht schlimm, wenn uns Leute immer wieder anstupsen, damit wir offener mit den Dingen umgehen, die uns beschäftigen oder uns belasten.
Simone Röhr: Sie setzt die Mosel in Szene
Simone Röhr, Jahrgang 1970, ist seit 2019 Geschäftsführerin der Regionalinitiative Faszination Mosel. Die Marketingorganisation verbindet touristische Themen miteinander. Röhr initiiert jedes Jahr den Moselkongress, der stets unter einem anderen Motto steht. Zehn Jahre nach Erscheinen des FAZ-Artikels „Der Schönheit wohnt der Schrecken inne“ von Autor Jakob Strobel y Serra hat sich Simone Röhr das Thema „Mosel im Wandel: Ideen, Engagement und Visionen für eine nachhaltige Region!“ vorgenommen. Beim Moselkongress am 8. November werden dazu sieben Akteure ausgezeichnet, die mit ihren Projekten und Ideen die Moselregion zukunftsfähig gestalten.
Jakob Strobel y Serra: Übrigens, in der griechischen Mythologie ist der Ochse, der Taurus, der Stier, ein hoch angesehenes Tier. Das sollte man nicht vergessen.
Herr Strobel: Wie sehen Sie denn die Mosel und ihre Menschen heute? Was hat sich aus Ihrer Sicht getan? Haben die Moselaner dazugelernt?
Jakob Strobel y Serra: Ich muss vorausschicken, dass ich die Mosel bisher nicht mehr komplett abgefahren bin. Es sind punktuelle Besuche, das heißt, meine Erfahrungen sind eher anekdotischer Art. Ich muss gestehen, jedes Mal, wenn ich an die Mosel gekommen bin, habe ich mich gewundert, wie viel geschehen ist. Nicht nur in den Köpfen. Ich habe sehr oft den Eindruck gehabt, dass mein Text Anstöße gegeben hat, nachzudenken, zu reflektieren und zu überlegen, was man besser machen könnte. Ich bin sehr erstaunt, dass an allen Ecken und Enden der touristischen Infrastruktur einiges passiert.
Eine Anekdote: Als ich zu Thomas Schanz nach Piesport wegen seines dritten Sterns gefahren bin, war ich erstaunt: Am Ortseingang waren nicht mehr die Weinköniginnen auf einem Schild zu sehen, sondern er. Das ist eine Geste, die ich so nirgendwo gesehen habe. Diese Episode hat mir gezeigt, wie sehr die Menschen an der Mosel verstanden haben, was ein dritter Stern für Thomas Schanz bedeutet.
Simone Röhr: Die junge Generation unternimmt einiges. Durch Ihren Artikel, Herr Strobel, ist ja auch ein Stück weit das Weinevent Mythos Mosel entstanden. Es ist ganz wichtig, dass die junge Generation nicht mehr diesen engen Blick hat. Dass sie gemeinschaftlich handelt. Diese Gemeinschaft beobachte ich bei Winzern, Gastronomen, regionalen Produzenten. Ich glaube, da liegt das Geheimnis in der Zukunft Mosel. Das Verbinden von verschiedenen Elementen. Das betrifft nicht nur die Menschen, die hier leben, sondern strahlt auch auf die Urlauber in der Region aus.
Herr Strobel, was ist aus Ihrer Sicht noch notwendig, um aus der Mosel die Genussregion Nummer eins in Deutschland zu machen?
Jakob Strobel y Serra: Das ist ein sehr weiter Weg. Die Idee, die gut funktioniert, ist die: noch mehr die Mosel als Einheit begreifen, noch mehr eine Weltmarke aus der Mosel machen. Dafür braucht man eine flächendeckende Infrastruktur, und zwar auf verschiedenen Ebenen. Sie müssen für den reichen Amerikaner oder Asiaten, der bereit ist, pro Tag 1000 Dollar auszugeben, eine Infrastruktur vorhalten. Aber ebenso für den Menschen, der sich mit 150 Euro bescheidet. Es ist ein schwieriger Prozess. Er funktioniert nur, wenn man verstanden hat, dass man als Moselaner auftritt und nicht als Piesporter oder Traben-Trarbacher oder, oder. Die Mosel ist außerhalb Deutschlands noch viel zu selten ein Ziel. Weintourismus ist meiner Meinung nach einer der ganz großen Trends der Zukunft. Das wird Ihnen in die Hände spielen. Sie können noch viel, viel mehr machen.
Heißt das, noch mehr Leuchtturmprojekte schaffen wie das Großprojekt, das Markus Molitor in Bernkastel-Wehlen plant? Oder sich ein Beispiel an der Vinothek von Van Volxem in Wiltingen nehmen?
Jakob Strobel y Serra: Unbedingt. Sie müssen eine Perlenschnur von solchen Projekten haben. Sodass der Tourist sagt: Ich lande in Frankfurt, fahre am Dienstag zu Markus Molitor, am Mittwoch zu Roman Niewodniczanski (Van Volxem) und am Donnerstag nach Trier. Sie müssen eine größere Anzahl von diesen Dingen haben, damit die Leute kommen und sagen: Mensch, das rentiert sich.
Simone Röhr: Wir haben die Leuchttürme ja. Auch das Thema Natur und Landschaft ist ein Leuchtturm. Das Thema Artenvielfalt. Wir haben das Potenzial. Wir haben das alles, wir müssen es nur sichtbarer machen und weitere Investitionen ermöglichen. Wir müssen uns als eine Region, als eine Mosel sehen. Nur weil die Mosel so lang gezogen ist, verliert man sich da manchmal aus den Augen.
Jakob Strobel y Serra: In einer Sache möchte ich Ihnen widersprechen: Die Topografie der Mosel ist kein Malus, das ist ein Bonus. Es ist eine sehr schöne Art des Reisens. Wenn Sie als Tourist noch die Möglichkeit hätten, eine Attraktion nach der anderen zu besuchen, hätten Sie gewonnen. Dann hätten Sie etwas, was kein anderes Weinanbaugebiet Deutschlands in dieser Intensität bietet.
Frau Röhr, glauben Sie, dass dieser Artikel und die damit verbundene Empörung nötig waren, damit die Moselaner ihr touristisches und gastronomisches Angebot ernsthaft hinterfragen? Oder wären die heute verbesserten Angebote in Hotellerie und Gastronomie ohnehin ins Rollen gekommen?
Simone Röhr: Das wäre ohnehin gekommen. So ist es etwas früher passiert. Man trifft immer mehr jüngere Leute bei Veranstaltungen. Straßen- und Heimatfeste stellen sich neu auf. Aus der Diskussion ist etwas entstanden, auch wenn es erst mal nur eine Diskussion war. Eine sachliche Empörung. Aber man hat sich mit dem Thema beschäftigt.
Welche Überschrift hätte heute ein Artikel über die Mosel aus Ihrer Feder, Herr Strobel?
Jakob Strobel y Serra: Das kann ich Ihnen sagen, wenn ich wieder mal die ganze Mosel abgefahren bin. Vielleicht würde dann da stehen: Dass die Schönheit nun den Schrecken überstrahlt oder dass der Schrecken verblasst ist und die Schönheit immer stärker wird. Ich weiß es nicht genau. Ich müsste eigentlich dieselbe Tour noch einmal machen.
Planen Sie das denn?
Jakob Strobel y Serra: Ich habe es vor. Ich will es unbedingt machen.
Simone Röhr: Ich komme mit, und dann besuchen wir jeden Ort und streiten, was gut ist und was schlecht.