2025 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs vom 8. Mai 1945 zum 80. Mal. Aber welche Folgen hatte der Krieg im psychologischen Sinne für die Betroffenen und warum brechen sich bis heute noch Kriegstraumata in den Generationen ihren Weg? Wir haben dazu mit der Weyerbuscher Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Birgit Jakobs gesprochen.
Frau Jakobs, was ist dran an der Annahme, dass Großeltern oder Eltern ihre Ängste und Traumata an die nachfolgende Generation weitergegeben haben?
Das ist ein wichtiges Thema, das sie ansprechen. Das nennt sich Transgenerationale Traumatisierung. Man geht davon aus, dass ein Trauma sozusagen immer irgendwelche Spuren hinterlässt und die Dinge sich in irgendeiner Form auch zeigen und nach draußen brechen. Die Generationen sind unterschiedlich mit dem Zweiten Weltkrieg umgegangen. Man geht davon aus, dass ein Viertel der Leute tatsächlich eine posttraumatische Belastungsstörung im klinischen Sinne davon getragen haben. Der Rest schleppt die Folgen mit sich herum. Es hat bei allen Menschen Spuren hinterlassen, egal, ob man aktiv als Soldat im Krieg war, zu Hause geblieben ist oder direkt als Kind davon betroffen war. Weitergegeben in den Familien wird das Kriegstraumata in gewisser Weise schon, man kann davon ausgehen, dass teilweise Symptome als Kind oder Enkelkind entwickelt werden und das erst gar nicht zuzuordnen ist. Das gilt aber für alle Traumata in jeglicher Form, die weitergegeben werden. Je unklarer alles ist, desto schwieriger ist es, die Symptome zuzuordnen. Klar ist aber auch: Mikro-Traumata trägt jeder mit sich herum, das ist das ganz normale Leben. Das kann beispielsweise von Hänseleien in der Schule oder anderen Erlebnissen herrühren.

Welche Symptome gibt es?
Es gibt drei große Symptome in diesem Sinne: Flashbacks, also das Auftreten sogenannter Nachhall-Erinnerungen, hyperarousal, eine ständige innere Übererregung, also eine ständige innere Anspannung, und das Vermeidungsverhalten, also man meidet alles, was damit in Zusammenhang steht.
Wie haben sich die Folgen des Zweiten Weltkriegs ausgeprägt bei den Betroffenen?
Klar ist, so etwas wie der Zweite Weltkrieg hinterlässt immer irgendwelche Spuren bei der nachfolgenden Generation. Gerade die Männer haben nach dem Krieg nicht darüber geredet. Dadurch wussten weder die Frauen noch die Kinder, was eigentlich los ist. Der ein oder andere hat auch angefangen zu trinken, auch das geschah mit Blick auf die Kriegsfolgen. Aber diese Sprachlosigkeit hat sich durchaus immer durchgeschlagen. Die Kinder wussten nicht, woran sie dran sind – es war alles diffus und unklar und man sprach einfach nicht darüber. Die Dinge, über die man nicht spricht, suchen sich schlussendlich immer irgendeinen Weg nach draußen. Die Leute sind natürlich sehr unterschiedlich, es gibt Menschen, die wollten über das Erlebte sprechen. Aber es gibt auch viele, die gar nicht drüber sprechen möchten.

Also werden quasi unbewusst durch das Verhalten der Eltern die Kriegstraumata weitergegeben?
Genau. Wobei ich immer sehr vorsichtig bin, dass da nach dem Motto ein Fatalismus entsteht. Schlimme Dinge gehören zur Realität unseres Lebens. Es wird immer Kriege geben, es wird immer schreckliche Dinge und Ereignisse geben wie Hungersnöte, Pandemien und so weiter. Das gehört dazu und wir müssen damit zurechtkommen. Es ist ja auch irgendwo Normalität. Trotzdem erlebt der eine Mensch manches als besonders schrecklich, während der andere das einfach wegsteckt. Dennoch ist es erstaunlich, was der Mensch alles wegstecken kann und wie er Widrigkeiten trotzen kann.
Was gilt es beim Thema Traumata zu beachten?
Trauma kennt keine Zeit, das muss man unbedingt festhalten. Und das es auch viel später herauskommen kann und gerade dann, wenn man nicht damit rechnet. Man kann so etwas nicht vergessen, es ist ständig unter der Oberfläche. So sind es oft schwierige und schlimme Dinge mit Blick auf psychosomatische Störungen, die praktisch darüber ihren Weg in den Körper gefunden haben. Das lässt sich aber nicht genau messen. Das ist zwar keine Traumatisierung, aber es ist trotzdem eine Folge von etwas Traumatischem, das ein Mensch erlebt hat.

Wie kann man solche Traumata von vorherigen Generationen loswerden oder lernen, damit umzugehen? Geht das überhaupt?
Ja, das geht, wenn man um Offenheit bemüht ist und versucht, dem Ganzen offen zu begegnen und aus diesem Grundgedanken heraus darauf blickt, dass es sich nicht vermeiden lässt. Diese Dinge passieren und existieren. Wir sind in Europa und vor allem Deutschland, also unserem Kulturkreis, in einem gewissen Sinne auch verwöhnt. Da wir damit nicht direkt rechnen müssen, dass es überhaupt zu Kriegen kommt. Wir gehen generell davon aus, dass es nicht passieren kann bei uns. Aber der Ukraine-Krieg hat gezeigt, dass das Thema näher ist, als man denkt beziehungsweise als es vorher zu sein schien. Dadurch kommen solche Kriegstraumata auch noch mal heraus. Der Kriegsbeginn von drei Jahren in der Ukraine ist gerade für die alten Menschen sehr schwierig gewesen – mehr als für die jüngeren Generationen. Man muss sich mit der Realität des Lebens auseinandersetzen und schauen, dass das Trauma immer gefällt werden kann durch echtes, gutes Miteinander. Zwar nicht komplett, aber dass man sich zum Beispiel gut aufgehoben in der Familie und sich geborgen fühlt. Das trägt dazu, das Trauma zu beherrschen beziehungsweise es loszuwerden. Dass man weiß, dass man nicht allein damit ist.
Das ist natürlich schwierig für Menschen, die kein gutes Verhältnis zu ihrer Familie haben oder wo die engsten Angehörigen, beispielsweise Eltern oder Geschwister, bereits verstorben sind.
Ja, das stimmt. Es geht aber letztendlich schon darum, jedenfalls bin ich eine Freundin dieses Denkens, dass es immer eine Lösung gibt. Man kann immer versuchen, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen.
Thema Nachrichtenkonsum: Was raten Sie den Menschen diesbezüglich?
Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sagen, man sollte keine Nachrichten mehr schauen. Aber man muss sich bewusst sein, wenn man sich nur mit den negativen Botschaften und Nachrichten konfrontiert und das einen fertigmacht, rettet man damit niemanden. Man macht sich nur selbst krank und kaputt. Ich würde den Medienkonsum immer daran ausrichten, inwieweit es einen Sinn macht. Wenn man sich schlaflos im Bett hin- und her wälzt, wäre es sinnvoller, zu gucken, was man stattdessen tun kann. Wenn wir das Gefühl haben, wirksam zu werden, durch das, was wir tun, haben wir schon viel gewonnen. So kann man sich beispielsweise ehrenamtlich engagieren und dies als Ventil zu den negativen Nachrichten nutzen.
Das Gespräch führte Annika Stock.