Kampagne in Altenkirchen
Wie Kinder süchtiger Eltern leiden
Die Sucht der Eltern hat oft schlimme Auswirkungen auf die Kinder.
Klaus-Dietmar Gabbert. DPA

Kinder süchtiger Eltern erleben Vernachlässigung, Gewalt und Unsicherheit. Die Aktionswoche „Ich werde laut“ gibt ihnen eine Stimme – das wird auch eindrucksvoll bei einem Filmabend im Altenkirchener Mehrgenerationenhaus deutlich. 

Die Zahl ist erschütternd: Drei Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland wachsen mit einem suchtkranken Elternteil auf. Das bedeutet, dass jedes fünfte bis sechste Kind täglich unter Vernachlässigung und Gewalt leiden muss – eine furchtbare Erfahrung, die häufig das ganze Leben prägt. Mit der bundesweiten Aktionswoche „Ich werde laut“, die vom 16. bis 22. Februar läuft, möchte „Nacoa Deutschland“ (Interessenvertretung für Kinder aus Suchtfamilien) auf diese unhaltbaren Zustände aufmerksam machen. An die Kampagne hat sich auch das Altenkirchener Mehrgenerationenhaus angeschlossen.

Im Rahmen eines Filmabends mit Gespräch erhielten die Besucher, deren Zahl sich trotz der brisanten, dringlichen Thematik leider in Grenzen hielt, einen fundierten Einblick in die Nöte von Kindern und Jugendlichen mit Elternteilen, die durch ihr Suchtverhalten jegliche Kontrolle über ihr eigenes Leben verloren haben und der Fürsorgepflicht für ihre Kinder nicht nachkommen.

Im Rahmen des Film- und Gesprächsabends über Hilfen für Kinder und Jugendliche aus suchtbelasteten Familien gaben (von links) Dirk Bernsdorff, Miriam Ottweiler-Jaeger, Hans Röhrig und zwei Besucherinnen der Thematik symbolisch eine "laute Stimme".
Julia Hilgeroth-Buchner

In seiner Begrüßung umriss Hans Röhrig, der die Veranstaltung maßgeblich organisiert hatte, die aktuelle Bedürfnislage und wies nachdrücklich auf die gravierenden, häufig zu selten thematisierten Folgen von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft hin. Er stellte aber auch Miriam Ottweiler-Jaeger von der „Fachstelle für Suchtprävention und für Kinder aus suchtbelasteten Familien“ im Diakonischen Werk Altenkirchen sowie Dirk Bernsdorff (langjähriger Präventionsfachmann des Diakonischen Werkes und „Nacoa“-Regionalsprecher Rheinland-Pfalz) als regionale Experten vor.

Die dokumentarische Kurzfilmreihe „Unsichtbar“ des „Medienprojektes Wuppertal“ rückte nun die Schicksale von Kindern und Jugendlichen aus suchtbelasteten Familien in den Mittelpunkt. Die Porträts schilderten Isolation, Ängste, Schuld- und Schamgefühle, aber auch Frust und Kummer bis hin zu Misshandlungen, die die Betroffenen zu Hause erleben und in der Schule verstecken. Die Zuschauer erfuhren, wie belastend das „Schweigegebot“ von Seiten der Familie sein kann, aber auch, wie viele Jugendliche eine überbordende Verantwortung für das erkrankte Elternteil (Alkohol, Drogen, Depressionen) und/oder für jüngere Geschwister übernehmen.

Mutiger eines Jugendlichen macht sprachlos

Besonders betroffen machte das Beispiel des jungen Erwachsenen Jonas, der von seinen Eltern schwer misshandelt und in der Schule aufgrund seines auffälligen Verhaltens gemobbt wurde. Als er sich schließlich vor die Klasse stellte und den Mitschülern mitteilte, dass er nicht mehr könne und sich umbringen wolle, setzte dies eine erste Hilfskampagne in Gang. Zu hören, dass Jonas lieber stationär als ambulant in die Psychiatrie wollte, um abends nicht nach Hause zu müssen, berührte die Besucher tief. Jonas zeigte seine Eltern später an, um seinem Leiden ein Gesicht zu geben und wenigstens eine Spur von Gerechtigkeit für sich zu erwirken – ein mutiger Schritt, der sprachlos machte.

Die Jugendlichen berichteten in den Filmen aber auch von den Helfern, Therapien und anderen unterstützenden Maßnahmen, die sie (oft in letzter Minute) gefunden hatten und die ihr Leben entscheidend veränderten und sogar verbesserten. Vorgestellt wurde hier exemplarisch der Verein „Lebensfarben – Hilfen für Kinder und Jugendliche“ im oberbergischen Wiehl. In intensiven Gruppen- und Einzelangeboten, aber auch über die Betreuung durch „Paten“ werden die Betroffenen entlastet und vor allem angehört – der wichtigste Faktor überhaupt. Im anschließenden Gespräch rund um die vielen Facetten von Suchterkrankungen (die sich übrigens durch alle Altersgruppen und sozialen Schichten ziehen können) erhielt die Situation von erwachsenen Kindern aus suchtbelastetem Elternhaus noch einmal besondere Beachtung.

Dirk Bernsdorff erläuterte, dass diese Gruppe schwer traumatisiert sei, aber häufig zu wenig Hilfe finde. „Wenn diese Kinder erwachsen sind, gehen die Probleme oft erst richtig los“, betonte der Experte. „Sie müssen lernen, sich um sich selbst zu kümmern – eine Erfahrung, die sie nie gemacht haben.“ Miriam Ottweiler-Jaeger und Dirk Bernsdorff beschrieben nun die Notwendigkeit der Sensibilisierung für die Thematik, die bereits in den Kitas und Schulen ansetzen müsse. Dazu gebe es bereits Fortbildungsformate für Erzieher und Lehrer, die vom Umfang her aber ausbaubedürftig seien.

Mit zahlreichen Informationsmaterialien informierten die Ausrichter des Film- und Gesprächsabends über das Thema "Hilfe für Kinder und Jugendliche aus suchtbelasteten Familien".
Julia Hilgeroth-Buchner

Zum Abschluss des Abends berichtete Miriam Ottweiler-Jaeger über die Hilfestellungen der Fachstelle für Suchtprävention im Diakonischen Werk Altenkirchen. Hier gebe es neben dem individuellen Beratungsangebot die offene Gruppe „Saustark“ (für Kinder im Grundschulalter, die besonderen Belastungen im Elternhaus und in ihrem Umfeld ausgesetzt sind) und das neue Gruppenangebot für Jugendliche im Alter von zwölf bis 16 Jahren (im Frühling 2025 an drei Wochenenden mit gemeinsamen Aktionen, Rapmusik-Workshop und Gesprächen). Dazu kämen die „Gruppe für erwachsene Kinder aus suchtbelastetem Elternhaus“ und die „Selbsthilfegruppe für Angehörige von Suchtkranken“.

Mehr Informationen sowie alle Treffpunkte und Termine sind auf www.diakonie-altenkirchen.de zu finden. Eine persönliche Kontaktaufnahme zu Miriam Ottweiler-Jaeger kann über 02681/8008-46 oder miriam.jaeger@diakonie-altenkirchen.de erfolgen.

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