Verurteilte Straftäter haben in Deutschland ein Recht auf Resozialisierung. Das bedeutet, dass sie schon während ihrer Zeit im Gefängnis mit verschiedenen Maßnahmen dabei unterstützt werden, später wieder zurück in die Gesellschaft zu finden und ein straffreies Leben zu führen. Wissenschaftliche Untersuchungen zu Resozialisierungsmaßnahmen fokussieren meist darauf, ob die Maßnahmen das beabsichtigte Ziel – ein straffreies Leben – erreichen.
Kaum erforscht ist dagegen die Perspektive der Gefangenen: Wie erleben sie die Maßnahmen? Wie gehen sie mit den Hilfsangeboten um? Diese Fragen untersucht der Kriminologe und Erziehungswissenschaftler Hendrik Möller im Rahmen seiner Doktorarbeit am DFG-Graduiertenkolleg „Folgen sozialer Hilfen“ der Universität Siegen, wie diese mitteilt.
Für seine Studie führte Möller Interviews mit 15 jungen (ehemaligen) Gefangenen, die während ihrer Haftstrafen an einem besonderen Resozialisierungsprojekt teilgenommen hatten: Sie konnten die Justizvollzugsanstalt verlassen und wurden stattdessen in den sogenannten „Strafvollzug in freien Formen“ verlegt. Dabei handelt es sich um ein besonderes Wohnprojekt, das es laut Pressemitteilung in Deutschland nur viermal gibt: Statt im Gefängnis leben die Straftäter in Wohngemeinschaften, die von einem freien Träger geführt werden.
„In den WGs wohnen die jungen Männer mit Hauseltern und deren Kindern zusammen. Die Häuser selbst erinnern eher an ein Landschulheim als an ein Gefängnis. Allerdings müssen sich die Strafgefangenen dort an sehr strenge Regeln halten“, erklärt Möller. Durch das gemeinsame Leben, die Möglichkeit, im Rahmen des Projektes eine Berufsausbildung zu absolvieren, und soziales Training sollen die jungen Gefangenen dazu befähigt werden, Verantwortung zu übernehmen und einen Lebensweg ohne weitere Straftaten zu finden – so die Idee des Strafvollzugs in freien Formen.
Doch wie nehmen die jungen Gefangenen selbst dieses Angebot wahr? Was ist ihre persönliche Motivation, daran teilzunehmen? Und wie verändert die Verlegung in das Wohnprojekt die Sicht auf das eigene Leben und die eigene Person? In teils mehrstündigen, narrativen Interviews mit ehemaligen Teilnehmern des Projektes ist Möller diesen Fragen nachgegangen. „Ich war sehr positiv überrascht, wie offen, ehrlich und selbstreflektiert die Jugendlichen beziehungsweise jungen Männer mir aus ihrem Leben berichtet haben“, sagt Möller.
Eindrückliche Gespräche
Besonders fasziniert habe ihn, in den Gesprächen Details zu erfahren, „die so nur jemand schildern kann, der diese Situationen selbst erlebt hat“. Als einschneidender Moment sei zum Beispiel in mehreren Gesprächen der Haftantritt geschildert worden – also der Augenblick, in dem sich im Gefängnis die Zellentür schließt. „Viele meiner Interviewpartner haben berichtet, dass dieser Moment bei ihnen einen Gedankenprozess ausgelöst hat: ‚Wie geht es jetzt weiter?‘ beziehungsweise ‚Soll das jetzt immer so weitergehen?‘, waren typische Fragen, die sie sich in dieser Situation gestellt haben“, berichtet Möller.
Das Angebot, in den Strafvollzug in freien Formen verlegt zu werden, sei von den meisten Jugendlichen als klare Verbesserung der eigenen Situation bewertet worden, sagt Möller. „Allerdings sind die individuellen Beweggründe, an dem Projekt teilzunehmen, ganz unterschiedlich.“ Ein junger Mann berichtete im Interview beispielsweise, dass sein Vater sich geweigert habe, ihn im Gefängnis zu besuchen – weil er die JVA als Ort nicht betreten wolle. „Für diesen Gefangenen war die Verlegung in den freien Strafvollzug ganz einfach ein Weg, seinen Vater wiederzusehen. Dieses Ziel war für ihn wichtiger als die persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten im Rahmen des Projektes“, schildert Möller.
Das wurde von vielen Jugendlichen eher als ‚Pädagogen-Kram‘ abgetan und als lästig empfunden.
Eine Erkenntnis von Wissenschaftler Hendrik Möller: Junge Gefangene wissen Berufs-Training in Gefangenschaft sehr zu schätzen, Angebote zur Reflexion ihrer Taten dagegen kaum
Wie die Uni Siegen weiter berichtet, wurden von vielen ehemaligen Gefangenen konkrete Hilfsangebote im freien Strafvollzug positiv bewertet: beispielsweise die Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen oder praktische Unterstützung durch Betreuer, etwa bei der Bearbeitung von Behördenpost. „Klar von solchen Angeboten unterschieden wurden hingegen pädagogische Maßnahmen, die darauf abzielen, die eigenen Straftaten zu reflektieren“, sagt Möller. „Diese wurden von vielen Jugendlichen eher als ‚Pädagogen-Kram‘ abgetan und als lästig empfunden.“
Bei der Auswertung der Interviews arbeitet der Wissenschaftler nah am Material, indem er einzelne Aussagen ethnomethodologisch analysiert. „Beispielsweise bezeichnete einer der jungen Männer nach dem Wechsel aus der JVA in das Wohnprojekt seine Kollegen plötzlich nicht mehr als ‚Mitgefangene‘, sondern als ‚WG-Mitbewohner‘. Der Ortswechsel führte zu einer veränderten Wahrnehmung des sozialen Umfelds und auch der eigenen Person“, erklärt Möller.
Nach der Einzel-Analyse der Interviews möchte er einen Fall-Vergleich durchführen. Das Ziel dieser aufwendigen Grundlagenforschung: „Ich möchte mit meiner Studie zu einem besseren Verständnis von alternativen Formen des Strafvollzugs beitragen. Vieles ist in diesem Bereich noch nicht gut erforscht, darunter insbesondere die Perspektive der Gefangenen, die beim Strafvollzug ja eigentlich im Mittelpunkt stehen“, sagt Möller.
Der Raum ist winzig, gerade groß genug für ein Bett, einen Schrank, einen Tisch und eine Toilette. Ein Fernseher und neuerdings auch ein kleiner Kühlschrank sind ebenfalls vorhanden, immerhin.9. Türchen im RZ-Adventskalender: Koblenzer Knast ist meist nur eine Zwischenstation