Schule in Nachkriegszeit
Wie Daadens Volksschulklasse von 1950 zusammenhält
Akribisch hat Erich Jung die Geschichte rund um "seine" Volkschulklasse von 1950 dokumentiert. Mitorganisatorin der Klassentreffen, Gisela Jumel, zeigt auf ein Gruppenfoto von damals.
Daniel-D. Pirker

Auch nach 75 Jahren trifft sich die Daadener Volksschulklasse von 1950 zur Wiedersehensfeier. Die zwei Organisatoren erklären, was die heutigen Senioren so eng verbindet und wie ihre Schulzeit damals im Vergleich zu heute war.

Dieses Klassentreffen wirkt auch wie ein Zeichen der Hoffnung in einer Zeit, in der die Welt in Unruhe geraten ist. Als Gisela Jumel und Erich Jung eingeschult wurden, lag der Schatten des Zweiten Weltkriegs über dem Daadener Land. Die heutige Bundesrepublik befand sich noch in den Kinderschuhen. Doch wenn die 81-Jährige und der 82-Jährige von ihrer Schulzeit erzählen, stehen nicht Mangel, Sorgen und die Traumata der Elterngeneration im Vordergrund, die das gesamte Land auch 1950 noch prägten.

Gisela Jumel erinnert sich im Gespräch mit unserer Zeitung: „Wir waren alle arm, wir hatten alle nicht viel. Und das hat uns irgendwie auch zusammengeschweißt. Der Zusammenhalt war groß.“ Und diesen Zusammenhalt spürt man auch ein dreiviertel Jahrhundert später noch. Jumel und Jung haben zu einem Klassentreffen eingeladen. Von den ursprünglichen 42 Volksschülern reihen sich nun immerhin knapp 20 vor der ehemaligen Bahnhofsschule, in der heute eine kommunale Kita untergebracht ist. Das Gruppenfoto steht an.

Der 18. April 1950 markiert für Erich Jung und Gisela Jumel zusammen mit ihren Mitschülern des Jahrgangs 1943/44 an der Daadener Bahnhofsschule den Beginn des Ernstes des Lebens. Das Gruppenbild zeigt sie mit Lehrerin Fräulein Göbel.
Archiv Erich Jung

Im Anschluss geht es bei frühlingshaftem Wetter in den Gemeinschaftsraum einer Seniorenresidenz in der Nähe. Frisch aufgebrühter Kaffee und der Begrüßungssekt stehen bereit. Erich Jung blättert mit einem Lächeln in einem dicken Fotoband voller Erinnerungen an vergangene Klassentreffen. Organisiert wurden sie etwa alle drei bis vier Jahre von Jung, Gisela und zwei weiteren mittlerweile verstorbenen Mitschülern.

Zwischen diesen Zusammenkünften hielt ein harter Kern der Klasse von 1950 den Kontakt über private Anlässe. Und davon gab es in den vergangenen Jahren so einige, wie Erich Jung erzählt. Es galt, 80. Geburtstage zu feiern. Fotos vom 70. Jubiläum fehlen im Band von Jung. Die Vorbereitungen für die Zusammenkunft waren bereits getroffen, doch Corona machte einen Strich durch die Rechnung. Heute wird also auch der besondere Anlass nachgeholt. Wenn man durch den Band blättert, begibt man sich auch auf eine Zeitreise im Zeitraffer und kann Seite für Seite sehen, wie sich Mode und grundsätzlich das Aussehen der ehemaligen Schüler veränderten. Bei Weitem nicht alle haben ihren 80. Geburtstag erlebt. So strahlt dem Betrachter auf mehreren Fotos der 2018 verstorbene FDP-Politiker Hans-Arthur Bauckhage mit seinem markanten Lächeln an. Er besuchte die Volksschule in Biersdorf, deren Ehemalige sich später den Daadenern anschließen sollten. „Mit ihm haben wir 2003 den Landtag in Mainz besucht – ein toller Ausflug“, sagt Jung.

Rund 20 Ehemalige finden sich 75 Jahre nach ihrer Einschulung vor ihrer ehemaligen Volkschule in Daaden ein. Heute befindet sich in darin die kommunale Kita "Alte Bahnhofsschule".
Daniel-D. Pirker

„Die mit Kreuz sind schon alle verstorben“, sagt Gisela Jumel, als ein altes Schwarz-Weiß-Bild aus dem Archiv von Erich Jung betrachtend. Er hat die Verstorbenen mit Stickern kenntlich gemacht. Doch wenn Gisela Jumel und Erich Jung von den Verstorbenen erzählen, steht nicht die Trauer im Vordergrund, sondern das gemeinsam Erlebte. Die Fotos im Band zeugen von geselligen Zusammenkünften. Männer mit Schnurrbärten und Frauen mit getönten, großen Brillen, alle in ihren besten Jahren lachen und tanzen gemeinsam.

Jumel und Jung erinnern sich an das erste Klassentreffen, eine Wanderung nach Emmerzhausen.  Da einige Frauen keine geeigneten Wanderschuhe trugen und Blasen bekamen, wurde kurzerhand ein Traktor mit Anhänger organisiert, der sie abholte. Der Anhänger wurde geschmückt, und sie drehten damit noch eine „Ehrenrunde“ in Daaden. Gisela Jumel: „Das erste Klassentreffen, das war so was von interessant. Da wartete man immer drauf, wer kommt denn jetzt da rein? Und wie sieht der aus? Und manche kannte man nicht mehr.“

Die Zeiten waren karg, aber die Kindheit glücklich

Sie alle haben ihren Weg gemacht. Jung baute etwas das gleichnamige Fachgeschäft für Bürotechnik auf. Sein Vater war Bergarbeiter und wurde nicht eingezogen, da im Zweiten Weltkrieg für die Waffenproduktion Erz benötigt wurde. Gisela Jumel lernte ihren Vater erst mit vier Jahren kennen, als er aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. Folgt man den Erzählungen der beiden, war das Leben zwar von Sparsamkeit geprägt, aber man war zufrieden. Fleisch gab es selten. Jumel erinnert sich, dass in der ersten Klasse die Schüler in den Pausen Milchsuppe aus einem großen Topf erhielten. Gegessen wurde aus Blecheimerchen, die jedem Schüler zugeteilt waren. Taschengeld? Ein Fremdwort damals. Auch der Begriff „Pubertät“ war unbekannt, erinnern sich Jumel und Jung. Und auch Schulsozialarbeiter traten erst viele Jahrzehnte in Erscheinung.

Wie die Lehrkräfte damals über 40 Schüler in der Klasse bändigen konnten? Offenbar mit Disziplin. Fräulein Göbel, damals Anfang 30, war besonders streng in der Erinnerung von Gisela Jumel. Doch Prügelstrafen, wie sie oft andernorts zu dieser Zeit noch üblich waren, wurden nicht vollzogen. Jumel erinnert sich zumindest daran, wie sie „ein paar Mal um die Ohren gekriegt“ hat. Man muss sich die junge Gisela Jumel als lebhaftes Mädchen vorstellen. Sie selbst erinnert sich, dass früher stärker zwischen den Geschlechtern differenziert wurde, ganz automatisch äußerte sich dies auch im Sozialverhalten. „Mädchen waren für sich, Jungs waren für sich. Nur die kleine Gisela, das war immer bei den Jungs und hat Fußball gespielt.“

Viel Zeit wurde gemeinsam verbracht in der Gruppe. „Man suchte die Nähe der anderen“, sagt Jumel. Sie selbst ist gerne unter Menschen. Und das zeigt sich auch an diesem besonderen Nachmittag des Wiedersehens. Es wird nicht das letzte dieser Art sein.

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