Gesundheit Auch im AK-Land erfüllen Mediziner nicht selten in erster Linie eine soziale Funktion
Voller Wartezimmer, wenig Zeit: Nicht jeder Patient müsste zum Arzt
Arzt

Symbolbild.

Rolf Vennenbernd. Rolf Vennenbernd/dpa

Kreis Altenkirchen. Volle Wartezimmer und Ärzte mit wenig Zeit für schwere Fälle: Der neue Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kreidet diese Tendenz vor allem Menschen an, die bei jeder Unpässlichkeit den Arzt aufsuchen, ohne es wirklich zu müssen.

Provoziert der Minister damit bewusst, um die politische Debatte rund um unser Gesundheitssystem weiter ankurbeln, oder spricht er damit ein tatsächliches Problem an? Im Gespräch mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Koblenz und dem Kreisobmann der Ärzteschaft, Dr. Michael Theis aus Wissen, zeigt sich: Die Aussage von Jens Spahn ist alles andere als weit hergeholt.

„Nicht jeder Arztbesuch ist wirklich nötig. Diese Tendenz stellt auch die ärztliche Seite fest“, erklärt ein Sprecher der KV. Warum in den Wartezimmern immer mehr Menschen sind, die nach Spahn'scher Lesart nicht krank genug für einen Arztbesuch sind, dafür gibt es laut KV-Sprecher mehrere Gründe. Als wichtigsten nennt er: „Die Ärzte übernehmen immer mehr auch eine sozial-theologische Funktion.“ Soll heißen: Da es immer mehr ältere und alleinstehende Menschen gibt, suchen diese offenbar vermehrt auch ihren Arzt auf, um sich einfach mal mitzuteilen.

Hinzu kommt laut KV-Sprecher, dass bei vielen die Sensibilität gegenüber dem eigenen Körper zugenommen hat. „Oft sind bei einem Unwohlsein gleich Gedanken an eine lebensbedrohende Krankheit da, die den Patienten sofort den Weg zum Arzt einschlagen lassen.“

Dass es diese Fälle gibt, kann auch Kreisärzteobmann Michael Theis bestätigen. „Im europäischen Vergleich gehen die Deutschen zu häufig zum Arzt“, bringt es der Mediziner auf den Punkt. Schaut man auf die Zahlen anderer Länder, ergibt sich folgendes Bild: In Schweden gehen die Menschen etwa vier Mal im Jahr zum Arzt, in Frankreich suchen Patienten ihren Mediziner im Schnitt sechs Mal auf. Die Deutschen aber sitzen durchschnittlich 17 Mal pro Jahr im Wartezimmer. Theis kann dabei auch auf dem Land die Tendenz feststellen, dass häufiger zum Arzt gegangen wird als früher. Ein weiteres Problem liegt für den Wissener Arzt darin, dass die Anspruchshaltung der Patienten ständig steige. „Jeder möchte die maximale Diagnostik, zum Beispiel ein MRT oder CT. Dafür nimmt die Eigenverantwortlichkeit der Patienten aber stetig ab.“

Nicht einfacher ist für die Ärzte der Umgang mit Patienten geworden, die zuvor das Internet bei etwaiger Symptomatik um Rat befragt haben. „Dies führt häufig zu Ängsten bei den Patienten, da sie sich verunsichern lassen. Fast jeder jüngere Patient hat vorher gegoogelt“, so Theis. Kein Wunder also, dass die Wartezimmer überquellen.

Trotzdem sieht er die Funktion des Hausarztes gerade für ältere Patienten als enorm wichtig an. „Der Hausarzt ist ein Lotse. Man muss hier oft viel für den älteren Patienten organisieren und koordinieren, etwa mit Pflegediensten oder mit Facharztterminen.“

Dabei sei es systembedingt für den Kassenpatienten oft schwierig einzuschätzen, was welche Leistung kostet. „Der Hausarzt bekommt für einen Hausbesuch etwa 22 Euro brutto, egal wo der Patient wohnt. Viele ärztliche Leistungen werden gar nicht bezahlt, wie zum Beispiel das EKG, weil es für den Patienten nur Pauschalbeträge gibt, egal, wie oft der Patient den Arzt in Anspruch nimmt“, so der Kreisärzteobmann. Telemedizin ist dabei für ihn keine wirkliche Lösung, um dem Problem Herr zu werden, denn Theis betont, dass der persönliche Kontakt immer noch sehr wichtig sei.

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