Künstler Gunter Demnig zu Gast
Vier Stolpersteine in Horhausen erinnern an Nazi-Gräuel
Künstler Gunter Demnig (77) reiste extra aus Alsfeld-Elbenrod an, um die Stolpersteine persönlich zu verlegen. Von ihm stammt die Idee des Kunstdenkmals.
Annika Stock

80 Jahre nach Kriegsende bleibt die Erinnerung an Opfer des Naziregimes lebendig. Nun wurden in Horhausen vier Stolpersteine von Künstler Gunter Demnig verlegt - drei für Familie Kahn, einer für Marie Lettery. Großes Engagement machte dies möglich.

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Unter großer Anteilnahme wurden nun zum ersten Mal vier Stolpersteine in Horhausen im Kreis Altenkirchen verlegt. Mit ihnen wird an das Schicksal der Familie Kahn – Siegmund Kahn, seiner Frau Lina und Tochter Betty in der Tannenstraße 13 sowie an Maria Lettery im Ortsteil Huf, Im Hufer Garten 10 gedacht. Vorangegangen war hierzu viel Recherchearbeit der ehemaligen IGS-Schülerinnen Johanna Hähr und Elisabeth Korell im Rahmen ihrer Facharbeit im Leistungskurs Geschichte zum IGS-Projekt „Entrechtung im Nationalsozialismus“ – ohne ihre Recherche wäre vieles im Unklaren geblieben. Zeitzeugin Luzie Simon, die auch Nachbarin der betroffenen Familie Kahn war, hatte sich zur gleichen Zeit wie die Schülerinnen mit dem Anliegen an die Ortsgemeinde Horhausen gewandt, Stolpersteine für Familie Kahn verlegen zu lassen.

Initiator der Stolpersteine Gunter Demnig (77) höchstselbst beehrte die Horhausener mit seiner Anwesenheit. Im Gespräch mit unserer Zeitung berichtet er, dass durch seine Stiftung „Stiftung – SPUREN – Gunter Demnig“ bereits 117.000 Stolpersteine europaweit verlegt wurden. Er ist eigens aus Alsfeld-Elbenrod für die Verlegung angereist. „Danach geht es weiter nach Euskirchen“, sagt Demnig und präsentiert zahlreiche weitere Stolpersteine, die er im Kastenwagen mitführt. „Das ist ein Lebenswerk geworden“, sagt er über das Projekt. Das Kunstdenkmal ist ein Projekt, das Erinnerung an die Vertreibung der Juden, der Sinti und Roma, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus lebendig hält. Demnig betont, dass jeder Stolperstein durch reine Handarbeit hergestellt wird und jeder ein Unikat sei. „Ein individuelles Stück für ein Individuum“, sagt er.

Setzen sich für das Erinnern und gegen das Vergessen ein (von links): Thomas Schmidt, Werner Schütz, Luzie Simon, Elisabeth Korell, Gunter Demnig, Johanna Hähr, Rolf-Schmidt Markoski und Fred Jüngerich.
Annika Stock

Elisabeth Korell erinnerte bei der Verlegung im Hufer Garten 10 in einem Vortrag an Maria Lettery, ihr Leben und ihre Ermordung im Juni 1941 im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasie-Programms. Johanna Hähr berichtete über das Schicksal der jüdischen Familie Kahn, die während der Reichspogromnacht im Jahr 1938 misshandelt wurde. Wie Zeitzeugin Luzie Simon berichtete, waren sie „sehr fromme Juden.“

Im Ortsteil Huf, Im Hufer Garten 10, wurde an Maria Lettery erinnert. Hier stieß die erste Stolpersteinverlegung ebenfalls auf großes Interesse.
Annika Stock

Simon gab Einblicke in die schrecklichen Geschehnisse zur Reichspogromnacht und wie beklemmend die Verfolgung und Ächtung der Juden zur NS-Zeit war. Siegmund und Lina Kahn wurden später in Holland verhaftet und vermutlich im KZ Theresienstadt ermordet. Tochter Betty konnte auch dank der Hilfen von Bürgern aus Horhausen in die USA fliehen und blieb bis zu ihrem Tod 2004 mit Horhausen verbunden.

Die 26-jährige Maria Lettery wurde am 20.06.1941 in Hadamar ermordet.
Annika Stock

Ortsbürgermeister Thomas Schmidt und VG-Bürgermeister Fred Jüngerich erinnerten in ihren Reden daran, gerade in der heutigen Zeit nicht die Augen zu verschließen und weiterhin gegen Rechtsextremismus und Unterdrückung jeglicher Art aufzustehen.

Bei den Einarbeitungen der Steine waren zahlreiche Bürger anwesend, bei der Verlegung in der Tannenstraße waren zudem viele Schüler der IGS Horhausen anwesend. Gemeinsam erinnerten sich die Besucher und setzten gleichzeitig ein Zeichen gegen das Vergessen. Großes Lob gab es von den Anwesenden für die Arbeit, die sich Johanna Hähr und Elisabeth Korell gemacht haben. Dank ging auch an Luzie Simon für ihr Engagement und an Werner Schütz, der den Kontakt zur Stiftung ermöglichte.

Drei Stolpersteine erinnern nun an der Tannenstraße 13 in Horhausen an das Schicksal und die Vertreibung von Siegmund Kahn und Karoline Lina Kahn sowie an Betty Kahn.
Annika Stock

„Ich finde es gut, dass an das Schicksal von Maria erinnert wird. Das ist eine super Sache, dass die Mädels das gemacht haben“, sagt Hans-Werner Becker, Angehöriger von Maria Lettery – sie war seine Großtante.

Die ehemaligen IGS-Schülerinnen Johanna Hähr und Elisabeth Korell (beide 19) möchten sich künftig weiter mit Geschichte auseinandersetzen und in diesem Bereich studieren. Alle Anwesenden waren sich einig – nie wieder dürfe sich NS-Geschichte wiederholen. Deshalb sei es nach wie vor wichtig, gegen Extremismus jeglicher Art aufzustehen. Zeitzeugin Luzie Simon gab zum Abschluss ihrer Ausführungen ein Zitat der kürzlich verstorbenen Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer an die Anwesenden weiter: „Seid Menschen.“

Bei der zweiten Stolpersteinverlegung an der Tannenstraße war die Resonanz groß, hier waren neben Anwohnern auch zahlreiche Schüler der IGS Horhausen anwesend.
Annika Stock

Gedenken an ermordete Juden aus Horhausen

Maria Lettery wurde am 14. Juni 1915 in Huf geboren, sie hatte das Asperger-Syndrom, deshalb lebte sie in verschiedenen Anstalten und Pflegeheimen. SS-Soldaten brachten sie angeblich wegen einer „Untersuchung“ in eine Pflegeanstalt nach Bonn. Laut Totenbuch wurde sie am Ankunftstag in Hadamar am 20. Juni 1941 in der Gaskammer ermordet. In der Reichspogromnacht am 10. November 1938 werden Siegmund Kahn (Metzger und Viehhändler), seine Frau Lina und Tochter Betty in ihrem Haus (Tannenstraße 13) misshandelt und die Einrichtung des Hauses zertrümmert. Siegmund Kahn wird verhaftet und nach Kirchen ins Gefängnis gebracht, in der Nacht wird das Haus angezündet. Lina und Betty fliehen zu Bekannten nach Oberlahr, nachdem Siegmund wieder frei ist, folgt er ihnen. Betty wird 1939 über Belgien und England in die USA gebracht. Ihre Eltern werden aus Holland im Jahr 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort vermutlich ermordet. Betty Kahn lebte bis zu ihrem Tod 2004 in New York City.

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