Die Verbandsgemeinde Hamm hat in der Wahlnacht wortwörtlich ihr „blaues Wunder“ erlebt: 28 Prozent der Bürger machten ihr Kreuz bei der AfD. Damit ist die VG Hamm die einzige Verbandsgemeinde im Wahlkreis 196, der die Kreise Altenkirchen und Neuwied umfasst, in der die AfD stärkste Partei geworden ist. Auch bei unseren Nachbarn im Westerwaldkreis liegt in allen Verbandsgemeinden die CDU vorne. Sogar landesweit liegt die VG Hamm auf Platz acht beim Zweitstimmenanteil für die AfD.
In der traditionell eher roten Hochburg Hamm also eine echte Überraschung. Zum Vergleich: Die SPD lag in der VG Hamm 2021 noch bei 33,6 Prozent, konnte jetzt aber gerade mal 19,8 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Bei der letzten Bundestagswahl im Jahr 2021 war die AfD schon drittstärkste Partei in der VG Hamm mit 13,4 Prozent. Dieses Ergebnis haben die Blauen nun allerdings mehr als verdoppeln können. Auch bei den Erststimmen konnte AfD-Kandidat Andreas Bleck an der Urne in zehn der zwölf Ortsgemeinden die meisten Stimmen auf sich vereinen. Lediglich in Bitzen lag SPD-Kandidat Jan Hellinghausen vorne und in Birkenbeul CDU-Frau Ellen Demuth. Die CDU steht in puncto Erststimmen hier also nur sehr knapp mit 27,7 Prozent vor der AfD mit 27,4, wobei auch hier die SPD mit 23,9 Prozent abfällt.
„Ich schaue mir die Karte des Wahlkreises 196 an und sehe einen einzigen blauen Fleck, und das macht mich schon sehr traurig.“
Verbandsgemeindebürgermeister Dietmar Henrich.
„Ich schaue mir die Karte des Wahlkreises 196 an und sehe einen einzigen blauen Fleck, und das macht mich schon sehr traurig“, sagt Verbandsgemeindebürgermeister Dietmar Henrich. Auch wenn allgemein ein großer Zuspruch für die AfD zu erwarten gewesen sei, habe ihn das Ergebnis in seiner Verbandsgemeinde doch sehr überrascht. „Ich persönlich habe nicht den Eindruck, dass es in meiner Verbandsgemeinde einen Rechtsruck gibt oder hier mehr rechtes Gedankengut herrscht als anderswo“, ist er überzeugt. Vielmehr sieht er in dem Wahlergebnis einen Weckruf für die etablierten Parteien.
„Nach dem 6. November haben die großen Parteien sich ja nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Ich kenne viele, die einfach auch nicht wussten, wem sie ihre Stimme geben sollten. Und natürlich ist es nicht richtig, dann Protest zu wählen, aber bis zu einem gewissen Grad ist es nachzuvollziehen“, so Henrich. „Und wenn mehr als jeder Vierte in der VG Hamm dort sein Kreuz gemacht hat, weiß man, dass man auch im engen Umfeld Menschen hat, die das gewählt haben.“ Leider würden diejenigen sich in der Regel nicht öffentlich zu ihrer Wahl bekennen, sodass es schwierig sei, in einen Dialog zu kommen. Positiv sei aber die hohe Wahlbeteiligung mit 80,6 Prozent (2021 waren es 73,1 Prozent). „Ich bin am Sonntag selbst in allen Wahllokalen gewesen und habe die Stimmung vor Ort als friedlich und positiv empfunden. Die hohe Wahlbeteiligung zeichnete sich ja schon früh ab, das werte ich als positiv.“
In Etzbach wählten die meisten Bürger an der Urne blau
Am stärksten schnitt die AfD in Etzbach ab, wo sie 44,2 Prozent holte. Ein Ergebnis, das natürlich nur die Urnenwahlstimmen abbildet, da die Briefwahlstimmen bei den Verbandsgemeinden ausgezählt werden. Trotzdem ein erschreckend hohes Ergebnis. „Ich bin zunächst erfreut über die außerordentlich hohe Wahlbeteiligung, die in Etzbach bei über 83 Prozent lag. Hier wird klar, wie die Wähler in Deutschland in den absolut volatilen Zeiten versuchen, Einfluss auf die Politik zu nehmen, um wieder positive Perspektiven für die nahe Zukunft zu haben. Auffällig in Etzbach ist diesmal der Anstieg der AfD-Wähler, wobei dieses Ergebnis rein auf die Urnenwahl bezogen ist. Bei der letzten Wahl habe ich schon bemängelt, dass die Briefwahlergebnisse nicht in die ortsspezifische Bewertung einfließen, da die Briefwahl von Etzbach zum Beispiel in Fürthen mit zwei anderen Dörfern in einen Topf geworfen wird, sodass die jetzt vorliegenden Ergebnisse in keiner Weise repräsentativ sind“, sagt Ortsbürgermeister Ulf Langenbach.
Die steigende Unzufriedenheit der Bürger spiegele sich augenscheinlich in den Wahlergebnissen wider, wobei der starke Anstieg der AFD doch als bedenklich zu werten sei, führt Langenbach weiter aus. „Hier muss die neue Regierung endlich die Probleme lösen, um für alle Bürger ein Angebot zu schaffen und einer Polarisierung nicht weiter Raum zu geben.“
Unzufriedenheit mit der Bundespolitik spiegelt sich in lokalen Ergebnissen
Auch in Roth lag die AfD bei den Urnenstimmen mit 42,2 Prozent deutlich über dem Schnitt. Ortsbürgermeister Thomas Holzer sagt: „Wir haben viele russischstämmige Bürger, die eher die AfD wählen und die auch ins Wahllokal gehen. Ob es daran liegt, kann ich aber nicht sagen.“ Ein Rechtsruck sei auch in Roth nicht wahrnehmbar. „Die Leute sind einfach unzufrieden mit der Bundesregierung gewesen. Nach meinem Ermessen haben viele aus Protest gewählt.“
Und auch, wenn ihn das Ergebnis in seiner Ortsgemeinde erschreckt habe, kann er es bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. „Man hätte den Leuten mal zuhören sollen. Hätte die Regierung das gemacht, müssten wir uns heute nicht über die AfD unterhalten“, ist er sicher. Positiv wertet auch Holzer die hohe Wahlbeteiligung. „Das zeigt, dass die Leute daran interessiert sind, dass sich was ändert.“
Konkrete Lebensbedingungen vor Ort spielen eine Rolle
In Forst, der Heimat von SPD-Landesfraktionsvorsitzender Sabine Bätzing-Lichtenthäler, hat die AfD 27,4 Prozent geholt, ihre eigene Partei jedoch nur 16,7 Prozent. Das sagt die SPD-Frau zu dem Wahlergebnis in ihrer Heimatgemeinde: „Das vorläufige Ergebnis in der VG Hamm ist für mich als leidenschaftliche Demokratin ein Furchtbares, ich kann es nicht anders sagen. Und es ist ein Arbeitsauftrag an alle Demokratinnen und Demokraten, dass wir besser werden müssen in Wort und Tat. Und das kann gelingen. Denn die Ergebnisse zeigen auch, dass die AfD bei den Erststimmen in Rheinland-Pfalz hinter der SPD landet und nicht ganz so stark abschneidet wie bei den Zweitstimmen. Heißt: Dort, wo Politikerinnen und Politiker persönlich erlebbar sind, wo sie Themen umsetzen und Zusammenhänge erklären können, dort liegt das Potenzial. Wo es bei Zweitstimmen unpersönlicher wird, wo der Frust über die Ampel und ihr schlimmes Ende abstrakt bleibt, ist viel Vertrauen verloren gegangen. Eine genaue Analyse, warum dies in der VG Hamm so kumuliert ist, lässt sich aktuell noch nicht belastbar ziehen – auch, weil noch nicht alle Zahlen vorliegen. Was sich aber generell zeigt, ist, dass spezifische regionale Herausforderungen und Strukturen das Wahlergebnis immer wieder prägend beeinflussen. Dabei spielen die konkreten Lebensbedingungen vor Ort eine große Rolle.“
Wahl in Zahlen
In der Verbandsgemeinde Hamm gibt es insgesamt 9579 Wahlberechtigte, von denen 7718 am Sonntag von ihrem Stimmrecht Gebrauch machten. 4373 gingen an die Urne, 3345 entschieden sich für die Briefwahl. Das ist ein Anteil von 36,57 Prozent. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung in der VG Hamm bei 80,6 Prozent.