„Wie bitte?“, mag jetzt mancher Corona-Gebeutelte aufbrausen und entrüstet auf die Trümmer seiner Existenz hinweisen. Aber es wäre nicht die bekannte Altenkirchener Philosophin mit dem markanten Wuschelhaar, wenn sie sich nicht tatsächlich ein paar ermutigende Strategien überlegt hätte, mit denen selbst in der Pandemie die „Spielverderber des Glücks“ ausgetrickst, verkrustete Muster abgelöst und neue Wege eingeschlagen werden können. Die RZ trifft Ute Lauterbach in ihrem kunterbunten, am Stadtrand gelegenen Domizil, um mit ihr über ihre Sicht der Dinge zu sprechen, und gleich zu Beginn wird klar, dass es hier um mehr geht als um die abgenutzte Aufforderung, die Krise als Chance zu nutzen.
„Es ist ein Unterschied, ob ich gerade in etwas Ungutem stecke, oder ob ich feststecke. Das Feststecken ist ein stärkerer, härterer, ungemütlicherer Antrieb, genauer hinzugucken. Das ungemütlich Unzufriedene erschwert es uns wegzuschauen, weil die Situation in jede Nische und Faser unseres Lebens vordrängelt“, sagt Ute Lauterbach und greift zum besseren Verständnis auf eine Metapher zurück. „Das bedeutet, je mehr ein ,Schuh drückt', desto mehr bin ich herausgefordert, mich um bessere Schuhe zu kümmern. Um in dem Bild zu bleiben: Ich kann ja jetzt nicht in ein Geschäft gehen und neue Schuhe kaufen, das heißt, ich muss mich nach einer Lösung in einem anderen Feld umschauen. Dieses andere Feld ist jetzt nicht mehr außen, sondern innen.“ Im verwendeten Bild stehe die „Schuhfrage“ noch einmal neu im Raum. „Brauche ich überhaupt neue Schuhe, oder kann es sein, dass mein Leben ohne Schuhe besser ist? Wenn das äußere Leben mehr oder weniger zusammengekracht ist, dann besinne ich mich automatisch auf das Unmittelbare.“ Es gehe ihr darum, den grundsätzlichen Shift vom Außen zum Innen zu machen.
Jeder reagiere mit seiner eigenen Grundgestimmtheit auf die Krise. Die Frage „Wie gehe ich in mir damit um?“ führe zur Analyse und Neudefinition der eigenen Werte. Äußere Umstände wie das ungewohnte Zusammenleben auf engem Raum würden zur Erkenntnis „Das ist mir zu viel, das will ich nicht“ führen. „Ich merke dann, dass es schlimmer ist, als ich gehofft hatte“, erläutert die Philosophin lächelnd. „Aber diese ganze ungemütliche Gefühlspalette gehört dazu, und die ist letzten Endes die Dynamik des Vorankommens. Erst im tiefsten Morast erkennst du, was du definitiv nicht willst. Das kann für grundsätzliche Veränderungen reichen.“ Wo aber ist der Trost, wenn die Trauer über Verlorenes alle Kräfte übersteigt? „Philosophisch gesehen stellt sich die Frage, ob es nicht sein kann, dass sich im scheinbaren Unsinn ein Sinn verbirgt. Die Existenz ist mit uns in Resonanz.“
Täglich würden durch die Situation auch kleine Wunder geschehen. Corona biete die Möglichkeit, in eine andere Grundversöhntheit mit dem Leben zu kommen. Wie steht es um die Notwendigkeit eines stärkeren „Umeinander-Kümmerns“? Kann das den Menschen auch überfordern? „Ganz entscheidend ist, ob ich mich aus einem aufgezwungenen Pflichtgefühl heraus oder aus erlaubter Liebe kümmere. Damit sind wir wieder beim Einzelnen: Was ist mein Kümmer-Motiv?“ Wären reine Pflichterfüllung und moralischer Druck der Beweggrund, dann gelte es zu schauen, was es mit diesem inneren Anteil auf sich hat. „Dann gehört die Aufmerksamkeit besser mir selbst. Je mehr ich mich um mich kümmere, umso weiter wird ja mein Herz und umso authentischer freue ich mich, wenn ich anderen helfen kann.“
Die Haupterschütterung durch Corona sei, dass die Gesellschaft aus allem Gewohnten herausgekickt werde, und das erfordere neue Strukturen. „Das Automatische muss aufgebrochen werden. Ich glaube, wenn Corona uns noch weiter begleitet, wird es eine neue Kultur der Innerlichkeit und der Mitmenschlichkeit geben. Die Leitfrage ist für mich immer ,Was brauche ich und was kann ich entbehren?' Die Brauchen-Liste ist immer eine Abhängigkeit, die Entbehren-Liste macht frei.“ Dies zeige auch die große Aufräumwelle innerhalb der Lockdowns. Ute Lauterbachs Ausblick am Ende des Gesprächs fällt sehr emotional aus. Die Krise kann ihrer Meinung nach dazu verhelfen, die Konsumorientiertheit zu überwinden und neue Entfaltungsräume zu schaffen: „Ich wünsche mir, dass wir aus dieser Corona-Zeit wie Phönixe aus der Asche unserer Hemmungen steigen.“